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Zweiter Frühling für das Web

Auf ihrer Jahrestagung in Dresden stellte die Gesellschaft für Informatik den Menschen in den Vordergrund. Denn trotz ihrer immensen Rolle in der Gesellschaft, bringen die Benutzer angesichts von Überwachung, komplizierter Software und angreifbaren Rechnern der Informatik große Skepsis entgegen.

Manfred Kloiber im Gespräch mit Peter Welchering |
    Manfred Kloiber im Gespräch mit Peter Welchering

    Manfred Kloiber: Fehlerhaft programmierte Software, Computersysteme, die zusammenbrechen oder computergestützte Überwachungssysteme sorgen natürlich für Skepsis bei den Anwendern und Bürgern. Die Informatiker haben das auf Ihrer Jahrestagung "Informatik für Menschen" intensiv diskutiert, und helfen soll hier das Web 2.0, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Web 2.0 soll nämlich das Rahmenwerk darstellen, in das so verschiedene Entwicklungsprojekte eingestellt werden wie "pervasive computing", also verteilte Computerleistung in unserer nächsten Umgebung, "organic computing", sich selbst organisierende Computersysteme, oder auch das "semantic web", das Internet, das mich versteht, wenn ich ihm in natürlicher Sprache mitteile, was ich will. Alle diese Informatik-Entwicklungen sollen im Fluchtpunkt Web 2.0 enden. Und das Web 2.0 wiederum, das ist ein Internet, das ich überall vorfinde, nicht nur, wenn ich am Bildschirm sitze, sondern die Sensoren im Teppichboden, die mich in einer Behörde zum richtigen Zimmer führen, die RFID-Chips, die mir sagen, wo ein bestimmtes Buch gerade steht, oder die Biometrie-Station, die mich erkennt, und in meinem Büro die Heizung auf 21 Grad hochfährt, wenn ich das Haus betrete und den Fahrstuhl in den zweiten Stock zu meinem Büro nehme – alle liefern ihre Daten in das Web 2.0, dort werden sie verarbeitet und das sorgt dafür, dass der Mensch individuellere, besser zugeschnittene und intuitiv angelegte Dienstleistungen von Computersystemen vom Web 2.0 bekommen. Und die kann er überall in Anspruch nehmen, mit dem Handy genauso wie mit dem Organizer oder der Multifunktionsjacke mit eingebauter Computer-Power. Die eigentliche Integrationsleistung von Web 2.0 dabei besteht nicht nur darin, dass so unterschiedliche Projekte wie pervasive computing oder die Entwicklung von intuitiven Sprachschnittstellen für den Internet-Zugang per Handy hier zusammen kommen. Nein, die Integrationsleistung von Web 2.0 soll weit darüber hinausgehen. Web 2.0 soll nämlich transparent sein, also dem Anwender auch immer mitteilen, was Web 2.0 an Daten von ihm hat und verarbeitet, wie es das tut. So dass der Anwender immer die volle Kontrolle hat. Und Web 2.0 soll auch die traditionellen Medien integrieren. Das heißt, im Web 2.0 wird jeder mit Weiterentwicklungen von Podcasts und Blogs zum Sender, ist Medienkommunikation nicht mehr einseitig, sondern sie läuft auf vielen Kanälen und jeder kann gleichberechtigt Programm machen.

    Kloiber: Das hört sich ein wenig nach der Brechtschen Radiotheorie aus den zwanziger Jahren an.

    Welchering: Die dient hier wirklich vielen Informatik-Denkern, muss man sagen, als Vorlage. Sie legen großen Wert darauf, dass Web 2.0 eine durchsichtige Kommunikationsmaschine sein soll. Da gehen sie dann allerdings auch über Brecht hinaus. Kommunikationsmaschine meint nämlich nicht nur, dass jeder Anwender, also jeder Mensch, sendet und empfängt, Medienkommunikation macht, wenn man so will, nein, Kommunikationsmaschine heißt auch, dass jeder Mensch von Web 2.0 jederzeit auf dem Laufenden gehalten wird, welche Daten von ihm erfasst sind, wer die verarbeitet, und er kann auf das, was mit seinen Daten passiert, Einfluss nehmen. Er soll in dieser Kommunikationsmaschine Web 2.0 die Kontrolle über seine Daten behalten.

    Kloiber: Wie sieht das auf der Ebene einer Softwarelösung aus?

    Welchering: Wenn ich beispielsweise meine biometrischen Daten von einem Biometrie-Sensor erfassen lasse, etwa an der Zugangskontrolle zum Bürohaus, dann habe ich zuvor in Web 2.0 festgelegt, wie diese Daten verarbeitet werden dürfen, wer sie verarbeiten darf. Sollen diese Daten von anderen als den in meinem Erlaubnisprofil stehenden Stellen verarbeitet werden, fragt Web 2.0 nach meiner Erlaubnis. Alles muss immer explizit vom Nutzer genehmigt werden. Entweder weil er eine Art Generalgenehmigung erteilt hat, also in einem Profil hinterlegt hat, was mit welchen Daten an welchen Stellen und mit welcher Software gemacht werden darf, oder indem er in einzelnen Fällen eine einmalige Erlaubnis gibt. "Der Mensch muss wieder die Hoheit über seine Daten bekommen, und das muss eine Anwendung wie Web 2.0 garantieren", das war eine in Dresden oft gehörte Forderung.

    Kloiber: Ist das noch reine Utopie oder gibt es schon marktreife Anwendungen dafür?

    Welchering: Es gibt Laboranwendungen. Insgesamt stehen wir bei dieser Entwicklung von Web 2.0, also von einer gleichberechtigten Supermedienmaschine für alle, die mit Webcasts, Podcasts, Blogs und ähnlichem arbeiten, an einer Sprungstelle zur Entwicklung genau dieser geforderten verteilten Datenmaschine. Da gibt es allerdings noch sehr viele sehr grundlegende Probleme zu lösen, zum Beispiel wie Daten transparent gemacht werden, so dass nur der befugte Benutzer mit ihnen arbeiten kann, nur er informiert wird. Ein anderes Problem liegt darin, dass hinterlegte Erlaubnisprofile nicht gefälscht oder unbefugt abgeändert werden dürfen. An diesen überwältigenden Sicherheitsproblemen wird bisher nur ansatzweise gearbeitet. Und das macht auch eine Schwierigkeit von Web 2.0 aus: Wenn Informatiker mit Anwendern über dieses Modell Web 2.0 diskutieren, wird ihnen sofort entgegnet, da wird gar nichts transparent, durch die Komplexität wird alles viel undurchsichtiger. Solange diese Durchsichtigkeit nicht mit Methoden des Software Engineering garantiert werden kann, wird auch Web 2.0 bei den Anwendern und in der Bevölkerung wenig Akzeptanz finden.