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Zweisprachig zwischen den Stühlen

Am Institut für Deutsche Sprache ist eine Studie über türkische Migrantinnen entstanden. Die türkischen Powergirls, wie sie sich selbst nennen, sind frech, flippig und modern, haben ein eigenes Selbstbild und vor allem einen eigenen Kommunikationsstil, für den sich die Sprachwissenschaftler interessieren. Denn das scheinbare Kauderwelsch aus zwei Sprachen folgt einer genau geregelten Misch-Grammatik. Gute "Mischer" beherrschen die beiden Sprachen nicht halb, sondern eher doppelt so gut wie andere Jugendliche.

Von Cajo Kutzbach | 11.10.2007
    "Sin so kleine Kinder babalarini itekliyorlar und so; Papa schau mal. Falan filan ne bileyim neydi; auf jeden Fall acayip, das hat mich schon ziemlich mitgenommen."

    So klingt es, wenn eine junge Türkin in Mannheim ihren Freundinnen erzählt, wie sie beim Ausprobieren eines Rollstuhles an der Haltestelle angeschaut wurde. Mitten im Satz und in hohem Tempo wechselt sie die Sprache. Wer nicht mit beiden Sprachen vertraut ist, versteht nur die Hälfte.

    Genauer untersucht hat diese Sprachform Dr. Inken Keim am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Ihre Studie heißt: "Lebenswelt und kommunikativer Stil einer Migrantinnengruppe in Mannheim". Dazu hat sie vier Jahre lang junge türkischstämmige Frauen begleitet und viele Gespräche mitgeschnitten, abgeschrieben und analysiert. Überraschend ist, dass dieser scheinbare Kauderwelsch sich streng an die Grammatik hält:

    "Sprachmischungen sind in allen bilingualen Gemeinschaften weltweit zu finden und sind für sehr, sehr viele bilinguale Gemeinschaften beschrieben. Die sind normal. Und die Forschung hat festgestellt, dass gute "Mischer" die Grammatik beider Sprachen hervorragend beherrschen. Nur dann kann man mischen. Das heißt, wenn die die Sprachen sozusagen kombinieren, kombinieren sie so, dass die Regeln beider Sprachen nicht verletzt werden. Das heißt, die Mischungen sind keine zufällig Ansammlung von Wörtern ohne zugrunde liegende Struktur, sondern die Mischungen sind ganz geregelt."

    In der Niederschrift fällt auf, dass teilweise türkische Ortsbezeichnungen an deutsche Worte angehängt werden, etwa "Bahnin", für "in der Bahn", oder "Haltestellede" für "an der Haltestelle".

    Die Mädchen waren aufgefallen, weil sie angeregt von ihren Müttern in der Grundschule im Ghetto sehr gute Noten hatten und damit aufs Gymnasium wechselten. Damit mussten sie das Ghetto verlassen und sahen sich mit einer völlig neuen Welt konfrontiert, in der es nicht nur Arbeiterkinder gab, sondern auch die von Akademikern.

    Das Gymnasium und die Mitschüler erwarteten, dass sie nur deutsch sprachen. Dadurch schlossen sich die jungen Mädchen enger zusammen und gerieten zwischen alle Stühle: Im Gymnasium beantworteten sie die Ausgrenzung dadurch, dass sie keine Deutschen sein wollten, daheim im Ghetto wollten sie aber auch keine traditionsverhafteten Türken sein.

    Zum Glück fanden sie Halt in der Gruppe und Hilfe bei einem Jugendzentrum, das ihnen half ihre Wut und Energie in sinnvolle Bahnen zu lenken. Heute sind sie meist im Beruf oder im Studium. Aber selbst da ist die Zweisprachigkeit nicht unbedingt ein Vorteil, wenn es gilt Sprachanalysen zu betreiben, wie Inken Keim von einem der Mädchen hörte:

    "Für mich ist es schwer. Ich denke, dass die anderen es nicht so schwer haben. Das sind ja nur Deutsche. Die erzählen das alles locker und bei mir - ich denke dann - bei mir klingt es komisch. Lieber sag ich nix."

    Diese Gruppe junger Frauen ist intelligent, sehr ehrgeizig und will alles gut machen. Aber sie mussten ständig gegen Vorurteile ankämpfen.

    "Diese schreckliche Vorstellung, die in Bildungsinstitutionen immer noch weit verbreitet ist, also dieser Semilingualismus, diese doppelte Halbsprachigkeit - sie können keine Sprache richtig - das ist ein tödliches Argument für die jungen Leute, weil damit wird immer ein Defekt entweder offen ausgesprochen oder impliziert, das ist derart hemmend für die jungen Leute."

    Das beschreibt auch eine der jungen Frauen in einem Gespräch mit Inken Keim:

    "Es liegt auch daran, dass ich jahrelang in der Klasse saß und nicht so viel mündlich beigetragen hatte, weil ich immer dachte, ich kann nicht so gut. Oder wenn die Anderen gelacht hatten, das macht ja auch unsicher, wenn man etwas falsches Grammatikalisches gesagt hat. Das ist schon von klein an irgendwie, dass der Gedanke da ist: Ich kann nicht so gut sprechen."

    Sprache wird sehr häufig zur sozialen Ausgrenzung missbraucht, um jemanden spüren zu lassen, dass er nicht dazu gehört. Aus Sicht der Wissenschaft ist das fragwürdig, denn:

    "Es gibt in der Forschung keine klare Definition, was zweisprachig ist. Auch ein Monolingualer - wie sie oder ich - wir können mehrere Dialekte, wir können verschiedene Fachsprachen, oder auch nicht. Also diese totale Einsprachigkeit gibt's überhaupt nicht. Wir sind alle mehrsprachig. Wir können wechseln, situativ wechseln, eine Person, die also über zwei oder mehr Nationalsprachen verfügt, da gibt es keine Definition, die festschreiben würde, ab da bist Du zweisprachig, ab da bist du's noch nicht.

    Auch ein Dolmetscher ist nicht zweisprachig! (lacht) Er kennt dann vielleicht in seinem Fachbereich sehr viel, aber in anderen Fachbereichen kennt er weniger."

    Deshalb lässt man Texte vor dem Druck von Muttersprachlern Korrektur lesen.

    Man kennt die Probleme von Auswanderern, die nach Jahren einen Besuch in der Heimat machen: Sie können zwar noch die Grammatik, aber es fehlen ihnen Worte, eben weil sie sie jahrelang nicht mehr gebraucht haben. Typisch sind auch Wissenschaftler, die zwar Fachaufsätze in Englisch lesen können, vielleicht sogar auch schreiben und einen Vortrag in Englisch halten, die aber an einem englischen Krimi scheitern. Der Hochmut gegenüber Menschen die zweisprachig aufwachsen und damit viel mehr lernen müssen, als ein Mensch, der nur in seiner Muttersprache aufwächst, ist also fehl am Platz.

    "Wenn ich an meine Gruppe hier denk, die sind in die deutsche Schule gegangen, die haben das ganze Wissen in deutsch erworben, die haben das Wissen nicht in Türkisch erworben. Die haben nicht den gleichen Wortschatz, Fachwortschatz in Erdkunde, Bio, in Mathe und all diesen Fächern haben sie nicht auch gleichzeitig in türkisch. Dafür haben sie eine Menge Wortschatz im Türkischen, was den häuslichen Bereich anbelangt. Da haben sie oft im Deutschen fehlen ihnen die Wörter, weil sie das in deutsch nicht leben."

    Auch Deutsche, die zuhause Mundart reden, können nicht jeden Begriff aus der Schule in Mundart übersetzen und bei manchem Mundartwort muss das Hochdeutsche passen.

    Natürlich befasst sich die Studie des Institutes für Deutsche Sprache hier mit besonders begabten, ehrgeizigen und engagierten Mädchen. Inken Keim:

    "Die Mädchen, zumindest die jetzt schon älter sind und auch Berufsausbildung abgeschlossen haben, die wollen Vorbild sein für die jüngere Migrantengeneration. Wollen auf jeden Fall Vorbild sein, wollen zeigen: Ihr könnt's schaffen. Ihr könnt's genauso gut schaffen, wie wir's geschafft haben und wir helfen euch dabei."

    Dass sich dabei gerade das Gymnasium als wenig informiert und hilfreich erwies - und das in einem Land, das in der Mitte Europas schon immer mit Mehrsprachigkeit zu tun hatte - zeigt sich im Selbstverständnis der jungen Frauen, das Inken Keim so skizziert:

    "Wir sind weder Deutsche, noch Türken, wir sind was Neues, wir sind was Anderes."