Rainer Berthold Schossig: Frage an Frank Zöllner, Kunsthistoriker an der Universität Leipzig: Sie haben kürzlich ein Standardwerk über Michelangelo Buonarrotis Gesamtwerk herausgegeben. Ist dieses denn da neu aufgetauchte Inventar aus dem 16. Jahrhundert eine verlässliche Quelle, die neue Gesichtspunkte zu Michelangelos Oeuvre Umfang liefert?
Frank Zöllner: Das ist eine Quelle, die deutbar ist, aber die besagt, dass einer der Hauptbesitzer von Michelangelo-Zeichnungen, noch dazu einer der Hauptbesitzer, auf dem die Hoffnung vieler moderner Forscher ruht, dass Michelangelo ein großes zeichnerisches Oeuvre hinterlassen hat, das Inventar besagt oder legt nahe, sagen wir mal so, dass es nicht so viele gewesen sind. Um ein hohes Oeuvre, ein großes Oeuvre über erhaltene Zeichnungen voraussetzen zu können, brauchen Sie irgendjemanden, der in seiner Sammlung viel hatte, und dieses Inventar besagt nun, dass er zumindest nur vier Stück verkauft hat, als er seine Sammlung en bloc verkaufte. Man kann natürlich sagen, er hat die Besten für sich behalten, aber die Zahl vier steht in einem solchen Gegensatz zu dem, was man annehmen müsste, um ein großes Oeuvre zu haben, das kann man einfach nicht mehr vom Tisch diskutieren. Das ist das Problem bei der ganzen Geschichte.
Schlossig: Die Skepsis bezieht sich, wir reden nicht zufällig darüber, vor allem auf die Zeichnungen, die von Michelangelos Hand stammen sollen, weil den Zeitgenossen eben nur wenige Blätter bekannt waren. Wo liegen denn überhaupt für Sie als Spezialisten die Probleme bei der Zuschreibung?
Zöllner: Bei Michelangelo liegen sie ganz einfach darin, dass er zu Lebzeiten bereits kopiert wurde, dass er in seinem Umkreis Schüler und Freunde hatte, die mit ihm zusammen gezeichnet haben, die von ihm zeichnen gelernt haben, nach seinen Motiven, unter seiner Anleitung. Das ist schon mal ein Block von Zeichnungen, die können Sie heute auch durch Papieranalysen gar nicht zuordnen, ganz einfach, das sind sozusagen Zeichnungen, die sind bei ihm in der Werkstatt entstanden. Und ein anderes Problem ist im Falle Michelangelos, dass es also sogar außerhalb seines Umkreises eine ganze Reihe von Künstlern gab, die ihn imitiert haben. Michelangelo war im Grunde der Ideen- und Designideengeber des 16. Jahrhunderts, was figürliche Zeichnungen anbelangt, das heißt, die Imitation Michelangelos war Legion, man hat also unglaublich viel nach ihm geschaffen, und dieses legt sich im Grunde, dieses ganze Schaffen legt sich im Grunde über das reale Korpus der Michelangelo-Zeichnungen. Und an diesem Punkt darf man nicht vergessen, dass ja Michelangelo nachweislich mehrfach Zeichnungen vernichtet hat, offenbar auch große Mengen, und es gibt eben da ganz klare Aussagen der Zeitgenossen dazu, die haben einfach geschrieben: Das ist ein Skandal, dass dieser Mann seine Zeichnungen verbrannt hat! Und jetzt kommt dieses Inventar dazu, und einer der größten Zeichnungssammler, Michelangelo-Zeichnungen, hat in diesem Inventar nur vier Michelangelo-Zeichnungen versammelt, wo man 200 erwartet hätte.
Schlossig: Könnte denn dieser Inventarfund in Rom jetzt dazu führen, dass die bisherigen Michelangelo-Zuschreibungen ebenso brutal ausgedünnt werden wie die Rembrandts im Verlauf des berühmten Rembrandt Research Projects?
Zöllner: Das ist ziemlich wahrscheinlich, dass das passiert. Das dauert natürlich eine Weile, das Rembrandt Research Project hat ja auch eine ganze Weile gedauert, aber dieses Inventar und die Tatsache, dass dieses Buch einem großen Publikum im Grunde Forschungspositionen nochmals vorführt, die natürlich schon vorhanden waren, das ist ja insofern nichts Neues. Wir sagen ja nicht als erste, das müsste eigentlich weniger sein, der Michelangelo-Korpus der Zeichnungen. Das haben andere auch schon gesagt, bloß die wurden nicht gehört. Aber nun plötzlich kommt ein Verlag mit einem großen Buch, in vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun Sprachen wird dieses Buch publiziert, mit einer großen Verbreitung, und das wird sich natürlich im Grunde von unten durchsetzen, das wird von unten in die Forschung hineinfiltrieren. Und da können die Sammlungskuratoren, die vor allen Dingen in England, Frankreich und Italien sitzen, da können die auf lange Sicht natürlich nichts gegen machen. Da setzt sich das Argument einfach durch. Vorher war dieses Abschreibungsargument eben so, dass, zum Beispiel ein Schweizer Forscher wie Alexander Perrig, der wurde eben häufig einfach ignoriert, man hat das einfach nicht ernstgenommen oder ignoriert, was er gesagt hat. Und wenn das jetzt so massenhaft unter die Leute gebracht wird und jetzt auch noch durch die Presse geht, dann können bestimmte Leute einfach nicht mehr dran vorbei.
Schlossig: Ein kleines Inventar also mit großen Folgen, und die Renaissance-Sammler in der Welt müssen sich vielleicht darauf einstellen, dass es ein Buonarroti Research Project geben könnte. Danke an den Leipziger Kunsthistoriker Frank Zöllner zum neuen Rätselraten und Zuschreibungen bei Michelangelo Buonarroti.
Frank Zöllner: Das ist eine Quelle, die deutbar ist, aber die besagt, dass einer der Hauptbesitzer von Michelangelo-Zeichnungen, noch dazu einer der Hauptbesitzer, auf dem die Hoffnung vieler moderner Forscher ruht, dass Michelangelo ein großes zeichnerisches Oeuvre hinterlassen hat, das Inventar besagt oder legt nahe, sagen wir mal so, dass es nicht so viele gewesen sind. Um ein hohes Oeuvre, ein großes Oeuvre über erhaltene Zeichnungen voraussetzen zu können, brauchen Sie irgendjemanden, der in seiner Sammlung viel hatte, und dieses Inventar besagt nun, dass er zumindest nur vier Stück verkauft hat, als er seine Sammlung en bloc verkaufte. Man kann natürlich sagen, er hat die Besten für sich behalten, aber die Zahl vier steht in einem solchen Gegensatz zu dem, was man annehmen müsste, um ein großes Oeuvre zu haben, das kann man einfach nicht mehr vom Tisch diskutieren. Das ist das Problem bei der ganzen Geschichte.
Schlossig: Die Skepsis bezieht sich, wir reden nicht zufällig darüber, vor allem auf die Zeichnungen, die von Michelangelos Hand stammen sollen, weil den Zeitgenossen eben nur wenige Blätter bekannt waren. Wo liegen denn überhaupt für Sie als Spezialisten die Probleme bei der Zuschreibung?
Zöllner: Bei Michelangelo liegen sie ganz einfach darin, dass er zu Lebzeiten bereits kopiert wurde, dass er in seinem Umkreis Schüler und Freunde hatte, die mit ihm zusammen gezeichnet haben, die von ihm zeichnen gelernt haben, nach seinen Motiven, unter seiner Anleitung. Das ist schon mal ein Block von Zeichnungen, die können Sie heute auch durch Papieranalysen gar nicht zuordnen, ganz einfach, das sind sozusagen Zeichnungen, die sind bei ihm in der Werkstatt entstanden. Und ein anderes Problem ist im Falle Michelangelos, dass es also sogar außerhalb seines Umkreises eine ganze Reihe von Künstlern gab, die ihn imitiert haben. Michelangelo war im Grunde der Ideen- und Designideengeber des 16. Jahrhunderts, was figürliche Zeichnungen anbelangt, das heißt, die Imitation Michelangelos war Legion, man hat also unglaublich viel nach ihm geschaffen, und dieses legt sich im Grunde, dieses ganze Schaffen legt sich im Grunde über das reale Korpus der Michelangelo-Zeichnungen. Und an diesem Punkt darf man nicht vergessen, dass ja Michelangelo nachweislich mehrfach Zeichnungen vernichtet hat, offenbar auch große Mengen, und es gibt eben da ganz klare Aussagen der Zeitgenossen dazu, die haben einfach geschrieben: Das ist ein Skandal, dass dieser Mann seine Zeichnungen verbrannt hat! Und jetzt kommt dieses Inventar dazu, und einer der größten Zeichnungssammler, Michelangelo-Zeichnungen, hat in diesem Inventar nur vier Michelangelo-Zeichnungen versammelt, wo man 200 erwartet hätte.
Schlossig: Könnte denn dieser Inventarfund in Rom jetzt dazu führen, dass die bisherigen Michelangelo-Zuschreibungen ebenso brutal ausgedünnt werden wie die Rembrandts im Verlauf des berühmten Rembrandt Research Projects?
Zöllner: Das ist ziemlich wahrscheinlich, dass das passiert. Das dauert natürlich eine Weile, das Rembrandt Research Project hat ja auch eine ganze Weile gedauert, aber dieses Inventar und die Tatsache, dass dieses Buch einem großen Publikum im Grunde Forschungspositionen nochmals vorführt, die natürlich schon vorhanden waren, das ist ja insofern nichts Neues. Wir sagen ja nicht als erste, das müsste eigentlich weniger sein, der Michelangelo-Korpus der Zeichnungen. Das haben andere auch schon gesagt, bloß die wurden nicht gehört. Aber nun plötzlich kommt ein Verlag mit einem großen Buch, in vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun Sprachen wird dieses Buch publiziert, mit einer großen Verbreitung, und das wird sich natürlich im Grunde von unten durchsetzen, das wird von unten in die Forschung hineinfiltrieren. Und da können die Sammlungskuratoren, die vor allen Dingen in England, Frankreich und Italien sitzen, da können die auf lange Sicht natürlich nichts gegen machen. Da setzt sich das Argument einfach durch. Vorher war dieses Abschreibungsargument eben so, dass, zum Beispiel ein Schweizer Forscher wie Alexander Perrig, der wurde eben häufig einfach ignoriert, man hat das einfach nicht ernstgenommen oder ignoriert, was er gesagt hat. Und wenn das jetzt so massenhaft unter die Leute gebracht wird und jetzt auch noch durch die Presse geht, dann können bestimmte Leute einfach nicht mehr dran vorbei.
Schlossig: Ein kleines Inventar also mit großen Folgen, und die Renaissance-Sammler in der Welt müssen sich vielleicht darauf einstellen, dass es ein Buonarroti Research Project geben könnte. Danke an den Leipziger Kunsthistoriker Frank Zöllner zum neuen Rätselraten und Zuschreibungen bei Michelangelo Buonarroti.