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Zweifel an EU-Studien
Glyphosat-Gegner kritisieren Datenmanipulation

Wissenschaftler erheben schwere Vorwürfe: Die Glyphosat-Einstufung der EU-Institutionen als "nicht krebserregend" sei "in gravierender Weise falsch". Bei Studien sei die Datenlage "zugunsten" des Unkrautvernichters verändert worden. Es bestehe auch der Verdacht parteiischer Einflussnahme.

Von Daniela Siebert | 13.07.2017
    Eine mit dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat behandelte Wiesenfläche, aufgenommen am 28.04.2016 in Frohburg (Sachsen) südlich von Leipzig mit der Bundesautobahn 72 Richtung Chemnitz im Hintergrund. Foto: Sebastian Willnow
    Eine mit dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat behandelte Wiesenfläche in Sachsen. In Kalifornien kommt der Stoff auf die Krebsliste. Eine italienische Studie wies Glyphosat im Urin von Schwangeren nach. (picture alliance / dpa / Sebastian Willnow)
    "Unser Ziel ist, dass wir die Kommission dahingehend bewegen, dass sie sich tatsächlich die Daten noch mal genauer anguckt, und dann müssten sie eigentlich zu der Einsicht kommen, dass an den Vorschlägen von ECHA und EFSA irgendetwas faul ist."
    Der Toxikologe Peter Clausing. Er hat gemeinsam mit dem Statistik-Experten Christopher Portier für das Pestizid Aktions Netzwerk (PAN) die wissenschaftliche Würdigung von Glyphosat durch die EU-Institutionen ECHA und EFSA intensiv gesichtet und kommt zu dem Ergebnis, das deren Einstufung des Wirkstoffs als "nicht krebserregend" falsch sein dürfte.
    "Sie liegen falsch, weil sie ihre eigenen Regeln missachtet haben, weil sie existierende Dosisabhängigkeit bei den Studien negieren, weil sie die Wiederholbarkeit der Befunde gleichen Typs bei verschiedenen Studien abstreiten, obwohl sie nachweisbar sind und weil sie sogenannte "historische Kontrollen", die sie in gravierend falscher Weise anwenden, ins Feld führen, um die existierenden Befunde abzuschwächen und zu negieren."
    Besonders im Fokus seiner Untersuchung: Die letzte Behörde, die damit befasst war, die Europäische Chemikalienagentur ECHA, die ihre detaillierte Urteilsbegründung erst im Juni veröffentlicht hatte. Zwei kapitale Fehler sieht Clausing hier gegeben: zum einen hatte die ECHA in einem Fall fälschlich eine Viruserkrankung angeführt, die zum Ausschluss einer wichtigen Tierversuchsstudie aus der Bewertung führte, die sehr wohl für eine Kanzerogenität von Glyphosat gesprochen hat. Zum anderen sei teilweise mit Dosierungsmengen in Tierversuchen argumentiert worden, die bei Krebs-Studien irrelevant seien. Unterm Strich sei so die Datenlage zugunsten von Glyphosat verändert worden.
    Hoffnung auf neue Diskussion über das Krebsrisiko
    Peter Clausing und seine Auftraggeber hoffen nun, dass die EU-Kommission und das zuständige Pestizid-Fachgremium in Brüssel die inhaltliche Diskussion um das Krebsrisiko durch Glyphosat neu aufmachen.
    Das sieht allerdings nicht danach aus. Denn am Dienstag wurde der aktuelle – eigentlich noch nicht-öffentliche - Vorschlag der EU-Kommission bekannt, Glyphosat für weitere zehn Jahre zuzulassen, mit nur wenigen Einschränkungen. Etwa dass Mixturen mit dem giftigen Beistoff Tallowamin verboten sein sollen. Peter Clausing ärgert sich darüber, weil er versprochene Verbesserungen vermisst und viele Einschränkungen vage sind.
    "Die Einschränkungen mit Blick auf Biodiversität sind, glaube ich, sehr begrenzt. Die gemachten Einschränkungen sind sehr allgemein, die "gute landwirtschaftliche Praxis" ist ein sehr nebulöses, dehnbares Konzept und Schutz des Anwenders ist nicht spezifiziert, insofern ist da viel Spielraum in jegliche Richtung."
    Glyphosat-Kritiker lehnen Kommissionsvorschlag ab
    Auch andere Glyphosat-kritische Organisationen reagierten ablehnend auf den geleakten Kommissionsvorschlag. Der Naturschutzbund (NABU) etwa urteilt, die Kommission missachte schädliche Folgen für die Natur - er vermisst Einschränkungen für private Anwender im Haus- und Kleingartenbereich und für die Behandlung von Getreide-Feldern vor der Ernte.
    Auch Heike Moldenhauer vom BUND ist über die Pläne der Kommission empört.
    "Absolut ungenügend, weil die EU-Kommission Glyphosat zehn Jahre ohne wesentliche Beschränkungen wiederzulassen will, und sie will vor allen Dingen nicht rangehen an die Anwendung in der Landwirtschaft. Sie will nur Mitgliedsstaaten verpflichten, dass sie ein bisschen auf öffentlichen Plätzen, z. B. in Parks oder auf Spielplätzen Glyphosat minimieren, ohne dann zu sagen, wie die Mitgliedsstaaten das machen sollen."
    Landwirte: Glyphosat-Einsatz "unproblematisch"
    Aus Sicht vieler konventionell arbeitender Landwirte stellt Glyphosat unter den Pestiziden immer noch die beste Unkrautbekämpfung bereit. Der Deutsche Bauernverband verweist zudem auf die sachgerechte Anwendung als Voraussetzung für einen unproblematischen Einsatz. Heike Moldenhauer vom BUND sieht auch vor diesem Hintergrund Anhaltspunkte, es könne in der EU politisch Einfluss auf die Bewertungsprozedur gegeben haben.
    "Da die Behörden so eindeutig im Sinne der Industrie argumentiert haben, ist unser Verdacht, dass sie politischen Vorgaben gefolgt sind, dass die EU-Kommission gesagt hat, Glyphosat ist ein derart wichtiges Herbizid, wo die Landwirtschaft der EU dran hängt, wo das Geschäftsmodell von Monsanto dran hängt, wo auch der Ruf der Behörden dran hängt, dass – egal wie viele Befunde für Krebs sprechen – Glyphosat unbedingt wieder zugelassen werden muss."
    NGO vermutet Lobby-Mitwirkung bei der EFSA
    Dass parteiische Einflussnahme bei der neuerlichen EU-Bewertung von Glyphosat eine Rolle gespielt haben könnte, zeigt auch eine aktuelle Veröffentlichung von "Corporate Europe Observatory", eine Nichtregierungsorganisation für die Lobby-Kontrolle in Brüssel. Nach ihren Erkenntnissen haben europäische Glyphosat-Hersteller an der Schlussfassung des Berichtes der EFSA mitgewirkt. Und die erklärte Glyphosat im November 2015 für "wahrscheinlich nicht krebserregend".
    Links zur Untersuchung von Peter Clausing Pan Germany und des Corporate Europe Observatory.