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Zweifelhafter "Kriegsheld"

Erich Ludendorff - nachdem er die deutschen Truppen einst in die Niederlage geführt hatte, schmiedete er die Dolchstoßlegende, die vor allem zum Dolchstoß für die erste deutsche Demokratie wurde. In der Ludendorff-Biografie konzentriert sich Autor Manfred Nebelin auf die Rolle des Generals im Ersten Weltkrieg.

Von Volker Ullrich | 02.05.2011
    "Es war in ihm etwas Napoleonisches, und er wird zweifellos für alle Zeiten zur Reihe der ganz großen Deutschen gehören."

    So kommentierte der liberale Politiker und Publizist Friedrich Naumann die Entlassung General Erich Ludendorffs am 26. Oktober 1918. Zu den "ganz großen Deutschen" wird Ludendorff heute gewiss nicht mehr gezählt. Im Gegenteil, er gilt neben Kaiser Wilhelm II. und Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg als eine der unheilvollen Brückenfiguren auf dem Weg von Bismarck zu Hitler.

    Während über Wilhelm II. und Hindenburg gerade in den vergangenen Jahren zwei bedeutende Werke, verfasst von John Röhl und Wolfram Pyta, erschienen sind, fehlte bislang eine wissenschaftlich fundierte und zugleich ein größeres Publikum ansprechende Biografie Ludendorffs. Manfred Nebelins Buch schließt diese Lücke nur teilweise. Es handelt sich, anders als bei den Arbeiten von Röhl und Pyta, nicht um eine das gesamte Leben umfassende Darstellung. Im Mittelpunkt steht Ludendorffs Wirken im Ersten Weltkrieg. Sein Kampf gegen die Weimarer Republik, der ihn im Münchner Novemberputsch von 1923 an die Seite Hitlers führte, wird am Ende nur noch gestreift. Diese Selbstbeschränkung ist zu bedauern. Denn während es für die Phase von Ludendorffs Sturz im Oktober 1918 bis zu seinem Tod im Dezember 1937 noch manches zu erforschen gibt, sind wir über die Jahre des Weltkriegs von 1914 bis 1918 bereits recht gut im Bilde.

    So bietet diese Teilbiografie auch wenig Neues, dafür aber eine solide, Quellen und Literatur gleichermaßen sorgfältig interpretierende Synthese. Einen besonderen Akzent legt der Autor auf das spannungsreiche Verhältnis von Politik und Kriegführung.

    "Das Militär kommt nach der Politik, nur im Kriege ist es ihr Schrittmacher."

    Dieses Wort Ludendorffs, das den Anspruch auf einen Primat des Militärischen im Krieg begründete, macht Nebelin zum Leitfaden seiner Darstellung. Zunächst freilich schildert er die kometenhafte militärische Karriere Ludendorffs vor 1914, die ihn bereits mit jungen Jahren – für einen Mann bürgerlicher Herkunft im Kaiserreich ungewöhnlich – in den Großen Generalstab nach Berlin führte. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde der ehrgeizige Offizier mit der handstreichartigen Eroberung der belgischen Festung Lüttich zu Beginn des Kriegs, vor allem aber mit dem gemeinsam mit Hindenburg errungenen Sieg bei Tannenberg über eine zahlenmäßig weit überlegene russische Armee Ende August 1914. Seitdem wurde dem Feldherrnduo Hindenburg-Ludendorff der Nimbus der Unbesiegbarkeit zugeschrieben. Nebelin lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass Ludendorff der strategische Kopf in diesem Tandem war, während dem populäreren Hindenburg die Rolle der Galionsfigur nach außen zukam. Er zitiert, was Generalmajor Max Hoffmann im Herbst 1915 einem Brief anvertraute:

    "Es gibt doch manches Komische in der Welt. Wenn das deutsche Volk wüsste, dass sein Held Hindenburg eigentlich Ludendorff heißt."

    Scharf markiert der Autor die Zäsur von Ende August 1916, als Hindenburg und Ludendorff anstelle des glücklosen Generalstabschefs Erich von Falkenhayn an die Spitze der Obersten Heeresleitung berufen wurden. Diese Entscheidung machte den Weg frei für eine Radikalisierung der Kriegführung, die auf die "totale Mobilmachung" aller materiellen und personellen Reserven des Reiches zielte. Die anfänglichen Töne der Bewunderung für die militärischen Fähigkeiten Ludendorffs machen nun einer kritischen Betrachtung Platz. Als größten Fehler rechnet ihm der Autor den Entschluss zum unbeschränkten U-Boot-Krieg an, den Ludendorff Anfang Januar 1917 gegen den Widerstand des Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg durchsetzte. Dabei nahm er bewusst das Risiko eines Kriegseintritts der Vereinigten Staaten in Kauf.

    "Ich pfeife auf Amerika. Was kann es uns tun? Herüber kommen sie nicht."

    Eine, wie man weiß, groteske Unterschätzung des militärischen und wirtschaftlichen Potenzials der USA. Mit dem Sturz Bethmann Hollwegs im Juli 1917 sieht Nebelin Ludendorff auf dem Höhepunkt seiner Macht, ja er spricht von einer "Diktatur" des Generals. Doch das ist eine Übertreibung. Denn so mächtig Ludendorff auch war – allein herrschen konnte er nicht.

    Trotz seines Bedeutungsverlusts im Krieg hatte der Kaiser bei der Besetzung der höheren Reichsämter immer noch ein wichtiges Wort mitzureden. Vor allem aber verkennt der Autor das wachsende Gewicht der neuen Reichstagsmehrheit aus Sozialdemokratie, katholischem Zentrum und liberaler Fortschrittspartei, auf deren Wünsche die Militärs Rücksicht nehmen mussten. Allerdings war es nicht das Auswärtige Amt, sondern Ludendorff, der im Frühjahr 1918 die überaus harten Friedensbedingungen formulierte, die dem revolutionären Russland im Vertrag von Brest-Litowsk auferlegt wurden. Für Nebelin enthüllen sich in diesem Diktatfrieden die Umrisse eines gigantischen "Imperium Germaniae", mit dem Ludendorff die deutsche Herrschaft über Osteuropa errichten und dauerhaft sichern wollte. In den abgetrennten Gebieten sollte Raum für deutsche Siedler geschaffen werden.

    "Hier gewinnen wir die Zuchtstätten für Menschen, die für weitere Kämpfe nach Osten nötig sind. Diese werden kommen, unausweichlich."

    Von hier führt eine direkte Linie zu Hitlers Programm der Eroberung von "Lebensraum im Osten", auch wenn der Autor zu Recht betont, dass die deutsche Besatzungsherrschaft im Ersten Weltkrieg noch nicht mit der Versklavungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg zu identifizieren ist. Ende März 1918 setzte Ludendorff, einem Hazardeur gleich, im Westen noch einmal alles auf eine Karte – und verspielte alles. Das Scheitern der letzten großen Offensive besiegelte die deutsche Niederlage. Nebelin zeichnet den rasanten Autoritätsverfall Ludendorffs in den letzten Monaten des Krieges nach, und er zeigt, wie sich der geschlagene Feldherr, noch bevor er Ende September 1918 zum militärischen Offenbarungseid gezwungen war, auf die Suche nach Sündenböcken machte.

    Damals brütete er die "Dolchstoß-Legende" aus, die besagte, dass das deutsche Heer durch die "Wühlarbeit" von Sozialisten und Juden in der Heimat um die Früchte des Sieges betrogen worden sei. Diese giftige Geschichtslüge sollte sich als eine schwere Hypothek für die Republik von Weimar erweisen. Auf dieses Kapitel geht der Autor leider nicht mehr näher ein. Mit seiner gut lesbaren, im historischen Urteil pointierten Darstellung hat er aber eine wichtige Vorarbeit für eine noch zu schreibende Gesamtbiografie Ludendorffs geleistet.

    Manfred Nebelin: "Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg."
    Siedler Verlag, 752 Seiten, 39,99 Euro
    ISBN 978-3-886-80965-3