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Zwischen den Passionsspielen

Im Pestjahr 1633 hatten die Einwohner von Oberammergau feierlich gelobt, regelmäßig ein Passionsspiel aufzuführen. Das tun sie immer noch alle zehn Jahre. Um die Wartezeit bis zum nächsten Passionsspiel 2010 zu überbrücken, greift Oberammergau in diesem Jahr eine andere christliche Theater-Tradition werbewirksam auf: die so genannte Kreuzschule.

Von Rosemarie Bölts |
    Der Himmel über Oberammergau zieht sich zusammen. Kein gutes Zeichen. Es geht um die Geschichte des "König David" aus dem Alten Testament, der als Hirtenjunge den übermächtigen Goliath listig mit der Steinschleuder erledigt, dann als Erwachsener die schöne Bathseba zum Ehebruch verführt, ihren Mann Uriah im Krieg umkommen lässt, und schließlich die zwölf Stämme Israels eint, um effektiver gegen die feindlichen Völker Krieg führen zu können. Das geht, auf der Bühne wie im Alten Testament, mit viel Gewalt und Blutvergießen ab, und als ungehorsam gegenüber Gott gilt, wer, wie Noch-König Saul, statt Krieg nur Opfer gebracht hat, schimpft der Prophet Samuel:

    "Gehorsam ist besser als Opfer!...
    ...dass du nicht mehr König seist!"

    Archaisch sind die Zustände, ein Hauch von Mystik umweht das jüdische Volk, und eigentlich ist die Einteilung der Welt in "Gottesknechte" und "Gottlose" doch höchst aktuell.
    Geht es nicht darum, wer die Definitions- und Interpretationsmacht hat? Wer bestimmt, wer "König" ist und wer "Gott, der Herr"? Wer ermächtigt ist, "Gott zu erhören"? Oder andersherum: Wie erfolgreich lassen sich Völker für dumm verkaufen und in den Krieg ziehen? Es könnte also ein wunderbares "biblisches Schauspiel mit Musik" sein, wozu ganz Oberammergau auch sein Bestes gibt. Eine perfekte Organisation, die mit den weit über zwei Tausend Premieren-Besuchern in diesem touristischen Kleinod reibungslos fertig wird. Insgesamt 430 Darsteller, vom Greis bis zum Kleinkind, Musiker und Sänger aus dem örtlichen Kirchen-Chor und Musikverein, alles Laien, die so engagiert bei der Sache sind, dass es auch schon mal spontanen Szenenapplaus gab. Ziegen, Pferde, sogar ein Esel sind auf der großzügig ausgelegten und ebenso schlichten wie imposant gebauten Wüsten- und Tempelkulisse integriert, die mit allen 430 - Hauptdarstellern, Soldatenhorden und viel "Volk" - ein stimmiges Bühnen-Bild unter freiem Himmel geben.

    Dennoch bleibt es immer nur schön anzusehen, es bleibt: Theater. Die Inszenierung ist so statisch, dass sie keine Auseinandersetzung mit den Themen in Gang setzt. Zu groß war offensichtlich das Vorhaben für Autor und Regisseur Christian Stückl, "seinem" Oberammergau in der langen Fastenzeit zwischen den nur alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspielen ein weiteres, einkommensstarkes Event zu bescheren. Er schwurbelte Altes Testament und die hundertjährige Fassung des Münchner Hofpredigers Joseph Hecher zusammen, verrührte es mit Stückl’scher Alltagssprache, und heraus kam ein unbeholfenes Deklamieren zwischen "Gott" und "Jahwe", "Jahwe" und Gott":

    "Ich weihe dich zu Gottes Hochgesalbten...
    ...in dieser Stunde."

    Nach der Pause weinte der Himmel, auf die Wüste regnete es. Sechs Wochen Proben mit Darstellern, die dafür nur nach Feierabend Zeit haben, ist keine Leistung, sondern macht sich bemerkbar. Rollende "R’s" ersetzen keinen Sprechunterricht, und Lautstärke bis zum Brüllen ist sicher gut, um auch noch die hintersten Reihen der 2 700 Sitzplätze zu erreichen, aber übertönt trotz aller Anstrengung nicht die Spracharmut.

    Am Ende goss es in Strömen. Der Fremdenverkehrsdirektor strahlte. Die acht Vorstellungen sind schon zu siebzig Prozent verkauft. Da sind auch die Oberammergauer zufrieden. Denn neben dem erfolgreichen Marketing könnte sich "König David" auch als Talentschmiede für die nächsten Passionsspiele in acht Jahren erweisen. Wer weiß, ob aus dem jetzt 17jährigen "jungen David" nicht der nächste Jesus wird.