Archiv


Zweikampf der Königinnen

Vor dem Wormser Dom geht es bald so zu wie beim Salzburger "Jedermann" von Hofmannsthal. Prominente Schauspieler schmücken die Festspiele bei den Nibelungenfestspielen in der Domstadt. André Eisermann und Anouschka Renzi, Walter Plathe und Meret Becker sollen Besucher locken. Zwei Stücke werden abwechselnd gezeigt "Siegfrieds Frauen" und "Die letzten Tage von Burgund".

Von Hartmut Krug |
    In Worms träumt man bereits im achten Jahr den Traum, als Festspielstadt ein zweites Salzburg zu sein. Jahr für Jahr holt sich der als Fernsehregisseur bekannt gewordene Dieter Wedel als Leiter der Nibelungen-Festspiele für seine Inszenierungen Stars aus Film und Fernsehen auf die große Bühne vor dem historischen Dom, um sich von ihnen und ihrer medialen Scheinwelt den erhofften Glanz und die gewünschte öffentliche Bedeutung zu borgen.

    So beginnt das eigentliche Theater bereits Stunden vor der Aufführung. Ein roter Teppich führt die VIPs direkt hinauf zum Händedruck mit dem Oberbürgermeister, während sich die Einheimischen hinter Absperrgittern drängeln. Kurt Beck hält eine kurze Ansprache und Mutter Beimer alias Marie-Luise Marjan Hof, TV-Moderatoren und Soap-Sternchen setzen sich im Blitzlichtgewitter luftig bekleidet in Szene und verblasste Unterhaltungsstars wie Dunja Rajter und neue wie ein Juror nebst Model von "Germany´s Next Top Model" flanieren im Park vor dem Dom zwischen den Zelten von so genannten "Mastersponsoren" umher. Der Rahmen dieses Events bleibt dabei natürlich nicht ohne Einfluß auf die Aufführungen.

    Anders als 1937 bis 1939, als Hebbels "Nibelungen" in Worms mit Goebbels als nationalsozialistisches Aufbauwerk gefeiert wurden, wird der Mythos allerdings nicht mehr politisch instrumentalisiert, sondern vor allem bunt illustriert und auf die unterste Einverständnisebene einer allgemein verständlichen Eindeutigkeit herunter gezogen. Dabei hat Moritz Rinke den Text schwungvoll und elegant ironisiert. Indem er die Geschichte von allem Pathos und allen falschen Heldenposen befreit hat, schaut der Zuschauer mit dem Autor von heute aus auf die alte Geschichte, die nichts heroisches mehr besitzt, sondern die die Erbärmlichkeit der tödlichen Streitereien deutlich werden lässt. Nachdem man in den ersten beiden Jahren seit 2002 Rinkes neue "Nibelungen"-Version an einem einzigen, überlangen Abend gespielt hatte, setzte man für zwei Jahre Friedrich Hebbels Version in Karin Henkels Regie auf den Spielplan, bis 2006 und 2007 Dieter Wedel eine Neufassung von Rinkes Text arrangierte, die den Mythos auf zwei Abende verteilte. In diesem Jahr nun zeigt man beide Teile im täglichen Wechsel. Wedel hat dafür mit seinen Dramaturgen John von Düffel und Rainer Hofmann für "Siegfrieds Frauen" und "Die letzten Tage von Burgund" Moritz Rinke und Friedrich Hebbel zusammenmontiert und mit eigenen Handlungsideen erweitert und völlig neue "Nibelungen" angekündigt. Doch letztlich wurden in das Gerüst seiner alten Inszenierung nur einige wenige neue Szenen montiert. Im ersten Abend, "Siegfrieds Frauen", wurde die historische Figur des Spielmanns Volker von Alzey eingefügt, der sich, die alte Geschichte erinnernd, von heute aus singend und kommentierend einmischt. Leider wird ihm dabei weder von der Regie genug Raum gegeben noch wird ihr von Walter Plathe als Darsteller des Spielmanns genug erobert. Wo die Aufführung laut Ankündigung "den Lyriker Hebbel mit dem geschickteren Dramatiker Rinke" neu zu verknüpfen sucht, schon das eine kühne und bestreitbare Einschätzung, da schiebt sich Walter Plathe meist nur mit statischer Undeutlichkeit ins Geschehen.

    War im vergangenen JahrAnnika Pages eine aggressive Brünhild im Lederbikini, so ist jetzt Meret Becker eine Brünhild von eher mild-versonnener Art und direkter Emotionalität. So wie Kriemhild von Balkon oder Baum heruntersteigt an den Hof und in die politischen Kämpfe gezogen wird, so steigt auch Brünhild von ihrem Eispferd in eine Welt, in die sie nicht gehört. Während Kriemhild gegen eine erstarrte Gesellschaft rebellieren will und dann in einer Ehe mit Siegfried landet, die in Routine erstarrt, so wird Brünhild, in der Nacht scheinbar von ihrem Ehemann bezwungen, zu einer ins höfische Leben sich einpassenden Frau. Zwar bleibt Annett Renneberg als Kriemhild nur noch wenig von Rinkes Text, in dem sie vom nötigen Ansturm gegen einer tote Gesellschaft und einen Reformstau spricht, doch Annett Renneberg gibt ihrer Figur eine starke Selbstbewusstheit. So bestimmen die beiden Darstellerinnen mit ihrer so gegensätzlichen Intensität eine Aufführung, die oft nicht weit vom Boulevard entfernt bleibt. Robert Dölle spielt seinen meist halbnackten Recken Siegfried wie ein deutliches Zitat, und auch die anderen Darsteller bieten solides bis präzises Schauspielerhandwerk.

    Uwe Bohm gibt Hagen als einen einflussreichen, lohnabhängigen Außenseiter. Dieser Hagen hält alles am Laufen, weil er eigentlich über seine Position hinaus will. Bohm zeigt Hagen, den Hut in der Hand oder auf dem Kopf, den weißen Schal überm dunklen Anzug, als einen Manager der Macht.

    In Wedels neuer Version von "Die letzten Tage von Burgund" gibt es radikale Änderungen der alten Geschichte. Wedel erfindet neue Gründe für den Untergang der Nibelungen. Bei ihm ist Kriemhild mit Etzel glücklich geworden, weshalb sie nicht mehr an Rache denkt und auch keinen Besuch mehr von den Burgundern wünscht. Doch da diese wirtschaftlich am Ende sind und sich von Etzel Unterstützung erhoffen, reisen sie aus eigenem Antrieb an. Und da Hagen Kriemhild liebt, was in quälend langwierigen Szenen mit psychologisch verquasten Klischeesätzen erklärt wird, nimmt das Unheil doch seinen Lauf. Denn, merke Kriemhild, behauptet Wedels Hagen: "du musst alles töten, was du liebst" und als das allgemeine Morden durch Hagens Aktionen anhebt, weist er Kriemhild die Schuld zu mit dem Satz "Das hast du doch gewollt". Da sind wir für Kriemhilds Antwort richtig dankbar, wenn sie, allerdings vergeblich, beteuert "Ich bin nicht wie ihr alle denkt." Wie sich bei Wedels "Die letzten Tage von Burgund" das Geschehen durch küchenpsychologische Behauptungen in unfreiwillige Komik und freiwilligen Kitsch verrennt, das lässt eine in manchen großen Arrangements und etlichen Schauspielerleistungen durchaus ansprechende Inszenierung letztlich doch scheitern. So zahlt Dieter Wedel den profanierten Mythos nur in kleiner Fernsehspielmünze aus, - was dem einverständigen Premierenpublikum dennoch oder gerade deshalb durchaus gefiel.