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Zwischen Bigos und Sauerkraut

Jahrzehntelang gab es auf der Oder fast gar keinen Schiffsverkehr – und damit natürlich auch keine Touristen. Der Fluss wurde vor allem als Grenze gesehen. Jetzt wollen polnische und deutsche Städte ihn wieder attraktiver machen.

Von Christoph Sterz | 10.05.2013
    Es sind die letzten Schönheitsreparaturen vor der großen Fahrt: Sebastian Lucko verschraubt eine weiß lackierte Holzplatte in seinem Motorboot, das an der Anlegestelle des Motoryachtclubs Eisenhüttenstadt hin und her schaukelt. In ein paar Stunden will er losfahren, mit der ganzen Familie, in Richtung Spree.
    Sein Vater Christian Lucko, Chef des Vereins, schaut von oben zu, ob sein Sohn auch alles richtig verschraubt. Dann geht er zu seinem eigenen Boot, das ebenfalls im ehemaligen Industriehafen von Eisenhüttenstadt liegt, und mit dem er inzwischen häufiger auch auf der Oder unterwegs ist.

    "Die Oder ist verstärkt in den letzten zwei Jahren von uns befahren worden, weil wir ein Gemeinschaftsprojekt hatten mit den polnischen Skippern, zur Erstellung einer Oderkarte von Nowa Sol bis nach Eisenhüttenstadt beziehungsweise von Eisenhüttenstadt nach Kostrzyn."

    Bis zum polnischen Schengenbeitritt Ende 2007 waren die Skipper aus Eisenhüttenstadt kaum in Polen unterwegs, weil es auf polnischer Seite komplizierte Grenzkontrollen und keine passenden Anlegestellen gab.

    "Da jetzt aber die Möglichkeit gegeben ist und auch von polnischer Seite forciert wird, gehe ich davon aus, dass diese Sache mit diesem Grenzfluss sich insofern verwäscht, dass das ein gemeinsamer Fluss ist, der von allen auch entsprechend genutzt wird."

    Einem anderen Hobby-Kapitän, wenige Meter weiter an Anlegestelle sieben, gefällt die grenzübergreifende Oder zwar auch - für Wilfried Syring ist aber einfach noch viel zu wenig los auf dem Fluss.

    "Hin und wieder mal vielleicht die Polen mit ihrem Kontrollboot oder von unserer Seite mal der Wasserschutz. Dann kommt hin und wieder mal ein Sportboot im Sommer, aber sonst wenn die Jahreszeit vorbei ist, ist praktisch Schluss."

    Auch im kleinen Aurith, ein paar Kilometer von Eisenhüttenstadt entfernt, ist die Oder sehr ruhig. Boote sind keine zu sehen. Früher war das ganz anders: Ständig fuhren Schiffe die Oder rauf und runter. Bis zum 2. Weltkrieg pendelte eine Fähre zwischen beiden Seiten hin und her. Seit 1945 muss man einen Umweg von 40 Kilometern fahren, um vom polnischen Urad ins deutsche Aurith zu gelangen. Künftig soll es aber wieder eine Fähre geben, sagt der Leiter des Fördervereins Schlaubemündung-Odertal, Lukasz Kaczmarek.

    "Also das ist das Ziel auch, dass wir die Oder, aber auch die Ufer und die Bevölkerung auch ein bisschen einbeziehen wollen. Dass sie auch ihre Kraft, ihre Möglichkeiten auch präsentieren können."

    Zwar wird es auf der Fähre kaum Berufspendler zwischen Aurith und Urad geben, sagt Kaczmarek. Aber wenn mehr Touristen kommen, um die Fähre zu nutzen, dann würden die Anwohner davon trotzdem profitieren: Sie könnten den Gästen ein Bett, etwas zu essen oder andere Dienstleistungen anbieten.
    Auf die Karte Tourismus setzt auch ein länderübergreifendes Projekt, mit dem Namen "Oder für Touristen 2014". Seit sechs Jahren wird daran gearbeitet: Ein kleiner Hafen in Eisenhüttenstadt, im Ortsteil Fürstenberg, ist schon fertig. Dennoch: Auch hier sind nur ein paar Kanuten auf der Oder unterwegs, trotz besten Wetters. Typisch, sagt die Koordinatorin des Projekts, Agnieszka Zdziabek-Bollmann, denn noch sei die Oder nicht attraktiv für größere Boote.

    "Bei dem schönsten Wetter im Sommer haben wir entweder Hochwasser oder wir können barfuß auf das andere Ufer gehen, weil wir nur 75 Zentimeter Tiefgang haben. Und wenn man bei dem schönsten Wetter, bei der Top-Urlaubszeit, nicht schwimmen kann, dann nützt uns auch die beste Marketingstrategie nichts."

    Die Oderrinne soll tiefer gegraben werden - so wünschen sich das die zwölf Städte und Gemeinden, die beim Oderprojekt 2014 mitmachen. Ansonsten sind sie fast startklar: Die zehn Häfen mit modernen Schwimmstegen sind fertig, in einem Monat sollen zwei Boote vom Stapel laufen. Fast sieben Millionen Euro hat das Oder-für-Touristen-Programm bisher gekostet - finanziert zum großen Teil von der Europäischen Union.

    Weil sich kein externer Betreiber der Schiffe gefunden hat, nehmen die Städte und Gemeinden das Heft jetzt selbst in die Hand und wollen verschiedene Touren anbieten. Ob das alles so klappt mit der Oder für Touristen, das weiß auch Agnieszka Zdziabek-Bollmann nicht. Aber sie gibt die Hoffnung nicht auf:

    "Jetzt wollen wir allen zeigen: Die Oder, die verbindet uns. Und das Wunderbare bei der ganzen Idee, bei dem, was uns die Natur gibt, ist, man kann auf die Oder mit den Schiffen oder mit den Paddelbooten sich bewegen und man entscheidet selber: Geht man nach rechts an Land, dann ist man in Polen, geht man Bigos und polnische Bier trinken. Geht man nach links, ist man auf der deutschen Seite. Hat man andere Kultur, andere Bräuche, andere Menü-Angebote. Und das ist das, was wir hoffen, das die Touristen erkennen werden und uns besuchen werden."


    Die Volontäre des Deutschlandradios sind derzeit unterwegs an der deutsch-polnischen Grenze. Sie wollen herausfinden, wie es sich auf beiden Seiten lebt, jenseits aller Klischees:

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