Auf dem Stuttgarter Plakat zu Peter Verhelst´ "Romeo und Julia"-Version drückt ein Mann blutiges Gedärm an seinen Kopf, während für Gesine Danckwarts Hamburger Prosaversion werbend auf die Verfilmung mit Leonardo DiCaprio, aber auch auf die Besetzung der männlichen Hauptrolle mit dem von einer Handvoll Filme her bekannten jungen Robert Stadlober verwiesen wird. Beide Stückversionen machen sich ihren eigenen, nicht unbedingt neuen Reim auf Shakespeares Tragödie um Liebe und Lust, Aggression und Leid, Leidenschaft und Tod. Wobei es in beiden Fassungen nur Prosa und keine Reime mehr gibt. Auch den Balkon mit der berühmtesten Liebeszene des Theaters gibt es nicht, in Hamburg erlebt man immerhin noch Rudimente der Szene, die konsequenter Weise auf einem Laufsteg ins Parkett statt finden, doch weder von Lerche noch von Nachtigall ist die Rede. Zeitlos und existentiell kommen beide Fassungen daher, denn beide wollen sie ungeheuer grundsätzlich sein. Peter Verhelst nennt seine Version gar die "anatomische Studie" eines ertrinkenden Körpers. Er pflanzt in Shakespeares Stück, in dem ein gesellschaftlicher Riß durch die Welt der Liebenden geht, der Liebe und Harmonie unmöglich macht, den Todestrieb und den Drang zur Selbstvernichtung. Wo Shakespeare mit so einfacher Mehrdeutigkeit wie bezwingender psychologischer Klarheit seine Figuren führt, da belädt sie Peter Verhelst mit allen Theorien, die je das Verhältnis von Sexualität und Gewalt zu erhellen suchten. In Stuttgart geht es mit szenischer Heftigkeit um die vergebliche Suche nach der Möglichkeit, wie man einen "Körper, in dem das Blut rauscht, beherrschen kann", in Hamburg, wo die steifen Arrangements des jungen Regisseurs Nils Daniel Finckh wie eine Theaterverweigerung wirken, geht es in tröpfelnden Sätzen um die melancholische Liebes-Verzweiflung. Todestänze sind es beide. Der findet in Stuttgart unter schwarzem, tief hängendem Tuch in einer scharf rythmisierten, musikalisch untermalten, oft Szenen und Personen simultan überschneidenden Inszenierung von Elias Perrig statt. Das trumpft wie die die Stückfassung von Verhelst mächtig auf. Während Gesine Danckwarths Prosatext in Hamburg mit geschmeidiger, uneitler Einfachheit einen Totentanz fast beiläufig instrumentiert, der in der langsamen, durch die Musikwahl athmosphärisch absichtsvoll bestimmten Inszenierung von Niels Daniel Finckh in einer düster-zeitlosen Glasfassaden-Szenerie mit Abwasserkanal spielt. Beide Versionen konzentrieren sich, alles szenische und personelle, auch familiäre Kolorit des Titelpaares entfernend, auf den psychologischen Kern der Liebesbeziehung zwischen Romeo und Julia.
In Hamburg ist der schmal-schlaksige Robert Stadtlober ein recht passiver, fast schon zweifelnder Romeo, während Jana Schulz die Julia als selbstbewußt burschikoses Mädchen gibt, das auf den jungen Mann auch mal wasserspritzend und barbusig zugeht. Aber auch wenn sie lockere Klamotten von heute trage: wirklich von heute sind beide deshalb noch lange nicht.
Wo in Hamburg der verbannende Herzog ganz fehlt, da sitzt er in Stuttgart auf einer Art Barhocker "wie der schreiende Papst von Francis Bacon", so die Szenenanmerkung des Autors. Dieser lässt auch sonst dem Publikum keinen Raum. Er ist nie mehrdeutig, sondern immer eindeutig tief und erklärt und dekretiert dem Zuschauer alles überaus deutlich. Stück und Figuren sind mit düsterer Klischee-Eindeutigkeit ausgestattet. Hier meint einer voller Stolz Tiefenschichten dieser Shakespeare-Tragödie aufgedeckt zu haben, ohne die reichhaltige Oberfläche des Stückes zuvor wirklich erschlossen zu haben. Gewalt ist erotisch und Sexualität aggressiv, und Körper sind Waffen. Liebes- und Todesumarmung werden eins, weshalb der hier Teobaldo heißende Tybalt sich, um Romeo zu einer Leidenschaft zu zwingen und zugleich selbst etwas zu spüren, völlig von selbst in dessen Messer drängt, und natürlich wird jeder zu seiner Geschlechtsidentität hin abgerichtet. Während Julia auf der Schaukel in ihrer Liebessehnsucht bekennt, "Ich bin eine Blume, die nach dem Messer giert", reden darunter die Männer von dem "Dolch aus Fleisch", den sie zwischen den Beinen tragen. Verhelst Sätze verheddern sich oft zwischen wichtigtuerischer Schwülstigkeit und nüchterner Härte, und der todtraurige philosophische Abgesang, mit dem der Fürst als in Blut und Todestrieb ertrinkender Körper das Trauerspiel beschließt, stellt noch einmal die auftrumpfende Bedeutsamkeit von Verhelst Version aus und bloß. Elias Perrig hat rund um eine metallisch klinische Bahre, auf der zum Schluss die Toten ausbluten, mit einem homogenen und beeindruckenden Ensemble ein kräftiges Spiel der schnellen, oft synchronen Szenen choreografiert. Zweimal Shakespeares "Romeo und Julia" als humorloses Endspiel in jeweils kaum zwei Stunden: auch die Liebe bietet keine Hoffnung nirgends mehr. Warum das allerdings so ist, oder vielleicht etwa doch nicht so ist, darüber wußte Shakespeare eindeutig mehr zu sagen als seine klügelnden Verbesserer in Hamburg und Stuttgart.
In Hamburg ist der schmal-schlaksige Robert Stadtlober ein recht passiver, fast schon zweifelnder Romeo, während Jana Schulz die Julia als selbstbewußt burschikoses Mädchen gibt, das auf den jungen Mann auch mal wasserspritzend und barbusig zugeht. Aber auch wenn sie lockere Klamotten von heute trage: wirklich von heute sind beide deshalb noch lange nicht.
Wo in Hamburg der verbannende Herzog ganz fehlt, da sitzt er in Stuttgart auf einer Art Barhocker "wie der schreiende Papst von Francis Bacon", so die Szenenanmerkung des Autors. Dieser lässt auch sonst dem Publikum keinen Raum. Er ist nie mehrdeutig, sondern immer eindeutig tief und erklärt und dekretiert dem Zuschauer alles überaus deutlich. Stück und Figuren sind mit düsterer Klischee-Eindeutigkeit ausgestattet. Hier meint einer voller Stolz Tiefenschichten dieser Shakespeare-Tragödie aufgedeckt zu haben, ohne die reichhaltige Oberfläche des Stückes zuvor wirklich erschlossen zu haben. Gewalt ist erotisch und Sexualität aggressiv, und Körper sind Waffen. Liebes- und Todesumarmung werden eins, weshalb der hier Teobaldo heißende Tybalt sich, um Romeo zu einer Leidenschaft zu zwingen und zugleich selbst etwas zu spüren, völlig von selbst in dessen Messer drängt, und natürlich wird jeder zu seiner Geschlechtsidentität hin abgerichtet. Während Julia auf der Schaukel in ihrer Liebessehnsucht bekennt, "Ich bin eine Blume, die nach dem Messer giert", reden darunter die Männer von dem "Dolch aus Fleisch", den sie zwischen den Beinen tragen. Verhelst Sätze verheddern sich oft zwischen wichtigtuerischer Schwülstigkeit und nüchterner Härte, und der todtraurige philosophische Abgesang, mit dem der Fürst als in Blut und Todestrieb ertrinkender Körper das Trauerspiel beschließt, stellt noch einmal die auftrumpfende Bedeutsamkeit von Verhelst Version aus und bloß. Elias Perrig hat rund um eine metallisch klinische Bahre, auf der zum Schluss die Toten ausbluten, mit einem homogenen und beeindruckenden Ensemble ein kräftiges Spiel der schnellen, oft synchronen Szenen choreografiert. Zweimal Shakespeares "Romeo und Julia" als humorloses Endspiel in jeweils kaum zwei Stunden: auch die Liebe bietet keine Hoffnung nirgends mehr. Warum das allerdings so ist, oder vielleicht etwa doch nicht so ist, darüber wußte Shakespeare eindeutig mehr zu sagen als seine klügelnden Verbesserer in Hamburg und Stuttgart.