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Zweiter Bildungsweg für Stammzellen

Medizin. – Wieder ein "Durchbruch" in der Stammzellenforschung! Japanische Wissenschaftler glauben ein Rezept gefunden zu haben, wie man bereits erwachsene Zellen wieder in den vielseitigen Stammzellzustand zurück versetzen kann. In der aktuellen "Science" berichten sie darüber.

Von Michael Lange |
    Embryonale Stammzellen sind deshalb unter Wissenschaftlern so beliebt, weil sie "pluripotent" sind. Das bedeutet: Sie können mehr als andere Zellen. Pluripotente Zellen vermehren sich und bilden auf Kommando verschiedene Zelltypen, wie Nerven-, Haut, Muskel- oder Leberzellen. Reife Zellen im Körper haben diese Fähigkeiten verloren. Sie sind nicht mehr oder und nur begrenzt anpassungsfähig, also nicht mehr pluripotent. Deshalb können sie kranke Organe oder Gewebe nicht reparieren. Nun ist es japanischen Forschern von der Universität Kyoto gelungen, aus reifen Bindegewebszellen von Mäusen pluripotente Zellen zu machen. Für Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin in Münster ist das das wichtigste Forschungsergebnis dieses Jahres.

    "Das ist aus meiner Sicht das Spannendste überhaupt, dass man in der Lage ist, quasi die Kraft der embryonalen Stammzellen zu nutzen, um dann Körperzellen zu verjüngen."

    Das Team um Shinya Yamanaka hat vier Eiweißmoleküle entdeckt, die alte Zellen wieder jung machen, also pluripotent. Diese Faktoren haben Namen wie Oct 4 oder Sox 2 und sind unter Stammzellenforschern bereits bekannt. Damit hat Yamanaka nun Werkzeuge in der Hand, mit denen er embryonale Stammzellen erzeugen kann – ohne Embryonen. Schöler:

    "Ihm reichen vier Faktoren aus, um eine Körperzelle in eine Zelle mit embryonalen Stammzellen-Eigenschaften zu verwandeln. Wenn Sie sich das vorstellen, dass man das durch eine begrenzte Zahl von Faktoren kann, dann wird sich die Diskussion um Embryonen in wenigen Jahren ohnehin erledigt haben. Aber so weit ist man noch nicht. Aber man ist da auf dem richtigen Weg."

    Die japanischen Wissenschaftler haben an Mäusen geforscht. Nun müssen sie herausfinden, ob die gleichen Moleküle auch menschliche Zellen pluripotent machen. Erst in ein oder zwei Jahren werden sie wissen, wie leistungsfähig die Zellen nach ihrer Umschulung wirklich sind. Die Kernfrage lautet: Sind sie genau so gut wie echte embryonale Stammzellen aus Embryonen? Außerdem ist nicht klar, ob und wie die Faktoren. die die Zellen verjüngen, Krebs auslösen können. Einer ist als Risikofaktor für die Tumorbildung bekannt. Die jetzt entdeckten vier Faktoren sind also keinesfalls schon die ideale Molekülmischung. Vielleicht gibt es weitere oder bessere Faktoren. Vielleicht lässt sich das Krebsrisiko durch andere Faktoren senken? Die Faktorensuche hat gerade erst begonnen. Am Ende könnte ein Cocktail auf verschiedenen Faktoren, glaubt Hans Schöler:

    "Wahrscheinlich sind es Transkriptionsfaktoren, also Faktoren die zum Ablesen bestimmter Gene in Stammzellen führen. Im Prinzip ist das eine Kombination von Faktoren, die dann quasi die gesamte Zelle umkrempeln. Wie das jetzt geht im Einzelnen, wird man jetzt sehen, aber das ist zumindest von einem Wissenschaftler, Shinya Yamanaka, der renommiert ist."

    Ein Anfang ist gemacht. Am Ende soll eine Therapie stehen. Mit Hilfe der Faktoren könnten Patienten mit ihren eigenen Zellen geheilt werden. Sie spenden etwas Blut oder etwas Haut. Der Arzt gibt einen Cocktail aus Verjüngungsfaktoren dazu. In wenigen Tagen werden die Zellen zu Stammzellen, die den Herzinfarkt heilen oder die Leber reparieren. Diese Heilmethode wäre ein Ergebnis der Forschung mit embryonalen Stammzellen. Sie käme aber ohne Embryonen aus.