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Zwischen abtrünnigen Regionen und Arbeitslosigkeit

Schon im Januar war die Stimmung bei der vorgezogenen Präsidentschaftswahl in Georgien äußerst angespannt. Nun finden morgen die vorgezogenen Parlamentswahlen statt. Klarer Favorit ist laut Umfrage die pro-westliche Nationale Einheitsbewegung von Präsident Michael Saakaschwili . Doch dessen Ruf als Verfechter der Demokratie hat in den vergangenen Monaten gelitten, da er Proteste der Opposition niederschlagen ließ. Robert Baag berichtet.

    Öffnete man nach einer Weile langsam die Augen, man glaubte sich in die sanfte, mit Pinien durchsetzte grüne Hügellandschaft der italienischen Toskana versetzt: Der kleine Ort auf einem Hügel am Horizont erinnert vage an die geordnete Enge eines Bienenstocks. Dann aber der Blick auf die ungewohnte Architektur der Kirchen: Archaisch-streng, klassisch-schlicht die Form, graue Steinquader, wenige, Schießscharten gleichende Öffnungen in konisch sich nach oben ziehenden Glockentürmen - Sighnagi, eine schmucke Kleinstadt in der ost-georgischen Provinz Kachetien präsentiert sich sauber, aufgeräumt, gemessen an den Ortsdurchfahrten zuvor in der arm wirkenden Provinz fast schon steril.

    Die knapp vierzigjährige Tamara lehnt in der Tür des Teppichmuseums von Sighnaghi. Der angeschlossene kleine Laden ist leer. Die blonde Frau mit den dunklen Augen lächelt ein wenig ironisch:

    "Unser Präsident hat sich Mühe gegeben", " sagt sie nach kurzem Nachdenken. Er wolle aus der Stadt eben ein Touristenzentrum machen. Und dann bricht es aus ihr heraus: ""Ach, ehrlich, das ist doch alles nur Maskerade, eine Show, mehr nicht...!"

    Dima, Rentner und Taxifahrer, ist näher gekommen. Er rückt seine schon ein wenig zerschlissene Anzugsjacke zurecht, nickt heftig zu Tamaras Worten und fällt ihr fast ins Wort:

    "Ja, hier im Zentrum sieht's schön aus. Aber kommen Sie mal mit. Zwei Meter weit ist's hier sauber...Dahinten, nach einem Kilometer kommen Sie nicht mehr voran, alles kaputt, da kommt kein Auto mehr durch, mein Lieber!"

    "Alles ist sehr teuer geworden", klagt Rentnerin Zinaida verhalten. Sie sitzt ein paar Meter weiter im Stadtpark und versucht glasweise grüne, saftig-säuerliche Tkemali-Pflaumen aus frischer Ernte zu verkaufen. Das Glas für einen Lari. Sie selbst bezieht 70 Lari Monatsrente. Umgerechnet etwas über 30 Euro. Vom Zuverdienst möchte sie Brot kaufen. Politik? Nein, darüber möchte sie nicht reden.

    Der 52jährige Timur dagegen, Herr des örtlichen Fuhrparks der Reinigungsmaschinen, nimmt energisch die verspiegelte Sonnenbrille ab. "Liste 5", die "Vereinigte Nationalbewegung" des Präsidenten Saakaschwili , sie wird die Mehrheit stellen im neuen Parlament, da ist er sich sicher. Um die 60 Prozent werde sie bekommen, ganz bestimmt. - Hat er eigentlich ein bisschen nachgeholfen, um an den lukrativen Stadtreinigungsauftrag zu kommen? Braucht er noch - wie es weiter im Jargon heißt - eine "Kryscha", zu Deutsch ein "Dach"? Jemanden in der Verwaltung, der ihn schützt, ihm Konkurrenten vom Leib hält, gegen eine entsprechende Gefälligkeit natürlich? Früher mag es diese Art von Korruption gegeben haben, winkt er mit großer Geste ab. Aber heute?

    "Heute braucht man keine Kryscha mehr", "sagt Timur im Brustton der Überzeugung. Die ganzen Fahrzeuge habe man ihm überlassen. Einfach so, soll das wohl heißen. Einige davon habe er der Stadt geschenkt. Und dann grinst Timur plötzlich ganz breit: ""Hätte auch jemand anders sein können."- Wie aus dem Boden gewachsen steht auf einmal der Taxi fahrende Rentner Dima neben der örtlichen Respektsperson Timur. Zu den Wahlen hat auch er seine Meinung:

    "Saakaschwili ist schon ein toller Kerl, ehrlich", "strahlt Dima. Timur lächelt schwach. Die Opposition dagegen, so Dima weiter, die quatsche doch bloß und bringe nichts zustande. - Am Ende des Marktplatzes öffnet sich die Tür zum Teppich-Museum noch einmal. Tamara winkt verhalten heran. Eines wolle sie doch noch loswerden. Dass sich das Verhältnis zu Russland verschlechtert habe, dass es Streit gebe wegen der abtrünnigen Provinz Abchasien, das finde sie sehr schade:

    ""So viele Jahre haben wir zusammengelebt, Georgier und Russen. Die da oben", sagt Tamara, "die können sich irgendwie nicht einigen. Und die einfachen Menschen leiden darunter: All diese Grenzen, Visa. Meine Eltern lben in Russland. Schwer ist es für mich. Ich hab sie schon 13 Hagre nicht gesehen. Schwer ist es. Die Politiker sind schuld. Unsere und die dort. Vielleicht gehe ich sogar wählen. Aber ich werde gegen alle stimmen!"