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Zwischen allen Stühlen

Der Publizist Sebastian Haffner galt als Kalter Krieger. Und das, sagte er später, sei er auch gewesen, bis ihm der Mauerbau in Berlin das Scheitern der bis dahin betriebenen Ostpolitik des Westens bewies. Die neue Ostpolitik des Bundeskanzlers Willy Brandt fand Haffners enthusiastische Unterstützung.

Von Claus Menzel | 27.12.2007
    Er hat sie oft und gern geärgert: die Sozialdemokraten, als er Heiligen ihrer Parteigeschichte,wie etwa dem Weimarer Reichspräsidenten Friedrich Ebert vorwarf, 1918 die Ideale der deutschen Arbeiterbewegung verraten zu haben, die Christdemokraten, als er fast unmittelbar nach dem Bau der Mauer in Berlin die völkerrechtliche Anerkennung der DDR verlangte. Der Publizist und Kolumnist Sebastian Haffner, geboren am 27. Dezember 1907 in Berlin, saß nun einmal am liebsten zwischen allen Stühlen.

    Dabei hatte dieser Sohn eines ordentlichen preußischen Schulmeisters - mit dem Ziel, einmal Richter zu werden - zunächst brav die Rechte studiert, sich nach dem Machtantritt der Nazis aber entschlossen, den Staatsdienst zu meiden und als Journalist zu arbeiten. Er schrieb - noch unter seinem wahren Namen Raimund Pretzel - Glossen, kleine Reportagen, launige Feuilletons für Berliner Zeitungen und Mode-Journale, und dass er 1938 nach England emigrierte, hatte nur mittelbar mit den Nazis zu tun: In Hitler-Deutschland durfte er seine jüdische Freundin Erika nach den Nürnberger Gesetzen nicht heiraten.

    Gewiss, auch für ihn war das Leben in der Emigration zunächst nicht einfach. Doch schon sein erstes Buch, mit dem er - nun unter dem Pseudonym Sebastian Haffner - den Briten die Besonderheiten des deutschen Nationalcharakters zu erklären versuchte, verschaffte ihm so viel Anerkennung, dass der Herausgeber des liberalen "Observer" den feindlichen Ausländer mitten im Krieg als Kommentator verpflichtete und später als Berichterstatter in seine Heimatstadt Berlin schickte. Haffner wurde Kolumnist der Springer-Zeitung "Die Welt". Er galt als Kalter Krieger und das, sagte er später, sei er auch gewesen, bis ihm der Mauerbau in Berlin das Scheitern der bislang betriebenen Ostpolitik des Westens bewies. Nun freilich scheute Haffner sich nicht einmal, seine neue Meinung im Deutschlandsender der DDR zu vertreten.

    "Ich halte eine Wiedervereinigung durchaus noch für möglich, sie ist allerdings denkbar nur noch eben als Wiedervereinigung der beiden existierenden, konsolidierten deutschen Staaten, nicht als Abschaffung eines oder beider von ihnen. Die Grundvoraussetzung scheint mir die Beseitigung eines psychologischen Blocks in der Bundesrepublik zu sein, das heißt, man muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass die DDR existiert, dass sie ein Staat ist, nicht eine sowjetische Besatzungszone, und dass dieser Staat ein notwendiger Verhandlungspartner beim Wiedervereinigungsprozess ist."

    Dass Sebastian Haffner mit diesen Thesen bei der "Welt" nicht bleiben konnte, war klar. Allerdings hatte er die "Welt" schon verlassen, als die Zeitung 1962 nach einer direkten Intervention des Bundeskanzlers Adenauer seinen wütenden Kommentar zur "Spiegel"-Affäre nicht druckte. Er ging zum "Stern", den Chefredakteur Henri Nannen gerade in ein politisch relevantes Magazin verwandeln wollte. Und was er dort fortan zu schreiben hatte, dürfte sozial- wie christdemokratischen Obrigkeiten hierzulande nicht immer besonders gefallen haben.

    Er verteidigte rebellierende Studenten, zog Parallelen zwischen den Repressionsmethoden der Nazis und denen der Berliner Polizei, plädierte für einen anderen Umgang mit der DDR und unterstützte enthusiastisch die neue Ostpolitik des Bundeskanzlers Willy Brandt – und dies nicht obwohl, sondern gerade weil er die deutsche Einheit in absehbarer Zukunft für unmöglich hielt.

    "Ich bin zweifelhaft geworden, ob man die Wiedervereinigung oder wie immer man das nennen will, heute noch realistischerweise zum Ziel praktischer Politik machen kann. Ich glaube, wir werden auf sehr lange Zeit nicht anders können als aus dem bestehenden Zustand das Beste zu machen und dazu ist es wahrscheinlich besser, das Ziel einer staatlichen Wiedervereinigung fürs Erste zurückzustellen und zwar auf sehr unbestimmte Zeit."

    Damit hatte Haffner Recht und Unrecht zugleich. Die Großartigkeit kam ihm ja selbst im Irrtum nicht abhanden, und dass seine Bücher über Winston Churchill, Hitler, das Kaiserreich und Preußen jenseits aller professoralen Fußnoten-Seligkeit zur großen politischen Literatur gehören, ist unumstritten. Die Wiedervereinigung hat er noch erlebt, aber, von schwerer Krankheit behindert, publizistisch nicht mehr begleitet. Am 2. Januar 1999 ist Sebastian Haffner in Berlin gestorben.