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Zwischen Arroganz und Selbstachtung

Eine Tagung des Einstein Forums in Potsdam beschäftigt sich mit dem Stolz und seinen verschiedenen Varianten. Aber was genau macht ihn aus, den Stolz? Dies Frage konnten die Tagungsteilnehmer auch nicht vollständig beantworten.

Von Rüdiger Suchsland | 30.01.2011
    "Selbstvertrauen, das mit kalter Sicherheit aus den schwarzen Augen strahlte. Der Mann war stolz..." - ruhiger Blick, hohe Stirn, ein aufrechter Körper und tiefe Gedanken – all das mache einen stolzen Mann aus, so beschreibt Jules Verne in seinen Romanen seinen Kapitän Nemo als Inbegriff des stolzen Menschen.

    Stolz - diese Eigenschaft scheint nicht gerade Konjunktur zu haben. Sprachen die Römer noch ganz selbstverständlich vom ihr als republikanischer Tugend, so kam dieser mit dem Aufkommen des Christentums in Verruf: Stolz, das war Arroganz, Hochmut, Hybris. Die "Superbia" war die schlimmste der sieben Todsünden.

    Aber so einfach liegen die Dinge nicht: Stolz hat überaus viele Facetten.
    Was ist überhaupt Stolz? Ein Gefühl? Oder eher eine Haltung?

    Die internationale Konferenz, auf der jetzt das Einstein-Forum diese Frage behandelte, konnte auch an drei Tagen gar nicht alle dieser Facetten entfalten. Es ging daher vor allem darum, zunächst einmal klar zu machen, was man meint, wenn man von Stolz spricht.

    Stolz ritten Winnetou und Old Shatterhand über die Prärie, und auch sonst begegnet unsereiner dem Stolz zunächst einmal in der Gestalt der Helden unserer Kinderbücher, der Winnetous und letzten Mohikaner, des Cäpt'n Nemo. Aber auch in Tolkiens "Herr der Ringe" oder von "Harry Potter".

    Das ist die traditionelle, altmodische Auffassung des Stolzes: Stolz als altertümlicher Begriff, als aristokratische Eigenschaft der Helden und Ritter.

    Aber Stolz kann ja auch einfach ein Ausdruck von erbrachten Leistungen sein. Es gibt kein Selbstbewusstsein ohne Stolz. Und in vernünftigem Maß erscheint Stolz den Naturwissenschaften heute als geradezu lebensnotwendig:

    "Mit anderen Worten: Stolz hat eine Funktion. Stolz hat in der Evolution einen Sinn. Es ist ein Mechanismus, um den Status in der Gesellschaft zu fördern",

    erklärte die Psychologin Jessica Tracy aus Vancouver, und belegte an vielen Beispielen, dass Stolz ein alltägliches Verhalten ist, universal quer durch alle Kulturen.

    Stolz, so Tracy, ist aus Sicht der Natur ein Mittel, um Macht über andere auszuüben. Man kann mithilfe des Stolzes andere motivieren und mitreißen; man kann sie aber auch einschüchtern und dadurch um sich scharen.

    Stolz in diesem Sinne ist also nicht ein Gefühl, sondern eine Haltung. Sie kann von Außenstehenden als "positive Ausstrahlung" wahrgenommen werden, sie kann aber auch als Arroganz wirken und damit abstoßen.

    Stolz, so Jessica Tracy, hat eben zwei Facetten: Die eine bewirkt Respekt, die andere Furcht.

    Was bedeutet Stolz nun in Bezug auf Staat und Gesellschaft? In Deutschland scheint das Thema "Stolz" oft moralisch und pathetisch aufgeladen, obwohl es doch ein normales Gefühl sein könnte. Muss man "stolz sein, Deutscher zu sein?" Haben wir wirklich ein Problem damit, stolz zu sein?

    "Achieving our Country" nannte der US-Philosoph Richard Rorty eines seiner letzten Bücher - also: die "Vollendung unseres Landes". Von einem Defizit war hier die Rede, der Suhrkamp-Verlag aber lässt die Übersetzung tönen: "Stolz auf unser Land." Wie ein moralisches Gebot klingt das, keinen bisschen mehr angekränkelt vom Zweifel, der bei Rorty mitschwingt.

    Haben hier also wirklich die Deutschen Komplexe, die sich in einem Zuwenig äußern, oder dient hier nicht die völlig unbewiesene Behauptung eines Defizits dazu, dies mit einem Zuviel zu kompensieren?

    Wer, mal im Ernst, würde sich heute wirklich schämen, sich mit der Fußballnationalmannschaft über ihre Siege zu freuen. Man kann diesen Fußballpatriotismus auch Stolz nennen.

    Aber warum muss sich jeder, der es nicht tut, dafür rechtfertigen, und erklären, dass auch er normal ist?

    Der Philosoph Günter Gebauer sprach über Stolz im Sport, und belegte, dass Stolz mit Großzügigkeit und Gleichheit der Menschen vereinbar sein kann. Stolz ist nicht notwendig undemokratisch. Vielleicht fehlt im Umkehrschluss der Demokratie manchmal die Selbstzufriedenheit, der Stolz und gerade dieses Defizit gefährdet sie.

    Die Potsdamer Tagung zeigte nicht zuletzt, was den Sozial- und Geisteswissenschaften derzeit fehlt. Sie forscht gern über Zorn und Trauer, Angst und Massenpanik. Aber es gibt kaum wissenschaftliche Literatur zum Stolz. Das könnte anders werden.