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Zweischneidiges Schwert

Medizin. – Das neue Bild des Menschen stand im Zentrum einer Konferenz der Burda-Akademie zum 3. Jahrtausend in der Heidelberger Stadthalle. Die Errungenschaften der modernen Medizin lassen das Bild bisweilen in erschreckenden Farben erscheinen. Einen dieser Aspekte, die Gentests, erörterte Claus Rainer Bartram, Chef des Instituts für Humangenetik am Uniklinikum Heidelberg im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte Arndt Reuning.

    Reuning: Herr Professor Bartram, stehen wir vor dem wahrhaft gläsernen Menschen?

    Bartram: Nein, ich denke, dass diese Befürchtung übertrieben ist. Das hängt einfach schon damit zusammen, dass der Mensch halt mehr ist als die Summe seiner Gene. Hinzu kommt dann, dass wir die Genfunktionen, und wie das genetische Programm in einer Zelle sinnvoll abgerufen wird, noch nicht ganz verstanden haben. Insofern ist die Metapher vom gläsernen Menschen überzogen. Auch wenn wir heute natürlich schon sehr viel mehr Wissen über die molekularen Grundlage von Erkrankungen haben und dieses Wissen auch in der Tat in der Diagnostik, in der Therapie, aber auch in der Prävention einsetzen können.

    Reuning: Wie aussagekräftig sind in dann die Ergebnisse von einzelnen Gentests?

    Bartram: Das hängt sehr von der Situation ab. Zunächst einmal ist auch ein Gentests eine Methode, die natürlich auch funktionieren muss. Das heißt, es müssen die übliche Qualitätskriterien eingehalten werden. Der zweite Punkt ist dann aber die Aussagekraft dieses Gentests. Und diese Aussagekraft kann sehr unterschiedlich sein. Es gibt ja insgesamt nahezu 1000 Gentests und einige können bestimmte Fragen, die man mit diesen Tests verknüpft, sehr genau beantworten. Zum Beispiel eine Unterteilung bestimmte Erkrankungen nach der molekularen Ursache. Es gibt dann aber auch eine ganz neue Gruppe von genetische Tests, die gar nicht an Erkrankten durchgeführt werden, sondern wo gefragt wird, ob ein Mensch eine bestimmte Disposition, Anlage zu einer bestimmten Krankheit hat, die vielleicht erst in Jahren oder Jahrzehnten ausbricht. Das nennt man die prädiktive oder präsymptomatische Diagnostik. Und hier gibt es Unterschiede. Es gibt einige Dispositionen, die, wenn man Anlagenträger ist, dann auch zu 100 Prozent ausbrechen, und es gibt aber auch eine Bandbreite von weniger starken Risiken. Dieses muss man natürlich mit den Menschen vorher besprechen, damit sie wissen, worauf sie sich einlassen.

    Reuning: Welches Potenzial sehen Sie für die Zukunft?

    Bartram: Nun, im Prinzip das, was sie heute auch schon können. Das heißt, auf Fragen mehr oder weniger gezielte Antworten geben. Das heißt, wir werden in der Medizin eine Individualisierung erleben, was eigentlich positiv ist. Wir haben es eben in der modernen Medizin nicht nur mit einem Schubladendenken zu tun, im Sinne von Krankheiten, sondern wir realisieren, dass jeder Mensch seine eigene Erkrankung hat, weil verschiedene genetische Einflussgrößen und Umweltfaktoren zusammenkommen müssen, dass dieser Menschen krank wird. Und diese Individualisierung der Medizin hat natürlich dann auch weit gehende Bedeutung für die Therapie, oder aber eventuell auch für die Prävention von Erkrankungen.

    Reuning: Wie sehen den Kosten aus?

    Bartram: Nun, Gentests werden unterschiedlich teuer. Es gibt welche für ein paar Euro, und es gibt welche, die einige 1000 Euro kosten, je nach Komplexität der Frage. Und es ist in der Tat so, dass wir es in der modernen Medizin nicht mit einer Kostenexplosion zu tun haben, sondern mit einer Leistungsexplosion. Wir können viel mehr machen heute, die Frage ist nur, wie wir dann Prioritäten setzen. Es ist völlig klar, dass wir hier ein in Zukunft in der Gesellschaftspolitik besonders brisantes Thema haben. Wir müssen alle miteinander realisieren, dass nicht jedes Unwohlsein eine Krankheit ist, dass nicht jede Krankheit zum Arztbesuch führen muss und dass nicht jede Arztbesuch in einer Fülle von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen enden muss. Das ist ein Prozess, auf den wir uns alle einstellen müssen, eine große Aufgabe.