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Zwei Tanzwelten

Zwei neue Ballettdirektoren stellten sich dieser Tage mit großen Premieren an ihren Häusern vor. Jörg Mannes ist aus Linz an die Staatsoper Hannover gewechselt und präsentierte die Uraufführung seiner Choreografie "Molière". Das Ballett an der Dresdner Semperoper wird seit dieser Spielzeit von dem Kanadier Aaron Watkin geleitet. Dort wurde eine Uraufführung des neuen Dresdner Hauschoreografen David Dawson geboten.

Von Wiebke Hüster |
    Natürlich wurde das neue Ballett von Jörg Mannes mit besonderer Spannung erwartet. "Molière" schien ein verheißungsvoller Titel für ein Ballett, gehen doch die Anfänge dieser Kunst auf die ballets comédies am französischen Hof Ludwigs XIV. zurück. Und erst das wechselhafte Leben und die fantastischen Stücke des berühmtesten aller französischen Dramatikers - Stoff für viele Ballette, sollte man meinen. Doch hier sorgte die kluge und atmosphärisch reiche Musikauswahl fast allein dafür, dass der Abend etwas vom Flair des Versailles um die Mitte des 17. Jahrhunderts verströmte.

    In einer einfühlsam zusammengestellten Collage erklangen Werke von Francois Couperin und Jean-Philippe Rameau, aber auch Mozart, Ravels "Le Tombeau de Couperin" und schließlich moderne Musik von Charles Ives und Luciano Berio, die dem Ende des zweiten Akts eine an Molières Krankheit und Zusammenbruch auf offener Bühne erinnernde Düsternis verlieh. In den getanzten Szenenbildern von Jörg Mannes allerdings war weder von Molières krachenden Erfolgen noch von den Enttäuschungen und der Bitterkeit am Lebensende etwas zu sehen. In einer mit Barockzitaten spielenden, aber kühl modernen Ausstattung tanzten seine 27 Ensemblemitglieder wacker vor sich hin. Drei gelbe Springinsfelde traten als Phalanx der Feinde auf, vier erdbeerfarbene Molières hüpften stets im Quartett umher, sechs Gattinnen litten gemeinsam unter sechs Geliebten. Verwirrend. Genauso gut hätte auch ein anderer Dichtername auf dem Programmheft stehen können, oder Napoleon oder Edward Elgar. Brav choreografiert, tapfer getanzt, aber Thema total verfehlt.

    Zwei Tage später konnte man in Dresden lernen, wie man das macht - die große Bühne eines traditionsreichen Hauses mit dem Tanz einer funkelnagelneuen Compagnie in Brand zu setzen, das Publikum zu elektrisieren, es von den Sitzen zu reißen oder welche Pathosformeln aus dem 19. Jahrhundert hier sonst Anwendung finden mögen. Sie passen alle. Als Gala-Stück der Premiere vorangestellt war ein der Grand Pas Classique von Ballettdirektor Aaron Watkin nach Victor Gsovsky einstudiert. Diesen vor technischen Schwierigkeiten nur so knisternden Pas de deux, bei dem die Ballerina endlose Balancen auf Spitze hält, um dann anmutig neben ihrem Partner aufs Knie zu sinken, tanzten Elena Vostrotina und Dmitry Semionov, beide vom Mariinsky-Ballett. Wie diese beiden St. Petersburger so hat Aaron Watkin weitere Tänzer einigen der weltbesten Compagnien abspenstig gemacht. Jiri Bubenicek hat seinen Zwillingsbruder Otto in Hamburg bei John Neumeier zurückgelassen und ist jetzt in Dresden der danseur noble in Balanchines "Thema und Variationen" sowie einer von drei Männern in David Dawsons Uraufführung "Das Verschwundene". Die Stuttgarter Solistin Bridget Breiner und die Japanerin Yuniko Takeshima sind die neuen Weltstars an der Semperoper.

    So konnte das von Patricia Neary einstudierte Balanchine-Stück "Theme and Variations" so glamourös, exakt und temperamentvoll getanzt werden wie selten in Europa. Aber auch William Forsythes geheimnisvoller, mit Licht und Schatten dramatisch spielender Klassiker "Enemy in the figure" wurde mit seltener Verve präsentiert. Vor allem Randy Castillo riss das Publikum anschließend zu Beifallsstürmen hin. David Dawsons Uraufführung "Das Verschwundene" hatte es nach diesen drei magischen, alle Register des Ballett- Theaters ziehenden Choreografien etwas unverdient schwer. Sein zu Arvo Pärts melancholischer Musik, dem zweiten Satz aus "Tabula Rasa" komponiertes Ballett für drei Männer und sechs auf Spitze tanzende Frauen widmete sich dem Thema von Verlust und Neuanfang etwas zu vage poetisch.

    Auffällig ist bei Dawson die fast unruhig beredte Sprache der Arme seiner Tänzer. Das Stück zählt zu jenen interessanten, aber besonders fragilen Werken, deren Wirkung immens von der Konzentrationsfähigkeit und Ruhe des Publikums abhängt. Es wird sicher in den nächsten, von weniger großer Aufregung geprägten Vorstellungen noch an Klarheit und Intensität gewinnen. Nicht alles geht über Nacht, auch wenn in Dresden gerade ein neuer Stern am Himmel der Ballettwelt aufgegangen ist.