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Zwischen Chance und Ausbeutung: Schwarzarbeit im Orchestergraben

Fischer: Billig fliegen, billiger einkaufen, warum nicht noch billiger musizieren. Warum soll eigentlich das künstlerische Fach vom internationalen Dumpingwahn ausgeschlossen sein. Geiz ist geil, dachte sich vermutlich auch Volker Hartung, der Leiter und Dirigent der privat betriebenen Jungen Philharmonie Köln, der jetzt in Frankreich von der Justiz verfolgt wird wegen des Verdachts auf Schwarzarbeit. Hartung hat nicht nur Musiker aus Russland und Bulgarien angeworben, das ist auch in öffentlich subventionierten Häusern längst üblich. Er hat sie gleich ehrenamtlich beschäftigt für sage und schreibe 30 Euro im Monat. Hartung selbst soll mit der Tournee 200.000 Euro eingenommen haben. Er konnte Frankreich gegen Zahlung einer Kaution inzwischen verlassen. Uns bleiben ein paar Fragen, die wir Gerhald Mertens stellen wollen, dem Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung in Berlin. Herr Mertens, Schwarzarbeit im Orchestergraben, wie üblich, wie verbreitet ist dieses Phänomen denn in Deutschland?

Moderation: Karin Fischer |
    Mertens: Genau kann man das nicht sagen, weil es in diesem Bereich naturgemäß eine sehr hohe Dunkelziffer gibt. Wir haben selbstverständlich Gastspiele ausländischer Orchester in Deutschland, die hat es schon immer gegeben. Die gehören zum normalen Kulturaustausch dazu, auch aus Osteuropa. Aber problematisch wird es dann, wenn die wirtschaftliche und soziale Not von Musikern aus dem ehemaligen Ostblockstaaten ausgenutzt wird. Und es ist ja so, dass in der Ukraine oder in Weißrussland ein Musiker vielleicht ein bis zwei Euro pro Tag verdient. Das ist nicht sehr viel Geld. Also wir haben in der Tat ein Problem, aber eben eine hohe Dunkelziffer.

    Fischer: Vielleicht geht es in Deutschland gar nicht darum, für umme zu spielen. Aber wo liegt denn die Grenze? Sie haben ein paar Zahlen genannt, zwischen dem guten Engagement ausländischer Musiker, das die dringend nötig haben und unsere Musikhallen unter Umständen bald auch und der bösen Ausbeutung?

    Mertens: Das Problem ist, dass es einzelne Veranstalter und Agenturen gibt, die auf Kosten dieser Musiker, dieser armen Musiker aus dem ehemaligen Ostblockstaaten ein Wahnsinnsgeschäft machen. Das erkennt man dann daran, wenn Orchester unter irgendwelchen Phantasienamen unterwegs sind und man vergeblich versucht dann aufzuspüren, wo denn dieses Orchester überhaupt sitzt und wer dahinter steckt und das Problem auch bei diesem Fall in Frankreich ist, dass sie in Frankreich sehr viel rigidere Bestimmungen für ausländische Musiker haben und ausländische Künstler allgemein haben als in Deutschland. In Frankreich war also jetzt auch die rechtliche Lage so, dass sie hier wirklich mal auf den Busch klopfen konnten und wirklich nachforschen konnten, was passiert denn mit diesen Künstlern? Diese Gelegenheit haben wir häufig nicht. Wenn nämlich sich einzelne Musiker aus Ostblockstaaten hier in einen VW-Bus setzen und nach Deutschland fahren, ein Streichquartett spielen oder auch als Kammerorchester, dann kann man dagegen herzlich wenig machen, weil sie wie Selbstständige auftreten. Aber in dem Moment, wo sie eine abhängige Beschäftigung eingehen, also quasi ein Arbeitsverhältnis, sieht die Situation ganz anders aus. Da tritt dann auch in Deutschland der Künstlerdienst, also die Bundesagentur für Arbeit, auf den Plan und versucht zu überprüfen, wenn sie es denn erfährt, ob hier abhängige Beschäftigungsverhältnisse vorliegen, ob Arbeitserlaubnisse erforderlich sind und so weiter und so weiter. Und in diesen Fällen arbeiten wir auch sehr eng mit der Bundesagentur für Arbeit und den Künstlerdiensten zusammen. Das Problem ist bloß, erstmal die Informationen zu bekommen und überhaupt dieser Fälle habhaft zu werden. Denn ganz häufig läuft es nach dem Motto, wo kein Kläger da kein Richter und die ausländischen Musiker sind sowieso völlig überfordert mit dieser Situation.

    Fischer: Das ist klar. Und es gibt ja auch mehrere Problemfelder, Sie haben es ja schon genannt. Der ausländische Musiker ist das eine, der private deutsche Konzertveranstalter, der den Reibach machen will, ist das andere. Wo bleiben sozusagen die deutschen Orchestermusikerinnen bei dem ganzen Spiel, die ja vielleicht ansonsten beschäftigt würden?

    Mertens: Also, schwierig ist das Geschäft dann, wenn beispielsweise ein deutsches oder ein europäisches Orchester durch ein ausländisches Orchester substituiert, quasi ersetzt werden würde. Dann wäre sicherlich auch hier eine Handhabe dagegen einzuschreiten. Bei Konzertveranstaltern kann man nur immer darauf hinwirken, zu sagen, wir haben auch sehr gute deutsche Orchester, schaut doch mal, ob ihr nicht auch ein regionales oder überregionales deutsches Orchester nehmen könnt. Da kommt dann aber sehr schnell die Preisargumentation, denn Sie müssen davon ausgehen, für ein mittleres deutsches Orchester für ein einmaliges Gastspiel, für ein durchschnittliches B-Orchester meinethalben, zahlen Sie vielleicht als Veranstalter zehn bis fünfzehntausend Euro je nach Dirigent, das kommt dann noch dazu. Für ein Ostorchester zahlen Sie vielleicht 5.000 Euro oder noch sehr viel weniger und das rechnet sich dann schon für einen Veranstalter.

    Fischer: Also um es noch mal konkret zu machen, wenn die Oper Düsseldorf einen Bus mit Chorsängern aus Bratislava kommen lässt für eine Produktion, ist das kluge Hauspolitik oder ist das die Aushebelung gängiger Beschäftigungsverhältnisse oder der Tarifpolitik?

    Mertens: Das kann in die eine oder in die andere Richtung gehen. Das kann ein Gastspiel sein, dann wäre es nicht zu beanstanden. Aber in dem Moment, wo diese Chorsängerinnen und Chorsänger in den Betrieb, in den Geschäftsbetrieb des Opernhauses eingebunden werden mit einer Probenverpflichtung auch, was naturgemäß wäre, ist es nach deutschem Arbeitsrecht ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, damit arbeitserlaubnispflichtig und so weiter und so weiter.

    Fischer: Und Sie sagen aber, man kann im Moment noch den Schaden, der durch so etwas entsteht in Richtung auf die Öffentlichkeit, sagen wir mal, ganz pauschal nicht ermitteln?

    Mertens: Man kann den Schaden nicht ermitteln, weil es, wie gesagt, die Spitze des Eisberges ist und unheimlich viel im Verborgenen passiert. Wir sind da sehr aufmerksam, wir sind auch den französischen Kollegen, die ja hier diese Fälle in den einzelnen Tourneeorten aufgebracht haben, sehr dankbar, dass sie das gemacht haben, weil dadurch nicht nur der Fachöffentlichkeit, sondern auch der allgemeinen Öffentlichkeit bewusst wird, dass hier in der Tat ein neues Problem auf das europäische Musikgeschäft zukommt.