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Zwei romantische Jahrhunderte

Sie war Literaturtheorie und Lebensstil zugleich, sagt der Schriftsteller und Philosoph Rüdiger Safranski über die deutsche Romanik, und das sei auch das Schöne an ihr. In seinem neuen Buch "Romantik. Eine deutsche Affäre" spürt Safranski dem Romantischen in der deutschen Kultur nach. Er spannt dabei den Bogen von einer Reise Johann Gottfried Herders nach Frankreich im Jahr 1769 bis zum Aufbruch der 68er 200 Jahre später und in die heutige Zeit.

Moderation: Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Für Bücherfreunde beginnt morgen die fünfte Jahreszeit, wenn die Messe in Frankfurt am Main ihre Tore für all diejenigen öffnet, die nicht beruflich Bücher lesen oder mit bedrucktem Papier handeln. Viele lesenswerte Werke sind erschienen. In einem möchten wir heute früh blättern. Rüdiger Safranski hat "die Romantik" neu erzählt. "Eine deutsche Affäre", so der Untertitel seines Buches. Kein wissenschaftlicher Text, sondern spannende Lektüre. Hierzulande schließt das eine das andere oft aus. Rüdiger Safranski ist kein unbeschriebenes Blatt. Er hat unter anderem Werke über Schopenhauer, Heidegger, Nietzsche und Schiller vorgelegt, beste Voraussetzungen, um die deutsche Affäre mit der Romantik zu beschreiben. Es beginnt mit einer Reise. 1769 besteigt der Dichter und Denker Johann Gottfried Herder ein Schiff. Wir haben Rüdiger Safranski vor dieser Sendung auf der Buchmesse in Frankfurt am Main erreicht. Ich habe ihn gefragt, inwiefern Herders Reise für die deutsche Geistesgeschichte von Bedeutung war.

    Rüdiger Safranski: Weil es für ihn selbst damals einen persönlichen Anfang gesetzt hat. Er wollte sich vom Alten verabschieden und wollte was Neues erfinden und wollte sich auch dem schwankenden Element des Wassers überlassen, aber auch dem schwankenden Element seiner Einfälle. Das Tolle ist, es ist wirklich ein Anfang gewesen. Da kann man sagen, da ist so viel auch durch seinen Kopf an Plänen hindurchgegangen. Später hat er dann auf den jungen Goethe getroffen und daraus wurde dann Sturm und Drang. Das Ganze ist nun doch eine Vorromantik gewesen, also die Romantik vor der Romantik.

    Heinemann: Was ist Herder genau eingefallen auf dieser Reise?

    Safranski: Es ist ihm eingefallen einmal, dass die Geschichte die größte Produktivkraft ist, dass es also nichts Absolutes gibt, sondern alles im Werden und Vergehen der Ideen und des persönlichen und des gesellschaftlichen Lebens empor wächst und wieder untergeht. Woraus nachher die Romantiker machten diesen fröhlichen Relativismus aller Dinge im Strome der Zeit, das war einer der ganz zündenden Gedanken.

    Der zweite ganz zündende Gedanke war nun im Anschluss auch an Jean Jacques Rousseau: Es gibt eine neue Lust, ein Ich zu sein und in sich selbst zu gehen und aus sich selbst heraus zu bringen und den Normen, den bisher herrschenden Normen zu entlaufen. Diese neue Ich-Euphorie, die hat damals auch begonnen.

    Heinemann: In welchen Werken kommt das besonders zum Ausdruck?

    Safranski: Bei Herder?

    Heinemann: Oder bei den anderen.

    Safranski: Bei den anderen da wird es dann Konjunktur. Es ist dann das Werk von Goethe, "Die Leiden des jungen Werther", wo es dann heißt: "Ich kehre in mich selbst zurück und finde eine Welt." Das war auch ein Lieblingsbuch dann der Romantiker geworden. Das ist vielleicht erst mal das prominenteste Zeugnis dieser neuen Geisteshaltung.

    Heinemann: War Romantik Literaturtheorie oder Lebensstil?

    Safranski: Ja, beides. Und das ist ja auch das Schöne. Die erste Generation der Romantiker, diese Schlegels und Novalis, das waren - Fichte -, das waren hoch spekulative Köpfe, die eine große Lust nach Denken auch hatten, am Theorien bilden, aber zugleich wollten sie für ihre Person die Arbeitsteilung auf dem Gebiete der geistigen Tätigkeiten aufheben. Das sollte alles ineinander übergehen: Poesie in Literatur, Literatur in Philosophie und Malerei. Das alles sollte eins sein, und es sollte auch das Leben anstecken. Es ist ja davon zu berichten, dass es dann diese erste legendäre Wohngemeinschaft in Jena gab, 1799 in diesem Sommer, wo sie alle ihre Köpfe zusammensteckten und die Frauen eine große Rolle da auch spielten. Es war auch ein Lebensexperiment, wie der Novalis das ausdrückte, das Leben selbst zu poetisieren.

    Heinemann: Vielleicht sollte auch die Geschichte anstecken. Welche Rolle spielen - die Zeit läuft; wir reden über das ausgehende 18. Jahrhundert, als die Franzosen ihre Republik erfanden.

    Safranski: Diesen Hintergrund darf man bei alledem, bei diesem ganzen geistigen Tumult nicht vergessen. Die jungen Romantiker waren Republikaner. Sie waren in unserer heutigen Farbenlehre, in der politischen Farbenlehre waren sie links, rot, wenn sie auch zugleich nachher etwas konservativer wurden, und sie wollten das Prinzip Revolution gewissermaßen übertragen auf die Kultur und alles wieder neu erfinden, neu machen und neu die Karten mischen. Es gab also durchaus da so eine Art Anschubfinanzierung durch die französische Revolution. Weil sie aber auch zugleich wussten - so politischen Verstand hatten sie -, dass es für so eine politische Revolution in Deutschland gar nicht das Feld gab, stürzten sie sich eben auf das Feld der Kultur.

    Heinemann: Herr Safranski, Stichwort Frankreich noch mal. Als bedeutendste französische Literaturepoche gilt die Klassik, in der ja die Form fast so wichtig ist wie der Inhalt. Das sagt ja schon etwas aus über die Nachbarn. Umgekehrt gefragt: Inwieweit ist die Romantik eine deutsche Affäre?

    Safranski: Es hat natürlich im Vorfeld europäische Anstöße gegeben. Ich habe den Namen Rousseau schon erwähnt. Aber als dann in Deutschland diese Epoche der Romantik, dieses romantische Feuerwerk dann so richtig hochging, war auch sehr schnell klar, dass das, was in Deutschland hier passiert, so etwas Beispielgebendes hat. Man nahm auch später daran Maß. Eine deutsche Vorreiterrolle hat es dann gegeben. So lange noch ist dieses Gefühl bestimmend, dass man eigentlich sogar heute feststellt - jedenfalls habe ich das festgestellt auf meinen Reisen -, wenn man sagt, was ist die deutsche Kultur, den meisten fällt dann erst mal das Romantische ein. Diese Art der Identifikation des Romantischen mit dem Deutschen ist schon mal sehr auffällig.

    Und Affäre? - Affäre habe ich das nun auch genannt, um auch diesen heiklen Doppelsinn zu bezeichnen. Affäre ist ja auch einmal ein leidenschaftlicher Seitensprung, manchmal leidenschaftlicher als die feste Ehebeziehung. Es hat auch was Skandalisierendes, und es war ja auch etwas Skandalisierendes dabei, besonders wenn das Romantische sich dann mit der Politik kurzgeschlossen hat. Da gibt es dann auch Kurzschlüsse.

    Heinemann: Davor haben Sie gewarnt und als Beispiele die Nazi-Zeit und die 68er angeführt. Inwiefern hat sich in diesen Bewegungen das Romantische bahngebrochen?

    Safranski: Ich will noch mal erinnern, noch bevor ich etwas zu den Nazis sage, dass zwischen 1914 und 1918 Thomas Mann seine Betrachtung eines Unpolitischen schreibt, im Krieg, und sehr explizit die romantische Kultur Deutschlands in Frontstellung bringt zum demokratisch-zivilisatorischen Ausland, also gewissermaßen die Romantik instrumentalisiert als Kriegspartei in dem Ersten Weltkrieg. Da merkt man schon etwas von dieser eigenartigen politischen Instrumentalisierung des Romantischen. Die Nazis nachher, klar: die beziehen sich auch auf romantische Traditionen beim Völkischen. Es gab ja eine patriotische Romantik gegen Napoleon damals.

    Heinemann: Und Göbbels sprach von der stählernen Romantik sogar.

    Safranski: Genau. Göbbels sprach von der stählernen Romantik, weil er merkte, die Romantiker waren für ihn dann letztlich doch Weicheier, und man brauchte noch eine ganz andere Art von Romantikern. Das war den Nazi-Ideologen sehr schnell klar. Bei den Romantikern fand man - und das ist jetzt das Entscheidende - fand man das, was die Nazis brauchten: den Biologismus und diesen Rassismus in der ganzen Begründung, den fand man bei ihnen nicht. Da komme ich auf einen heiklen Punkt. Ich sage ja, ich stelle auch die These auf, ideologisch gesehen war der Nationalsozialismus noch viel mehr eine brutalisierte Version der Pseudo-Naturwissenschaften, denn Rassismus, Biologismus, Sozialdarwinismus, das kommt aus dem trüben Fonds einer Pseudo-Naturwissenschaft und eines Pseudo-Positivismus' am Ende des 19. Jahrhunderts. Das waren ideologisch gesehen die hochkriminellen Energien. Die verwilderte Romantik spielte dann eher nur eine Nebenrolle.

    Heinemann: Und die Studentenbewegung, war die aufklärerisch oder war das, wie Richard Löwenthal, der Politikwissenschaftler, gesagt hat, ein romantischer Rückfall?

    Safranski: Ich beschreibe ja vor allem den Aufbruch von 68. Es war ja eine Jugendbewegung. Ich meine, ich habe es ja damals selber miterlebt als Jugendlicher. Es war eine durch und durch romantische Aufbruchsbewegung, das Erotisch-Dionysische. Das Dionysische, wie das dann Nietzsche vorher genannt hat, spielte dort eine große Rolle. Man muss sich nur die Musik anhören, die damals wichtig war, die "Doors", "Pink Floyd" und so weiter, Bewusstseinserweiterung. Alles das sind stark romantische Motive. Nur hätte man uns damals natürlich nicht sagen dürfen, dass wir Romantiker sind. Man wollte ja nicht Romantiker sein, aber man war es. Man war es unterschwellig. Ich spreche wirklich von diesem Moment. Was nachher in den 70er Jahren, in dieser bleiernen Zeit geschehen ist mit Terrorismus und Dogmatismus, das ist noch mal ein Kapitel für sich. Man war fast verfeindet mit der Hochkultur und auch ihren romantischen Teilen und war in der Basis aber, partizipierte an romantischen Gefühlslagen.

    Heinemann: Herr Safranski, Sie warnen davor, dass sich das Romantische in der Politik austoben darf. Heißt das im Umkehrschluss: Wenn die Politik dicke Bretter bohrt, was ja dazu gehört auf die Gefahr hin, dass sich die Zuschauer langweilen, dann ist das nicht schlimm, sondern zeichnet einfach gute Arbeit geradezu aus in der Politik?

    Safranski: Das würde ich schon sagen. Romantik ist was Extremes. Es ist auch etwas, was sich mit dem Irrationalen verbindet. Wir bestehen ja zu erheblichen Teilen aus Irrationalität. Nur eine kleine Schicht ist von uns rational oben im Kopf. Also alles das ist für die Kultur und für die romantische Kultur wunderbar, wenn es kein Mittelweg ist, wenn es kein Konsens ist, sondern wenn es verrückt ist, wenn es absurd ist, wenn es extrem ist. Aber alles das wollen wir so in der Politik ja nicht haben, und da merkt man gerade am Thema der Romantik, wie wichtig dieser Gedanke ist, dass wir es lernen, ja auch ziemlich gelernt haben schon, in mehreren Welten zu leben mit eigenen Logiken, eigenen Wertssphären. Was für die Religion gilt, dass wir da die Trennung von Religion und Politik haben wollen, gilt im gewissen Sinne auch für diese mildere Form Romantik und Politik.

    Heinemann: Heute werden Coolness und politische Korrektheit hochgehalten, beides sterile, sehr starre Haltungen. Wie viel Romantik benötigt unsere Postmoderne?

    Safranski: Na ja, sie benötigt doch eine ganze Menge mehr, denke ich. Dieses Ideal der Coolness, das kommt mir doch auch immer als ein Phänomen der Frühvergreisung vor, dass Jugendliche sich cool geben und gleichzeitig schon im zarten Alter danach Ausschau halten, wie denn die spätere Berentung aussieht. Das sind so denkbar ferne Haltungen, die dem Abenteuer des Lebens nun wirklich sehr entrückt sind. Also ich denke, in einer Zeit, wo zum Teil die Coolness ein Ideal ist, da muss man mit Romantik gegenhalten.

    Heinemann: "Romantik - eine deutsche Affäre" ist im Hanser Verlag erschienen. Wir sprachen mit dem Schriftsteller Rüdiger Safranski, den Sie hier im Deutschlandfunk wieder hören können am 27. Oktober in unserer Literatursendung "Studio LCD" um 20:05 Uhr.