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Zwei Premieren am Düsseldorfer Schauspielhaus

Zwei neue Stücke am Düsseldorfer Schauspielhaus sind im Programm. Dusan David Parizeks inszeniert Kleists "Zerbrochener Krug" und Schorsch Kamerun sein Stück "Sender Freies Düsseldorf". Die Meinung der Kritikerin: Unbedingt beides anschauen

Von Karin Fischer |
    Sechseckige Waben aus Plexiglas umschließen, wie schalldichte Kabinen, unterschiedlich biedere Wohnzimmer-Settings. Ein Sound wie höher getuntes Autobahngeräusch umtost den Versuch Karin Pfammaters, den zu vielen Botschaften zu entkommen.

    "Aber natürlich wird auch an diesem Abend pausenlos gesendet. Wenn auch die Botschaft in der Negation besteht, zum Beispiel so: 'Ich bin so voll ästhetisch, so out, so in; ich sende Marathon und verkürze aufs Allerkleinste...'"

    "Senden ohne Können", so beschreibt Schorsch Kamerun das Phänomen der Gleichzeitigkeit jeder Information, oder "die alles verschlingende Selbstintelligenz des Kapitalismus". Keine ganz neue Analyse, dass dessen Gesetzen alles, bis hin zur persönlichsten Selbstpräsentation auf facebook, unterworfen ist. Demgegenüber setzt Kamerun wie immer auf ein sympathisch handgestricktes Bilder-, Text- und Lied-Gebräu, auf eine ebenso persönliche wie theoriegestütze "Auswahl", die aber natürlich selbst nicht ohne Apparate auskommt: über Mikrofone, Mischpulte, Videokameras werden einzelne Gespräche oder Geschichten aus den Waben auf Leinwände projiziert, Geräusche gemacht, Erinnerungen ausgetauscht, Zeichen gesetzt, Pläne besprochen, die Vergangenheit beschworen, viel Mummenschanz über die Bühne geschickt von Miss Daisy bis zu Kammerjägern, die die zum Teil stumme Produktion von Wirklichkeit in den Waben zusätzlich vernebeln.

    "Doch das Kunst-Stück gelingt: Kameruns Bebilderung scheint nur beliebig, im Grunde schenkt er uns – wenn auch wolkige – Erkenntnis und Freiheit. Auch zum Weghören oder Wegsehen."

    "Frag er jetzt nach dem Gegenstand…."

    Am nächsten Abend: Kleist. Aber warum nur präsentiert uns die Regie als "Dorfrichter Adam" einen kahlköpfigen Nackten mit Frostgemüse-Packungen um den Fuß, der offensichtlich die Nacht auf einem Baugerüst verbracht hat? Und warum nur steht auf der weißen Kaffeekanne, die am Bühnenrand steht, das Wort "Krug"? Mein Rat: unterdrücken Sie den "das muss doch nicht sein!"-Impuls und warten Sie die letzten fünf Minuten ab. Dann wird alles sehr klar. Und dazwischen gibt es einen äußerst kurzweiligen, unterhaltsamen Kleist.

    Die Baugerüst-Idee ist übrigens mittels Programmheft zu entschlüsseln: So ähnlich sah vor genau einem Jahr das ganze Düsseldorfer Schauspielhaus aus. Wir sind also im Theater. Dazu passt, dass der schnöselige Frank Seppeler sich die Schrammen am Kopf zu Beginn erst aufklebt, Marthe Rull und Evchen aus der zweiten Zuschauerreihe auftreten und das Licht im Saal oft an bleibt.

    Das Spiel um den "Zerbrochenen Krug" findet direkt an der Rampe und einen Meter davor statt, fast wie auf der Probe. Inhaltlich aber mit tollen zeitgenössischen Akzentuierungen: Till Wonka als Ruprecht, Eves Bräutigam, ist kein tumber Bauernjunge, sondern ein testosterongesteuerter Jungmann, der einfach seine Mieze für sich haben will. Stefanie Reinspergers Evchen brilliert mit dicklichem Schmollgesicht als Unterschichten-Gör mit unkorrumpierbaren Ehrgefühl. Imogen Kogge spielt die Marthe erst mit einem hohen Schauspielerton, dann ehrlich beunruhigt. Florian Jahr stellt im dunkelblauen Nadelstreifen-Zweireiher den Gerichtsrat Walter als perfekten Gegenpol zu Seppelers schmierigem Adam dar, der alle Register von Einflussnahme, Bestechung, Erpressung zieht, um den Verdacht von sich abzulenken.

    Einzig dem gleichnamigen Schreiber ist das Licht schon sehr früh aufgegangen, Rainer Galke spielt ihn doppelbödig als beflissenen Bürokraten einerseits und hilfsbereiten Kumpel des Dorfrichters andererseits. Später, nach einer "Pause", die gar keine ist, wird plötzlich umstandslos gesoffen, die Szene kippt, und alle Beteiligten demontieren sich, wie in einer Nachmittags-Serie im Privatfernsehen, lustvoll und hysterisch selbst.

    Am Ende, so viel sei verraten, macht ein "Video-Beweis" nicht nur den Schuldigen, sondern auch das Ausmaß der Schuld deutlich.

    Dusan David Parizek hat eine Inszenierung gebaut, die Kleists Sprache nicht verleugnet, das Lustspiel nicht vergisst und Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse vielschichtig und treffsicher neu ausdeutet. Ein Ensemble, das perfekt zusammen spielt, in vielen Momenten berührt und auch noch großen Spaß macht. Mit einer Inszenierungsidee, die Stück und Leben verwebt und Adam als heutigen, bösen Bruder von Cyrano de Bergerac erscheinen lässt. Auf der großen Bühne also ein offener Prozess; im Kleinen Haus ein Prozess der Offenheit. Unbedingt beides anschauen!