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Zwischen den Kulturen

Mit Elan und naiver Zuversicht legen die schillernden Typen und verkrachten Existenzen in Imran Ayatas Storysammlung "Hürriyet Love Express" los, um am Ende mehr oder weniger grandios zu scheitern. Dieser Dramaturgie entspricht die Anordnung und Gewichtung der Erzählungen: Zuerst wird die Migration nach Deutschland thematisiert, dann das interkulturelle Leben in urbanen Milieus, gegen Ende geht die Bewegung zurück in die Türkei.

Von Olaf Karnik | 28.06.2005
    Um bei Frauen, die uns gefielen, zu landen, unterschieden Deniz und ich zwei taktische Schulen, die wir aus dem Fußball adaptiert hatten. Die erste Variante ging auf Johan Cruyff zurück, der als Trainer des FC Barcelona erklärte, dass das schönste Tor jenes sei, wenn der Ball über mehrere Passkombinationen zuletzt beim Stürmer landet, der freistehend aus einem Meter Entfernung ihn nur noch über die Torlinie der gegnerischen Mannschaft beförderte. Also beim entscheidenden Torschuss eine tausendprozentig sichere Sache, die zuvor allerdings viele komplizierte und gefährliche Situationen in sich birgt. Übertragen auf das Liebesleben hieß das, erst mal lächeln, geschickt ansprechen, aufmerksame Gespräche führen, Lachen, Tage später zu einem Drink treffen, nur nicht körperlich werden, ins Kino gehen, zum Essen ausführen, später zufälliges Berühren, aus der Kindheit erzählen und, und, und... Dann kommt irgendwann der entscheidende Moment.

    "Jungs, für die die Cruyff-Variante fehlt mir die Geduld", sagte Deniz.

    Also fiel die Wahl auf die alte britische Schule des "kick and rush". Renne das Spielfeld rauf und runter, hau den Ball in die gegnerische Hälfte, riskiere den Schuss aufs Tor. Entweder es wird ein toller Treffer, oder der Ball landet in den Zuschauerrängen. Im Gegensatz zu Cruyff also viel riskanter, manchmal aber spektakulärer.


    Imran Ayatas Kanakster irren zwischen den Kulturen hin und her und haben keine Muße für die elegante Cruyff-Variante. Mit ihrer Kick-&-Rush-Methode geraten die meist jungen Deutsch-Türken in peinliche Situationen, schießen über das Ziel hinaus, landen aber auch mal spektakuläre Coups. So löst eine von einem Bekannten in "Hürriyet" geschaltete Kontaktanzeige für zwei Freunde richtigen Dating-Stress aus, und am Ende werden beide von ein und derselben Frau an der Nase herum geführt. In einer anderen Story macht Deniz seiner Angebeteten tatsächlich mit 800 Rosen die Aufwartung, was ohne die Hilfe von Freunden und eines spendablen türkischen Rosenverkäufers natürlich gar nicht möglich gewesen wäre. Immerhin ein sensationeller Auftritt, der am Ende dennoch nicht von Erfolg gekrönt ist.
    So enden die meisten Geschichten in "Hürriyet Love Express" - mit Elan und naiver Zuversicht legen Ayatas schillernde Typen und verkrachte Existenzen los, um am Ende mehr oder weniger grandios zu scheitern. Dieser Dramaturgie entspricht auch die Anordnung und Gewichtung der Storys im Buch: Zuerst wird die Migration nach Deutschland thematisiert, anschließend das interkulturelle Leben in urbanen Milieus, gegen Ende geht die Bewegung zurück in die Türkei. Zudem werden die anfänglich doch sehr leichtgewichtigen Storys im Verlauf des Buches immer dramatischer und tragischer.

    " Es stimmt tatsächlich, dass das Buch eigentlich sehr heiter anfängt, lustig oder humorvoll und eine bestimmte Ironie hat und dann zunehmend melancholischer wird. Zum einen in dem Buch hat es, wenn du so willst, war das sozusagen ein konzeptioneller Gedanke. Ich interessiere mich ja auch sehr viel für Musik. Ich hatte dann eigentlich irgendwann so'n Album-Konzept im Kopf, also dass man das wie ein Album betrachtet und dann gegen Ende irgendwie die längeren Stücke hat und die auch so'n bisschen melancholisch sind. Dass die so melancholisch sind, das hat tatsächlich, das hat was sehr Kanakisches, also dieses Arabeske - auf der einen Seite so kämpferisch zu sein, Haltung zu zeigen, aber gleichzeitig melancholisch zu sein. Das ist ein Teil von mir, und ich kenn sehr viele Leute, die so sind. Und ich glaube, dass das sehr viel mit auch tatsächlich mit Literatur, mit Musik, mit Lebensgefühl zu tun hat, was man eben, das, was man gemeinhin türkisch nennt, eben sehr präsent ist. Es hat damit zu tun."

    Imran Ayata war in den 90er Jahren Redakteur der Zeitschrift "Die Beute" und später Mitbegründer der Aktivisten-Gruppe Kanak Attak. Heute arbeitet er hauptberuflich als Geschäftsführer einer Berliner Kommunikationsagentur und veröffentlicht Artikel in deutschen und türkischen Zeitschriften und Sammelbänden. "Hürriyet Love Express" ist sein erstes Buch, das er über mehrere Jahre eher nebenbei geschrieben hat, ohne große literarische Ambitionen zu verfolgen. "Die Beute" oder Kanak Attak waren explizit politisch ausgerichtete Projekte, in denen es um Anti-Rassismus und konkrete Migrationsprobleme ging, die theoretisch-diskursiv erörtert oder in situationistischen, agitpropmäßigen Performances behandelt wurden. Vor diesem Hintergrund gewinnt man leicht den Eindruck, dass Ayata ein eher strategisches Verhältnis zur literarischen Arbeit besitzt, und man fragt sich, wie authentisch, biographisch gefärbt oder exemplarisch seine tragisch-komischen Geschichten eigentlich sind. 1'05

    " Ja, es ist leider nicht autobiographisch, es ist nicht ein Tagebuch. Also, ich glaube, mein Leben selber ist nicht so spannend oder nicht so lustig oder nicht so wie in diesen Geschichten. Gleichwohl gibt es natürlich schon daraus Samples, Fragmente, die ich entweder selbst erlebt habe oder die ich irgendwo aufgeschnappt habe und dann eben weiter entwickelt habe, aber es ist nicht so, dass es diese Figuren in realiter gibt, sondern es sind halt eben Kunstfiguren, und ich denke auch, in dem Moment, wo man anfängt, das aufzuschreiben, ist es auch schon nicht mehr dann irgendwie authentisch. Es ist ja bearbeitet, aber es gibt schon natürlich, doch, klar, Sachen, die ich erlebt habe oder die ich irgendwo aufgeschnappt habe, die mir erzählt wurden und die ich dann wie ein Baustein eigentlich, wie in der Musik, wie ein Sample da irgendwie eingebaut habe oder aus der ich dann versucht habe, Stücke zu entwickeln. "

    Ich denke an eine violette Mittelmeernacht auf einem Balkon mit Blick auf den Bosporus. Ich weiß nicht mehr genau, wer wir waren. Schöne Menschen, befreundete Menschen. Allesamt einsam, selbstredend. Wir hörten zum x-ten mal den vierten Track aus Tarkans Album "Dudu". Die Gastgeberin hatte die Repeattaste gedrückt. Manchmal hört man eine ganz Hitparade, dann Samples aus tausend Songs. Selten sind Nächte, die nur von einem Lied geprägt werden.

    Vielleicht waren wir in dieser Nacht gar nicht in Istanbul, sondern in Berlin, Mitte. Egal. Orte sind letztlich eine Summe enttäuschter Gefühle und unwiderrufener Sehnsüchte. Also, auf einem Balkon in Mitte überlegte ich, ob es stimmen könne, dass heimlich ihre unschuldigen Tränen in mich einsickern, wie Tarkan singt. Es gab keine Ruhe zum Nachdenken. Denn wieder fing das Stück der Nacht von vorne an. Wenn aus der Anlage nicht bald ein anderer Song zu hören ist, wird mich diese Melancholie, dieses traurigste Lied des Sommers, um alles bringen, befürchtete ich.


    Popmusik von Tarkan, Autoren wie Feridun Zaimoglu oder Filme wie "Gegen die Wand" haben in den letzten Jahren zur Popularität der deutsch-türkischen Migrantenkultur beigetragen. Dieses oft widersprüchliche und konfliktreiche Leben zwischen den Kulturen wurde so auch einem Publikum vermittelt, das vorher kaum eine Ahnung davon hatte, wie sich der kanakische Alltag hierzulande im Detail gestaltet. Auch Ayatas Buch erfüllt diese Funktion, geht darin aber nicht auf. Seine bewegendste Story "Elvan" schildert das Gastarbeiterschicksal eines 58-jährigen Mannes, der sowohl in der Türkei wie in Deutschland zwei todbringende Autounfälle verursacht hat und seines Lebens nicht mehr froh wird. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Geschichten, die fast nichts mehr mit einer typischen Migranten-Sozialisation zu tun haben - aber eben nur fast nichts.

    " Das Buch ist eigentlich, auf der einen Seite sind es natürlich Geschichten, man könnte sie so abtun, halt so Kanakster-Geschichten. Aber ich wollte schon, und das ist wirklich sehr bewusst und sehr konzeptionell so gedacht, ich wollte Figuren schaffen und Geschichten erzählen, die eben auch in dem, was man gemeinhin jetzt als so genannte neue Migrantenkultur so kennt, einfach ne neue Schattierung der Sache geben. Weil einfach auch sozusagen in den neueren Dingen, die erscheinen, in den Filmen, in den Büchern, dann eigentlich auch schon wieder Klischees und Typologien entstehen, wo man einfach gegenüber steht und einfach sagt: na ja, das ist auch nicht alles. Es gibt doch auch in diesen Geschichten, in diesen Zusammenhängen eben auch abweichende, brüchigere Geschichten. Also, ich wünsche mir auf der eine Seite, dass die Leute das sozusagen als Geschichten begreifen und tatsächlich auch als Geschichten, die nicht irgendwelche Türken-Geschichten sind. Manche Geschichten funktionieren, glaub ich, unabhängig davon, ob jemand Ali, Fatma oder was auch immer heißt. Aber eben genau dieses Spannungsverhältnis, dass es dann doch nicht egal ist, aber auch gleichzeitig egal sein sollte. Das wünscht man sich. "

    Imran Ayata
    "Hürriyet Love Express"
    Ca. 224 Seiten
    7,90 Euro, Kiepenheuer & Witsch