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Zwischen Denkmalschutz und Abrissbirne

Städte wie München oder Hamburg sind architektonische Schmuckstücke. Andere Städte hingegen sind von der Nachkriegsmoderne geprägt: Wohnsiedlungen, reine Zweck- und Betonbauten. Viele Menschen stehen zwischen dem Zwiespalt - Denkmalschutz oder Abrissbirne.

Von Ingeborg Breuer | 12.05.2011
    "Ich meine, wir haben mit dem Kölner Dom eine Ikone, um die uns die ganze Welt beneidet, da brauchen wir nicht noch eine halb fertige daneben zu stellen. Aber man wird konfrontiert mit der Forderung nach architektonischen Highlights, auch mit Ikonen des Städtebaus, mit Bilbao und Sydney. Und die Lösung, die dann gefunden wurde, Sanierung Oper und Abriss Schauspiel war ein Kompromiss, der für mich vor allem die Rettung der Oper darstellte. "

    Es war eine heftige Debatte, über die Bernd Streitberger, Baudezernent in Köln, hier berichtet. Lange wurde in der Domstadt darüber diskutiert, was mit Oper und Schauspielhaus, einem Ensemble des Architekten Wilhelm Riphahn aus den späten 50er-Jahren, geschehen solle. Am Ende wurde auch der Abriss des Schauspielhauses verhindert. Die Kölner Bürger hatten durchgesetzt, dass beide Gebäude saniert werden. Ähnliches ereignete sich gerade in Hannover. Dort protestierten Bürger ebenfalls gegen den schon beschlossenen Abriss des niedersächsischen Landtags. Im Vordergrund der Proteste standen aus dem Ruder laufende Kosten für die Neubauten. Doch letztlich ging es dabei ebenso um die Frage, wie man mit dem Erbe der Nachkriegsarchitektur umgehen soll.

    "Grundsätzlich ist man als Stadtplaner gut beraten, wenn man sich mit dem sich auseinandersetzt, was man vorfindet Also für mich bedeutet das, ich setze mich mit der Stadt auseinander, die ich vorfinde, ich habe nicht den Anspruch sie völlig umzugestalten, sondern sie weiter zu bauen. Sich mit den Beständen des Wiederaufbaus auseinanderzusetzen und zu schauen, welche Chancen sie haben. Und da ist eine ganze Menge drin."

    "Zwischen Denkmalschutz und Abrissbirne" hieß eine Tagung an der Evangelischen Akademie in Loccum am vergangenen Wochenende. Wie könnte ein verantwortungsvoller Umgang mit der Nachkriegsmoderne aussehen, die in großen Teilen das Gesicht deutscher Städte prägt - als Folge der immensen Zerstörungen des Krieges. Die Not damals war groß, das Geld war knapp - und nur eins war klar: dass nämlich die neue Architektur, die neue Stadt 'modern‘ sein müssten. Prof. Georg Wagner-Kyora, Historiker für Stadtgeschichte an der TU Berlin:

    "Jeder zog am diesem Strang und es war gar keine Alternative vorhanden, denn alles andere war desavouiert, man identifizierte den Nationalsozialismus mit konservativer politischer Tradition. Die band man zurück an die Architekturen des 19.Jhds. Und dann dachten die Leute, wenn wir uns davon abkehren, dann haben wir die Moderne. "

    Diese 'Moderne‘ prägte die Architektur bis in die 70er-Jahre hinein. In der ersten Nachkriegszeit baute man vor allem billige Wohnungen, um die akute Wohnungsnot zu lindern. Aber auch Repräsentationsbauten mit geschwungenen Formen, viel Glas und einer Suggestion von Leichtigkeit gehörten zum Stil der 50er. Da die Städte autogerecht sein sollten, fräste man breite Schneisen durch die Städte. Dann kam die Vorliebe für Rasterfassaden und Sichtbeton. Am Rand der Städte entstanden Großwohnsiedlungen. Fortschrittsoptimismus, Technikgläubigkeit, Zukunftsorientierung prägten die Zeit.

    "Man hatte in der Wachstumseuphorie die Maßstäbe abgelegt, man ging davon aus, dass sich alle Gesellschaften kontinuierlich auf hohen Wachstumsraten weiterentwickeln würden. Und unter diesem Wachstumsparadigma hatte man im Grunde keine Probleme, Ressourcen auszubeuten, umzulenken und möglichst der Massengesellschaft zu gute kommen zu lassen."

    Doch gut gemeint war offensichtlich nicht immer gut gemacht. Zunehmend äußerte sich Unbehagen an der "Unwirtlichkeit der Städte", an seelenlosen Betonburgen und monotonen Retortenstädten. Neue Fragen stellten sich:

    "Also ist nicht das, was so rumsteht, noch erhaltenswürdig? 1975 in Kreuzberg, Chamissoplatz ist es dann so weit, dass sich eine Bürgerbewegung gründet, die einen Platz sanieren will, nur weil es ein Gründerzeitplatz ist. Das wäre vorher undenkbar gewesen, aber diese Bürgerinitiative entdeckt einen Wert in diesen Gebäuden. ... dann beginnt plötzlich die Entdeckung ... älterer Bauepochen als schutzwürdig. "

    Vieles von dem, was in den 50er- bis 70er-Jahren gebaut wurde, gilt heute schlicht als Bausünde. Doch gibt es auch Kunsthistoriker, die dieses Erbe schützen wollen. Prof. Adrian von Buttlar zum Beispiel von der TU Berlin, macht sich zum Anwalt dieser Epoche.

    "Also die Glückversprechen der Moderne sind nicht immer eingehalten worden. Ich bin aber dagegen das Kind mit dem Bade auszuschütten und zu sagen, da hätte sich überhaupt nichts getan. Man muss schon schauen auf bestimmte Errungenschaften des Massenwohnungsbaus, die wesentlich besser waren als das vorher der Fall war. Auch das viel kritisierte Konzept der Stadtlandschaft, die Landschaft in die Stadt zu holen und nicht aufs Endlose die Landschaft zu zersiedeln, dass das alles Konzepte waren, die auch ihre Vorzüge gehabt. Die Alternative wäre ja gewesen für Zigtausende kleine Eigenheime im Grünen zu bauen mit kleinen Swimmingpools und Gartenzwergen. Und das wäre auch keine Lösung gewesen."

    Adrian von Buttlar rettete in Berlin schon viele Nachkriegsbauten vor dem Abriss. Auch damals, so von Buttlar, entstanden herausragende Bauwerke, mit denen man behutsam umgehen müsse.

    "Man könnte eine endlose Liste von Einzelbauten anführen, die gut gelungen sind. Das geht hin bis zu großen Repräsentationsbauten, die heute umstritten sind wie der niedersächsische Landtag. Und es gibt wunderbare Einzelbauten, die ganz unumstritten sind: als die Philharmonie in Berlin brannte, hat die ganze Stadt aufgeschrien, weil das ein wunderbarer und geliebter Bau ist. Dann gibt es hochinteressante Kirchenbauen, die haben ganz andere Probleme, nämlich dass ihnen die Gemeinden wegschwinden ... , dann gibt es aber auch schöne Wohnbauten, ... auch Beispiele etwa für Siedlungen, wie etwa das Hansaviertel aus den späten 50er Jahren."

    Setzt allmählich ein Umdenken auch in Teilen der der Bevölkerung ein? Zum Beispiel hatte der Künstler Merlin Bauer die Kölner Diskussion um den Abriss von Oper und Schauspielhaus zum Anlass genommen, um auf die Architektur der 1950er- und 60er-Jahre hinzuweisen. "Liebe deine Stadt", hieß das Kölner Projekt, bei dem viele Gebäude dieser Zeit ausgezeichnet wurden.

    "Es steckt dahinter doch auch ein unausgesprochenes Bekenntnis zu dem, was einem ans Herz gewachsen ist,, man kann sich nicht ohne weiteres von diesen großen Monumenten der jungen Demokratie, der jungen Bundesrepublik trennen. Warum soll man den ganzen Aspekt der Geschichte, des Lernens, mit unseren architektonischen Errungenschaften, die mit Demokratie verknüpft sind, einfach wegwischen?"

    Möglicherweise ändern sich, daran erinnert Adrian von Buttlar, mit der Zeit auch die Sichtweisen. Schließlich waren ja auch die heute so bewunderten Gründerzeitbauten eine Zeit lang vom Abriss bedroht.

    "Als Historiker weiß ich, dass immer die nächste Generation das Vorausgehende der älteren Generation kritisiert, in der nächsten Generation der Enkel wird es wieder entdeckt und man sieht dann plötzlich die Qualitäten. Und man sieht dann plötzlich nach den 50er -Jahren, die schon heiß beliebt sind und in sind auch in ihrer Ästhetik, da sind es jetzt die 60er-Jahre, die hochkommen. Und es gibt gerade im Architekturstreit schon viele Stimmen, die sagen, ihr werdet auch euer Herz für den Waschbeton der 70er-Jahre wiederentdecken."

    Trotzdem: viele werden sich weiter schwer tun mit dem Stil dieser Zeit. Mit groben Baukörpern, die 'autistisch‘ ihren nackten Beton zur Schau stellen. Mit der 'Bimsblock-Tristesse‘ am Rand vieler Städte. Mit finsteren Fußgängerunterführungen, über die oben der Verkehr rollt. Und dennoch: in all dem liegt unsere Geschichte. Und vor allem in Zeiten knapper öffentlicher Kassen muss man vielleicht genauer hinsehen, ob nicht in manchen dieser steinernen Zeitzeugen doch ein diskreter Charme verborgen liegt. Die Bürger in Hannover und Köln jedenfalls haben diesen Charme entdeckt. Bernd Streitberger, Baudezernent in Köln:

    "Das ist folgerichtig und vernünftig an der Stelle zu sagen, dann lass uns mal umgehen mit dem was wir haben hab ich immer gesagt, eine sanierte Oper wird nicht funkeln, aber sie wird leuchten, das wir sehr würdevoll, und funktionell wird es besser als heute. Und ... meine Hoffnung ist, dass das Bewusstsein für den öffentlichen Raum sich erhält, sich vertieft und das wir weitere Debatten haben werden."