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Zwischen Angst und Hoffnung

Zwischen Angst und Hoffnung, so beschreibt unser Korrespondent die Lage der schätzungsweise 200.000 Flüchtlinge im Kaukasus. Vor allem in der georgischen Stadt Gori sind die Kriegsschäden nach dem Abzug der russischen Soldaten unübersehbar. Tausende Flüchtlinge kehren aus ihren Notunterkünften nun in ihre Wohnungen zurück. Viele von ihnen finden ein zerstörtes Zuhause vor, ausgebombt, ausgebrannt oder geplündert. Rund 80.000 Flüchtlinge befinden sich noch in der Umgebung der georgischen Hauptstadt Tiflis. Von DLF-Korrespondent Robert Baag

    "Vorstadt der Weintrauben" - was so poetisch klingt, entpuppt sich als postkommunistische architektonische Tristesse: Ein Wohnbezirk, zehn Autominuten entfernt vom malerischen Zentrum der georgischen Hauptstadt Tiflis. Zwischen heruntergekommenen Plattenbauten versteckt, duckt sich der graugrüne vierstöckige Quader der Schule Nummer 163. Im Hof steht ein Grüppchen Männer schweigend zusammen. Gleich hinter der Eingangstür flimmern aus einem stumm geschalteten, kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher Bilder von den Olympischen Spielen in Peking. Nur das kleine Schild mit der Aufschrift "US-Aid-Care" an der fleckigen Wand leuchtet bunt. Reis, Mehl und Buchweizen-Grütze stehen bereit. Ein reichliches Dutzend junger und alter Frauen steht geduldig und sich leise unterhaltend an. Sie holen sich die Tagesration für ihre Familien ab.

    "Alles Flüchtlinge aus der Umgebung von Gori", sagt die stellvertretende Schuldirektorin Venera Beruashvili. Gori, die Heimatstadt des sowjetischen Tyrannen Stalin, die noch bis zum Wochenende von russischen Einheiten besetzt und blockiert worden war.

    Ehrensache sei es für sie und das Lehrerkollegium gewesen, ihre Schule sofort nach Kriegsausbruch den städtischen Behörden als Flüchtlingsunterkunft anzubieten.

    Für Beruashvili, die Geschichtslehrerin, steht außer Zweifel, dass Georgien einmal mehr das Opfer einer russischen Aggression geworden sei. Südossetien, Abchasien - darüber und über die Unabhängigkeitsbestrebungen dieser Regionen ist sie keine Sekunde bereit zu diskutieren:

    "Das ist Georgien, kein Südossetien. Das ist unsere Erde! Genauso wie Abchasien. Die ganze Welt, so hoffe ich", und fällt dabei aufgeregt ins Georgische, "wird uns dabei helfen."

    Sie öffnet die Tür zu einem der Klassenzimmer, in denen die knapp 150 Menschen untergebracht sind. Die Schultische und -Bänke sind ausgeräumt und stapeln sich auf den Fluren. Auf dem Boden der Klassenräume liegen Matratzen, einige Nahrungsmittel. Auf kleinen Elektrokochern wird Babynahrung warm gemacht. Der 21-jährige Ardshil Erbakidse wiegt die kleine Tochter Elvira im Arm. Hinter ihm stehen seine junge Frau und die gebeugte weißhaarige Schwiegermutter. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet. Die großen, dunklen Augen fallen auf in den Gesichtern mit den fein geschnittenen Zügen. Beide Frauen wirken erschöpft. Die ganze Familie stammt aus dem Dorf Achalishyn, etwa acht Kilometer vor Gori. Seit dem ersten Kriegstag, dem achten August, sind die Vier vor den russischen Bomben auf der Flucht. Der Großvater ist unterwegs an Herzversagen gestorben. Wie es jetzt weitergehen soll, das weiß Ardshil noch nicht:

    "Wenn wirklich Frieden sein wird, dann gehen wir zurück." Und dann: Nein, gegen die Russen, gegen das russische Volk habe er auch jetzt keine schlechten Gefühle, sagt Ardzhil. All das hänge doch nicht von den einfachen Menschen ab. Die Politiker, das seien schmutzige Leute - und zwar auf beiden Seiten.

    Irma Elbachidse aus dem Örtchen Nachalshemi ist dagegen immer noch geschockt:

    "Am 8.August morgens, da dachten wir, das seien unsere Hubschrauber, die da anfliegen. Aber das waren die Russen. Und die haben Bomben geworfen. Unser ganzes Getreide ist vernichtet. Unser Haus haben sie niedergebrannt. Das jedenfalls haben uns Nachbarn am Telefon erzählt."

    Als die Russen das Dorf besetzt hätten, hätten sie nach Frauen gesucht, all diese Männer hätten russisch und nicht ossetisch gesprochen.

    Mit russischen Soldaten jedenfalls möchte Irma Elbachidse ebenso wie die anderen Flüchtlingsfrauen, von denen sie inzwischen umringt ist, nichts mehr zu tun haben:

    "Die Russen sollen das Territorium Georgiens verlassen. Andere, europäische Friedenstruppen sollen dafür kommen, die die Georgier nicht unterdrücken, nicht gegen sie kämpfen und unsere Kinder nicht umbringen werden. - Aber - klar ist auch: Zchinwali, Südossetien sind ebenso georgisches Gebiet wie Abchasien. Sie gehören uns." - "Lieber sterben wir in diesem Krieg", ruft sie erregt, "aber unsere Erde geben wir niemals auf, keine einzige Stadt, kein einziges Dorf, keine einzige Siedlung! Und übrigens: Wenn es dafür sein muss, dann werden wir eben noch viele Jahre als Flüchtlinge in solchen Verhältnissen weiterleben wie jetzt."