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Zweifel an AKW-Sicherheitsstandards und Endlagerplänen

Nicht nur die Laufzeitverlängerung für Atommeiler stößt Umweltverbänden beim Energiekonzept der Bundesregierung bitter auf. Sie warnen auch, dass die Sicherheitsanforderungen für Kernkraftwerke im neuen Atomgesetz gefährlich aufgeweicht würden.

Von Dieter Nürnberger | 29.09.2010
    Umweltverbänden wächst die Sorge, mit dem Energiekonzept der Bundesregierung werde das Sicherheitsrisiko Klimawandel lediglich gegen das Sicherheitsrisiko Atomkraftwerk ausgetauscht. Die Deutsche Umwelthilfe als auch Greenpeace gingen mit ihren Zweifeln an die Öffentlichkeit.

    Es geht um einen neu eingefügten Paragrafen im Atomgesetz, der nun beispielsweise bei der Deutschen Umwelthilfe sämtliche Alarmglocken läuten lässt. Die Bundesregierung spricht anhand des neuen Paragrafen 7d von einer neuen Kategorie der weiteren Sicherheitsvorsorge bei Atomkraftwerken. Die Deutsche Umwelthilfe sagt, da werde genau das Gegenteil bezweckt - und die Öffentlichkeit getäuscht.

    Bislang war es ja so, dass es hinsichtlich der Sicherheit von AKWs in Deutschland zum einen das sogenannte Restrisiko gab - ein Risiko, welches als nicht vermeidbar gilt, zudem aber auch als nicht wahrscheinlich - grob gesagt, ein Meteoriteneinschlag als Beispiel. Zum anderen gab es die Kategorie, dass die Betreiber natürlich ihre Anlagen sicherheitstechnisch stets auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand halten mussten - die bestmögliche Vorsorge eben - und dazu gehört auch längst die Gefahr durch Terrorangriffe, beispielsweise mit einem entführten Flugzeug - Stichwort: 11. September 2001.

    Durch den neuen Paragrafen 7d werde diese bisherige klare Trennung der Sicherheitskategorien aber verwässert. Rainer Baake ist Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe.

    "Bürgerinnen und Bürger haben in den vergangenen Jahren vor den Gerichten erstritten, dass beispielsweise dieser Bereich eines gezielten Flugzeugabsturzes durch Terroristen nicht dem Restrisiko zuzuordnen ist. Dass sie also an dieser Stelle einen Anspruch auf Schadensvorsorge haben. Und damit auch die Behörden verpflichtet sind, entsprechend Maßnahmen zu prüfen, die geboten sein können, auch realisiert werden können. Und dieser Rechtsschutz wird mit diesem Paragrafen 7d ausgehebelt."

    Somit können aus Sicht der Deutschen Umwelthilfe, künftig Anwohner von Atomkraftwerken nicht mehr wie bisher diese bestmögliche Vorsorge eventuell sogar einklagen. Da bestimmte Risiken künftig unter 7d, diese neue Kategorie, fallen sollen.

    Das alles passiere, so unterstellt die Deutsche Umwelthilfe, um die beschlossenen Laufzeitverlängerungen abzusichern und nicht etwa durch zusätzliche Sicherheitskosten, die die Energieunternehmen tragen müssten, zu gefährden. Cornelia Ziehm ist Energieexpertin der Deutschen Umwelthilfe.

    "Das Interessante sind dabei die Begründungen in den Formulierungshilfen der Bundesregierung: Dann sehen Sie, dass genau dies auch beabsichtigt ist. Hier wird gesagt, dass beispielsweise der Schutz vor Einwirkungen von Dritten - dahinter verbergen sich nach der bisherigen Rechtsprechung auch gezielte Flugzeugabstürze durch Terroristen - durch den 7d erfasst sein sollen. Das heißt, der Gesetzgeber maßt sich eine Zuordnung an, die eigentlich der Exekutive obliegt."

    Die Reaktorsicherheitsbehörden der Länder würden somit künftig in die Lage versetzt, nach eigenem Gutdünken zu entscheiden - die bisherige klare Zuordnung im Atomgesetz entfalle.

    Und auch in Hannover ging es heute Vormittag um Sicherheit und Atomenergie. Greenpeace legt am Vormittag eine eigene Studie vor, um zu zeigen, dass die Auswahl für Gorleben als Endlager für atomare Abfälle nicht allein aus sicherheitsrelevanten Aspekten gefallen sei. Im Mai legte ja der Historiker Anselm Tiggemann in Hannover im Auftrag der dortigen Landesregierung einen Bericht vor, der Gerüchten über die Standwortauswahl 1977 ein Ende machen sollte. Tenor: Es sei in der Bewertung des Salzstocks in Gorleben alles korrekt verlaufen. Greenpeace-Experte Mathias Edler hat nun selbst recherchiert.

    "Es ist eines der Verdienste der Studie von Dr. Tiggemann, dass er genau beschreibt, dass es das Referat 23 im niedersächsischen Wirtschaftsministerium war, zuständig für die Industrieansiedlung, die federführend das Auswahlverfahren gemacht hat. Und dieses Referat hat auch Gorleben ins Spiel gebracht. Tiggemann sagt also selbst, dass die industrie- und strukturpolitischen Interessen ausschlaggebend für Gorleben gewesen sind. Nur findet sich davon eben nichts mehr in der Endbewertung der Studie."

    Gutachter Tiggemann soll morgen vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss des Bundestags hier in als Zeuge Berlin aussagen - Greenpeace hofft nun, dass der Experte der niedersächsischen Landesregierung dann irgendwie ins Straucheln kommt.