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Zweifel an Weltoffenheit

Seit dem Mord an dem armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink tobt eine Rassimus-Debatte in der Türkei. Die Türkei, ein tolerantes, gastfreundliches Land? Dieses Bild bekommt mehr und mehr Schrammen. Gunnar Köhne berichtet.

    Kann es sein, dass Newcastles türkischer Mittelfeldspieler Emre Belözoglu dunkelhäutige Mitspieler in der englischen Premier League als Affen beschimpft hat? So lautet der Vorwurf des englischen Fußballverbandes, der gegen den türkischen Fußballnationalspieler ein Verfahren eröffnet hat. Doch das türkische Massenblatt "Hürriyet" ist schon jetzt von der Unschuld Belözoglus überzeugt: Auf ihrer Internetseite ruft die Zeitung ihre Leser dazu auf, ein auf englisch vorgefasstes Protestschreiben an alle großen englischen Tageszeitungen zu schicken.

    Seine Landsleute entdeckten plötzlich eine verdrängte, hässliche Seite, glaubt der Istanbuler Publizist Haluk Sahin. Rassismus und Intoleranz hätten historische Wurzeln:

    "Türken hatten historisch gesehen kein ausgeprägtes ethnisches Bewusstsein. Sie haben sich immer eher über die Religion definiert. Aber nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs wurde begonnen, eine Nation der Türken zu formen. Aber das war angesichts eines Vielvölkergemischs lange Zeit gar nicht möglich. Es gab bis heute zwar keine staatlich angeordneten Diskriminierungen gegen ethnische Minderheiten. Aber Araber und Roma schmutzig zu nennen, findet heute noch die wenigstens schlimm."

    Seit dem Mord an dem armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink tobt eine Rassimus-Debatte in der Türkei. Wir sind die größten Rassisten von allen, meinte gar der Schriftsteller Yasar Kemal und erntete dafür nicht nur Widerspruch bei den Rechten. Auch viele liberale Türken meinen, Dink sei ermordet worden, weil er ein kritischer Intellektueller war und nicht, weil er einer christlichen Minderheit angehörte. Die Türken - ein tolerantes, gastfreundliches Land? Dieses Bild bekommt mehr und mehr Schrammen.

    Die Beschwerden über rassistische Vorfälle häufen sich: So beklagen die Minderheit der Roma aber auch afrikanische Flüchtlinge Übergriffe der Polizei, die jedoch fast immer folgenlos bleiben. Diskriminierung im Alltag erfahren auch die Kurden des Landes in den westlichen Landesteilen der Stadt. Sie fühlen sich ständig verdächtigt entweder kriminell oder terroristisch zu sein. "Weiße Türken" nennen sich die eingesessenen Bewohner Istanbuls, um sich von den dunklen Bewohnern Ost-Anatoliens abzuheben.

    "Wenn die Kurden im Bus oder auf der Straße ihre Sprache sprechen, dann denkt man schnell, die wollen etwas verheimlichen. Und mich stört auch, dass die sich nicht anpassen können in der Großstadt. Die meinen, sie könnten so weiterleben wie in ihrem Dorf."

    Solche Äußerungen über Nicht-Türken sind häufig zu hören. Angeheizt wird der Fremdenhass durch die Medien. So sendet der Nachrichtensender "Kanaltürk" regelmäßig Programme, in denen ehemalige Soldaten über angeblich erfolgreiche Anti-Terror-Operationen gegen die verhasste PKK berichten dürfen. Besonders unrühmliches Beispiel ist die Fernsehserie "Tal der Wölfe" mit dem Helden Polat Alemdar, einem Geheimdienstoffizier mit Kontakten zur Unterwelt. In der neuestens Staffel sollte sich der selbsternannte Retter der türkischen Nation in einem bluttriefenden Rachefeldzug die kurdische PKK vornehmen. Doch daraus wurde vorerst nichts: Nach zehntausendfachen Protesten schritt die Aufsichtsbehörde für Radio und Fernsehen ein und Verbot die Ausstrahlung. Haluk Sahin gehörte zu denjenigen, die eine Verbindung zwischen solchen nationalistischen Rambo-Filmen und dem 17-jährigen Mörder Hrant Dinks zogen:

    "Diese Serie wäre gefährlich gewesen für den inneren Frieden in diesem Land. Die Kurden wären durch diese Darstellung aufs Äußerste provoziert worden. Auf der anderen Seite wären viele türkische Jugendliche aufgehetzt worden, besonders solche am Rand der Gesellschaft, die von Ultranationalisten leicht indoktriniert werden können und sich am selbst berufen fühlen könnten, die Nation vor ihren Feinden zu retten."

    Die Absetzung der Serie "Tal der Wölfe" war ein Erfolg des liberalen Teils der türkischen Gesellschaft. Doch der extreme Nationalismus ist weiterhin stark. Und viele fürchten, dass diese Stimmung sich bei den Parlamentswahlen im November auch im Parlament niederschlagen werde. Die rechtspopulistische Partei der Nationalistischen Bewegung MHP - durch ihren Jugendverband "Graue Wölfe" auch in Deutschland bekannt - scheint den Umfragen zufolge so gut wie sicher die Zehn-Prozent-Hürde zu überspringen.