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Zwischen Dschingis Khan und Chodorkowski

Der wilder Mongole Dschinghis Khanund der ehemalige Ölmagnat Michail Chodorkowksi sind Idole für Oppositionelle in Burjatien. Denn die jungen Burjaten sind freiheitsliebend, traditionsbewusst und patriotisch. Doch der scheidende Präsident Putin beschränkte die Autonomie der Regionen drastisch. Seitdem wächst der Widerstand in der sibirischen Republik.

Von Catrin Watermann | 01.03.2008
    Sonntagnachmittag in der burjatischen Hauptstadt Ulan Ude. Im Zentrum für Burjatische Kultur ist viel los. Musik und Stimmen dringen aus allen Räumen. Der Holzboden vibriert unter den Sprüngen der Kinder-Tanzgruppe. In Zimmer 3 am Ende des Flurs bringt ein Lehrer seinen Schülern das Obertonsingen bei. Er ist eigens aus der Mongolei gekommen, um hier zu unterrichten und macht ihnen vor, wie es richtig geht.

    Lena Badmajewa schaut zur Tür herein, um zu hören, ob es schon Fortschritte gibt. Sie koordiniert die Zusammenarbeit der Kulturhäuser in der ganzen Republik. Ob Obertongesang, traditioneller Tanz oder Sprachkurse in Burjatisch: Die Nachfrage ist groß. Die 23-jährige mit den langen, schwarzen Haaren spricht die Sprache fließend, was nicht selbstverständlich ist:

    "In meiner Familie sprechen wir Burjatisch untereinander. Mir ist das nicht peinlich, ich wünsche mir, dass alle Burjaten ihre Sprache kennen und sie nicht vergessen. Sie sollen sich nicht ihrer Herkunft schämen und die Sprache an ihre Kinder weitergeben."

    Viele Jahre galt es unter Burjaten als rückständig, die eigene Sprache zu sprechen. Ohne Russisch, am besten akzentfrei, ist ein sozialer Aufstieg in der Hauptstadt Ulan Ude auch heute noch undenkbar. Doch das Bewusstsein für die eigene Kultur und Sprache wächst seit der Perestroika. Umso stärker ist der Widerstand gegen den Kreml, der neu gewonnene Freiheiten wieder beschneidet.
    Das Herz der oppositionellen Bewegung in Burjatien schlägt in einem 10-Quadratmeter-Zimmer:

    Das Büro der demokratischen Jabloko-Partei ist nicht nur Treffpunkt der Parteimitglieder: Es ist Anlaufstelle für alle in Ulan Ude, die jung und gegen die autokratische Kreml-Politik sind.
    Auch Sergej Dambajew ist schnell auf eine Tasse Tee hereingekommen. Der nachdenkliche Mittdreißiger ist in der Bewegung Graschdanskij Front aktiv, bekannt durch den Ex-Schachspieler und Putin-Gegner Garri Kasparow. Die politische Kultur in Ulan Ude sei eine ganz andere als in Moskau, meint Sergej Dambajew:

    "Da gibt es andere Aktivisten als hier. Da sind die Nationalbolschewisten ganz stark, bei uns gibt es die nicht. In Burjatien gibt es keine russisch-nationalistische Bewegung. Wir haben die pro-burjatische Bewegung "Erche", die Oppositionellen von Jabloko, Oborona, Graschdanskij Front ... .Wir leben in einer kleinen Stadt, 400 000 Menschen, alle politisch oppositionell Aktiven kennen sich, das sind vielleicht so um die Tausend."

    Die oppositionelle Szene ist gut organisiert. Das hat seinen Grund. Nahezu alle in Ulan Ude, die Ende Zwanzig- bis Mitte Dreißig und politisch aktiv sind, haben an Seminaren der Stiftung "Offenes Russland" teilgenommen. Sie alle gingen 2003 in die "Publitschnaja Schkola". In dieser "Öffentlichen Schule" lernten junge Leute in ganz Russland, was demokratisches Miteinander bedeutet. Geldgeber war Michail Chodorkowksi, einst Vorstandsvorsitzender des Ölkonzerns Jukos. Seit zweieinhalb Jahren sitzt er in einem Gefängnis im sibirischen Krasnokamensk. Sein Unternehmen ging in Staatsbesitz über, die Stiftung wurde zerschlagen. Für Sergej Dambaew, der ein Jahr in der "Publitschnaja Schkola" mitgearbeitet hat, ist der ehemalige Oligarch immer noch ein Vorbild:

    "Er wollte das Parlament stärken und die Position des Präsidenten schwächen. Denn in Russland regiert der Präsident wie der Zar. Chodorkowski wollte eine echte Gewaltenteilung.
    Es war ein offenes Diskussionsforum, es gab runde Tische, Konferenzen, zu denen sehr unterschiedliche politische Kräfte eingeladen waren und sich ausgetauscht haben. Heute gibt es das nicht mehr."

    Auch Dorjo Dugajew ist in die politische Schule Chodorkowskis gegangen. Der 28-jährige assistiert dem örtlichen Jabloko-Chef und ist gleichzeitig Initiator der russlandweiten Jugendbewegung "Oborona", Verteidigung. Verteidigen will er vor allem die Republik Burjatien. Sein aktiver Widerstand begann vor drei Jahren, als der Druck aus Moskau auf die Regionen zunahm. Er ist gegen die Auflösung autonomer burjatischer Bezirke in der Baikalregion und organisiert die Kundgebungen der Kreml-Gegner. Festnahmen seitens der Miliz und Überwachung vom Geheimdienst FSB sind für den sonst lebenslustigen Dorjo zum Alltag geworden:

    "Um die Bevölkerung zu unterstützen, um freie Informationen zu bringen, haben wir in den Bezirken unser Material verteilt, Bücher, Zeitungen, Flugblätter. Das Material fiel in die Hände des FSB. Sie sagten, die Flugblätter riefen dazu auf, gegen die Auflösung zu stimmen und das sei das ein terroristischer Akt." (lacht)"

    Seit März 2007 hat Burjatien einen neuen Präsidenten: Wjatscheslaw Nagowizin. Putin berief ihn aus dem fernen, westsibirischen Tomsk in die Republik östlich des Baikal. Seit 2004 können die Regionen ihre Oberhäupter nicht mehr direkt wählen. Der Kreml hat auch hier seine Kontrolle verschärft.

    Überall in der Stadt hängen riesige Plakate: Schöne Frauen in bunten Trachten sind darauf zu sehen. Oder Kinder auf Pferden in weitläufiger Steppenlandschaft.
    Auch Präsident Nagowizin will - obwohl Russe - mit der burjatischen Karte punkten. Dabei soll ihm die regierungstreue Bewegung "Novij Schisn" helfen. In der kleinen Fußgängerzone von Ulan Ude haben Mitglieder des "Neuen Lebens" einen Stand aufgebaut. Sie beschallen die Passanten mit Popmusik und verteilen hübsche Broschüren. Wie das "Neue Leben" für die Menschen genau aussehen wird bleibt im Dunklen.
    Für Dorjo Dugajew und seine Mitstreiter hat die Bewegung wenig mit echter burjatischer Kultur zu tun. Sie sei vielmehr dazu da, das Volk ruhig zu stellen:

    ""Diese künstlichen Jugendbewegungen der Regierung, die ihnen Märchen erzählen. Die machen aus den jungen Leuten Menschen, die nur sich selbst, die Karriere und das Geld lieben."

    Die jungen Oppositionellen in Burjatien träumen von einer Orangenen Revolution, von gewaltlosen Massenprotesten wie 2004 in Kiew. Mit den damaligen Initiatoren in der Ukraine gibt es engen Kontakt: Sie kamen 2006 sogar nach Ulan Ude, um ihre Erfahrungen weiter zu geben. Aber trotz aller Revolutionsromantik bleibt Dorjo Dugajew auf dem Boden der Tatsachen:

    "Wir würden gern glauben, dass es eine samtene Revolution in Russland geben wird. Aber die Stärke der russischen Opposition ist noch nicht ausreichend. Die Zeit muss noch kommen, in der die Leute diese Diktatur selbst nicht mehr wollen und uns offen unterstützen, auf die Straße gehen, gegen die Diktatur."