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Zweites Herz auf Zeit

Medizin. - Jedes Jahr benötigen rund 800 Menschen in Deutschland eine Herz-Transplantation. Doch fast die Hälfte davon stirbt, weil nicht rechtzeitig ein passendes Ersatzorgan gefunden werden konnte. Mit mechanischen Herzen, oder besser Blutpumpen, unterstützen Ärzte das schwache Organ, bis Ersatz transplantiert werden kann. Ein Herzchirurg aus Göttingen ersann jetzt eine Alternative, die die Risiken dabei erheblich verringert.

    Noch existiert die Erfindung nur auf dem Papier, trotzdem wurde sie jetzt mit dem Innovations-Preis Medizintechnik des Bundesforschungsministeriums für Bildung und Forschung ausgezeichnet. So viel Optimismus ist gerechtfertigt, denn immerhin hat die Pumpe des Göttinger Herzchirurgen Marius Großmann das Zeug dazu, die gefährlichen Risiken herkömmlicher Kreislaufunterstützungssysteme Schluss drastisch zu reduzieren. "Es gibt in herkömmlichen Herzpumpen unnatürliche Strömungszustände, die Verwirbelungen in einer Stärke erzeugen, dass es zu einer Blutschädigung kommt", erläutert der Mediziner von der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie der Universität Göttingen. Das Problem: Blut ist dicker als Wasser, und zwar weil es einen beachtlichen Anteil an Zellen enthält. Durch die Verwirbelungen können sie geschädigt und zerstört werden. Winzige Pfropfen aus verklebten Zelltrümmern sind die Folge, die mit dem Blut durch die Arterien reisen, bis sie in einer Enge stecken bleiben - und damit ist der Grundstein zu einem Infarkt gelegt. Zwar erhalten Patienten mit mechanischen Zusatz-Herzen Medikamente, die die Blutgerinnung unterdrücken und die Gerinnselentstehung vermeiden sollen, dennoch wäre es besser, könnte man den Auslöser - die Verwirbelungen - aus dem System entfernen. Immerhin bis zu 40 Prozent der Herzpumpen-Patienten erleiden kritische Infarkte oder Hirnschläge.

    Bisherige Rotationspumpen sind zwar sehr klein und finden in Herznähe genügend Platz, doch um das nötige Fördervolumen des Muskels zu erreichen, müssen sie beachtliche Drehzahlen von bis zu 20.000 Umdrehungen in der Minute vorlegen. Das aber genau erzeugt die Probleme, die es zu vermeiden gilt. Ein anderer Ansatz sind so genannte Membranpumpen. Doch auch sie gehen nicht gerade schonend mit den empfindlichen roten Blutkörperchen um, stattdessen werden die Zellen hier geradezu zusammengequetscht. Behutsamer geht dagegen Marius Großmanns Konstruktion zu Werke. Sie besteht gerade einmal aus einem Rohr und zwei Klappen, von denen eine beweglich gelagert ist. Das Blut kann dabei nur in eine Richtung strömen, und das vermeidet Turbulenzen. "Die mobile Klappe bewegt sich durch das Rohr auf die feststehende Klappe zu und drückt dabei das Blut durch diese Klappe hinaus", erklärt Großmann. Der Vorgang ähnelt einer Luftpumpe, nur mit dem Unterschied, dass die bewegliche Klappe beim Vorwärts-Fahren einen Unterdruck hinter sich erzeugt und dabei neues Blut von hinten nachzieht. Beim Zurückgleiten in die Ausgangsposition öffnet sich die bewegliche Klappe dagegen und fährt so ohne Widerstand durch das nachgesogene Blut - ein neues Zyklus kann beginnen.

    Auch die "Einweg"-Pumpe des Göttinger Assistenzarztes hat noch eine Schwachstelle: nämlich die Rohrwand, an der die "Kolben-Klappe" vorbei streicht. Denn auch hier können Turbulenzen entstehen und Zellen verletzt werden. Mit einem Trick will Marius Großmann das Risiko verringern: Rohrwände und Klappen sollen dazu aus einem besonderen "Bio-Kohlenstoff" hergestellt werden, so genanntem pyrolytischen Graphit. "Dieses Material hat vor allem den Vorteil, dass es für das Blutgerinnungssystem fast unsichtbar ist, und man da am wenigsten Ablagerungen befürchten muss." Eine solche Pumpe ganz aus dem reaktionsarmen Material wäre indes ein echtes Novum. Doch auch der Antrieb der Fördermaschine hat es in sich, arbeitet dieser elektrische Linearmotor doch fast wie ein Transrapid: "Das Rohr selber ist von Spulen umwickelt, die an- und ausgeschaltet werden. Dadurch entsteht wanderndes Magnetfeld, dem die bewegliche Pump-Klappe folgt." Das Aggregat ist dabei sehr genügsam, soll es sich doch mit gerade einmal zwei Watt begnügen. Diese Energie könnte sogar per Antenne durch die Haut übertragen werden - störende Kabel würden dabei entfallen und die Pumpe könnte vollständig implantiert werden. Doch ob das alles in der Praxis so gut klappt wie auf dem Papier, muss sich erst noch zeigen.

    [Quelle: Björn Schwentker]