Schossig: Für den neuen Duden gelten die vereinfachten Regeln der Reform, so heißt es in Ihrer Vorankündigung. Glaubt man nun den Kritikern, Herr Wermke, dann sind diese Regeln nicht nur umstritten sondern auch sehr dehnbar, sie sind sehr unklar bisher, inkonsequent, wie viele sagen. Wie sind Sie also jetzt vorgegangen?
Wermke: Insgesamt kommt mir das vor wie eine Diskussion über die herkömmliche Rechtschreibung, denn das, was Sie gerade aufgeführt haben, waren genau diejenigen Argumente, mit denen man sich seinerzeit gegen die alte Rechtschreibung geäußert hat. Letztendlich ist die Neuregelung von 1996 nicht sehr viel mehr als eine Fortentwicklung dieser alten Rechtschreibung, die 98 Prozent des Herkömmlichen bewahrt und nur lediglich zwei Prozent Veränderungen herbeiführt und die meisten gehen auch noch auf die Neuregelung zurück, dass nach kurzem Vokale ein "SZ" durch Doppel-S ersetzt werden muss. Also insgesamt ist das Ganze gar nicht so viel und längst nicht so gravierend in seinen Auswirkungen, wie es in der Kritik heute dargestellt wird.
Schossig: Ein Erlanger Wissenschaftler rechnet dem neuen Duden im Internet vor, dass darin mehr als 3000 Schreibweisen neu zugelassen, beziehungsweise verbindlich festgelegt würden, insbesondere was Verbzusätze und deren Zusammenschreibung betrifft. Ist das übertrieben?
Wermke: Ich würde gerne mal diese Liste dieses Herren sehen, damit ich überprüfen kann, wie er zu diesen Zahlen kommt. Aus der Sicht der Dudenredaktion ist das jedenfalls nicht zu halten.
Schossig: Heute in der Tageszeitung Die Welt nachzulesen, da wird der neue Duden als ein Buch der Verwirrung gescholten, irgendwo im Niemandsland zwischen klassischer und neuer Rechtschreibung. Was sagen Sie dazu?
Wermke: Die Diskussion, die heute geführt wird, ähnelt zu 100 Prozent der Diskussion, die im Jahr 1996 geführt wurde und die erinnert sehr stark an die Diskussion, die 1876 bereits geführt wurde. Die selben Argumente, die selbe Kritik, ohne aber dass brauchbare Gegenvorschläge präsentiert worden sind. Übrigens haben wir in der Duden-Sprachberatung, die tagtäglich an die 200 Anfragen zur deutschen Sprache beantwortet, keinerlei Hinweis darauf, dass die Erregung über die neue Rechtschreibung, wie sie heute in den Medien geführt wird, auch die Allgemeinheit so bewegt.
Schossig: Herr Wermke, die deutsche Kultusministerkonferenz wird voraussichtlich im September jetzt einen Entwurf vorlegen, in dem die künftigen Funktionen und die Zusammensetzung dieses geplanten Rates für deutsche Rechtschreibung festgehalten sind. Stichdatum für die Reform ist der Sommer 2005, könnte es dann möglicherweise schon wieder einen neuen Duden geben müssen?
Wermke: Das bleibt abzuwarten. Ich gehe mal davon aus, dass das neue Regelwert in seiner im Juli 2004 ergänzten Fassung erst einmal Bestand haben wird. Rechtschreibung eignet sich nicht zum Dauerexperiment und kann auch nicht behandelt werden wie die Echternacher Springprozession nach dem Motto zwei Schritte vor, ein Schritt zurück. Die Schülerinnen und Schüler und die Lehrerinnen und Lehrer brauchen Verlässlichkeit, deswegen denke ich, ist es vernünftig, bei der Neuregelung zu bleiben, diese in ihrer weiteren Entwicklung durchaus zu beobachten, auch zu vergleichen, wie sich der allgemeine Sprachgebrauch und das Regelwerk zueinander verhalten und dann behutsam an denjenigen Stellen nachzujustieren, für die es als wichtig erkannt wird.
Schossig: Genau hier liegt ja eigentlich das Problem, wie man mit dem labilen Verhältnis von gesprochenem und geschriebenem Wort umgeht, sage ich mal, staatlich. Man kann ja nicht bürokratisch umgehen, sondern sollte es flexibel tun und eher bescheiden und nicht rechthaberisch?
Wermke: Das ist wahr, aber die Neuregelung ist eine bescheidene Fortführung der herkömmlichen Rechtschreibung, sehr weitgehende, sehr progressive Reformvorschläge, wie sie noch in den neunziger Jahren gemacht wurden und die zu Kaiser mit "EI" und Boot mit einem "O" geführt hätten, die wurden ja von vorneherein abgelehnt, sodass das, was übrigbleibt eigentlich nicht vielmehr ist als ein kleines Reförmchen, wenn man dieses Wort überhaupt in den Mund nehmen will.