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Zwischen Aufsage-Idioten und Mördern mit OP-Besteck

Regisseurin Barbara Frey hat Michael Maertens von Wien nach Zürich geholt, um ihm dort die Rolle des Bösewichts und letzten Königs aus dem Hause York zu geben - Richard III. Am Samstag war die Premiere.

Von Christian Gampert |
    Von der Anlage her ist das alles wunderbar: der Richard des Michael Maertens ist ein ziemlich normaler Versager, ein Zukurzgekommener des mittleren Managements. Er hinkt nicht, er schielt nicht, er stottert nicht, er hat weder Klumpfuß noch Buckel - er ist einfach die Inkarnation männlicher Hässlichkeit, wie sie hunderttausendfach in den Politik-, Finanz- und Verwaltungsetagen westlicher Industrienationen anzutreffen ist. Dieser Richard lässt, in einer Art selbstloser Entblößungssucht, die wenigen verbliebenen Haarsträhnen ölig über den Schädel hängen, und Michael Maertens spielt die Verklemmtheit der Figur aus einem völlig steifen, passiven Rumpf heraus, während die Beine durchaus tänzelnd in Bewegung sind und nur manchmal leicht nachgezogen werden.

    Der Mann kann wahrscheinlich keine Frau auch nur auf ein Glas Tee einladen - und doch, er hat Sarkasmus und Witz und manchmal sogar Verführungskraft, allerdings in dieser leicht abgestandenen, schnoddrigen Ruhrpottform, wie sie bei den Zynikern von RTL und von abgezockten Bankern gepflegt wird. Sein Problem ist aber, dass ihn eigentlich nichts bedrückt. Normalerweise muss man diesen Richard ja als jemanden lesen, der aus einer tiefen seelischen Kränkung und Bedürftigkeit heraus handelt, ein Aus-der-Welt-Gefallener, der den Staat sich grausam untertan macht. Bei Maertens ist das alles pflegeleicht flach: der will zwar hoch hinaus, ist aber tief unten noch gar nie gewesen - die Höllenqualen des Außenseiters sind ihm gänzlich unbekannt; er will einfach nur böse sein.

    Ständig hält er sich in einer Art Vorraum auf, wo die Stühle schon hochgestellt sind, die Vorkammer zur Macht, die sich, von mehreren Vorhängen geteilt, nach hinten verjüngt - wo dann aber nicht die Albträume des schlechten Gewissens lauern, sondern nur sorgfältig beleuchtete Staatstheaterschauspieler. Wenn schon die Inszenierung keinerlei Tiefgang hat, dann soll wenigstens die Bühne räumliche Tiefe vortäuschen. Und wenn der Richard schon nur ein virtuoses Aas ist, ein Suicide-Bomber der Verwaltungsetagen, dann soll er das andere, das schönere Leben wenigstens akustisch mitkriegen.

    Denn dieser Richard setzt sich bisweilen, da es ihm schlecht geht, einen Kopfhörer auf, und es erklingt ein altenglisches Liebeslied. Wie schön! Hier könnte das politische Stechen und Töten, das die Figur veranstaltet, nun also tatsächlich auf eine schräge Ebene geraten, das linkische Mörderlein könnte angekränkelt werden von einer Sehnsucht nach dem Paradies. Die Regisseurin Barbara Frey macht aber etwas ganz anderes: sie setzt fast jedem anderen, der nunmehr die Szene betritt, ebenfalls die Ohrstöpsel auf, und beschallt ihn mit Schlager und Jazz - jedem seine Erkennungsmelodie.

    Man möchte sagen: danke für den Hinweis, wär aber nicht nötig gewesen, Richards Begleitpersonal ist auch so ziemlich grob geschnitzt. All die Buckinghams und Clarences und Hastings, die erst Verbündete und dann Opfer des hitleresken Aufsteigers sind, bewegen sich in Zürich wie Lemuren aus einem Theatertotenreich, die ihr Sprüchlein aufsagen und dann wieder hinter den ständig auf- und zuklappenden Türen verschwinden. Dahinter liegt wahrscheinlich die Kantine, aber sobald man auftritt, wirft man sich in deklamatorische Pose.

    Nun muss man gerechterweise einräumen, dass all die Nebenrollen auch bei Shakespeare nicht besonders differenziert gezeichnet sind. Das ist die Schwierigkeit des Stücks. Barbara Frey lässt sich nicht darauf ein: bei ihr gibt es nur die tolle Hauptfigur, den immer faschistoider sich gebärdenden Kleinbürger, der schließlich am Elektroschock verendet. Drumrum stehen die Wasserträger, die wiederum in Gut und Böse aufgespalten werden.

    Denn die Frauenbeauftragte Frey führt die Männer entweder als dienstbare Aufsage-Idioten oder aber als Mörder mit OP-Besteck vor, während die Frauen schwarzen Hass spucken und dem diktatorischen Richard-Monster femininen Widerstand entgegensetzen. Diese Verfluchungsorgien, die im Programmheft gender-theoretisch begründet werden, sind auf der Bühne dann leider nur abgeschmacktes Brülltheater alter Schule.

    Kein Königsdrama also, sondern nur ein Monodrama. Bewegungstechnisch, den grandiosen Michael Maertens mal ausgenommen, erinnert das Bühnengeschehen an Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett. So was gefällt dem reichen Züricher Premierenpublikum - da fühlt man sich zu Haus.