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Zwischen Einsamkeit, Liebe und Träumen

Bahman Nirumand musste zwei Mal aus seiner Heimat Iran fliehen. In den 60er-Jahren vor dem Schah-Regime, dann unter dem Regime der Mullahs. Jochanan Shelliem sprach mit dem Wanderer zwischen den Welten, der nun seine Lebensbilanz vorgelegt hat.

Von Jochanan Shelliem |
    Weit ist der Bogen, den der iranische Autor schlägt. Aus der Welt der Despotie in die deutsche Nachkriegsrepublik. Deutsch lernt Bahman Nirumand durch Goethes Faust, den er streckenweise heute noch rezitieren kann. Statt Arzt zu werden oder Ingenieur, wie andere Verwandte, studiert er Germanistik und kehrt als promovierter Brechtkenner 1960 in den Iran zurück.

    Immer wieder befindet sich Bahman Nirumand in historischen Umbruchsituationen des Iran in Teheran. 1953 erlebt er in den Sommerferien den von Briten und Amerikanern organisierten Putsch gegen den Premierminister Mohammad Mossadegh, der die iranische Ölindustrie hatte verstaatlichen lassen. Nirumand verflicht die große Geschichte mit seinem Weg und beschreibt den Widerspruch zwischen deutscher Biederkeit und iranischen Umsturzszenarien. Dieser Konflikt politisiert zahlreiche Iraner in der Bundesrepublik. In Tübingen gründet Bahman Nirumand mit Gleichgesinnten 1957 einen liberalen Kulturverein für den sich auch der iranische Geheimdienst interessiert, als man eine Zeitung gründen will.

    Als die Tür geöffnet wurde, bot sich mir ein Anblick, der wie ein elektrischer Schlag wirkte. Der Mann, der vor mir stand, war mir durch Fotos wohl bekannt. Es war General Ayromlu, Chef des iranischen SAVAK im Ausland. Er begrüßte mich und meine Freunde sehr freundlich und bat uns, einzutreten.

    Nirumand erzählt hier die Geschichte seiner Radikalisierung. Es ist die Geschichte einer gesamten Generation von Exilanten in der Bundesrepublik. Aus der gescheiterten Unterwanderung des iranischen Kulturvereins durch den Geheimdienst geht 1960 die Konföderation der Iranischen Studenten CIS/NU hervor.

    "Die CIS/NU war eigentlich ein Dachverband der iranischen Auslandsopposition. Es waren Zehntausende, die in den 60iger- und 70iger Jahren dieser Organisation angehörten und wir waren sozusagen in fast aller Welt vertreten, in Amerika, in Frankreich, Italien, Japan, Indien - überall waren wir und wir waren sehr, sehr gut organisiert. Wir konnten also innerhalb von 24 Stunden überall Demonstrationen durchführen. Nach der Gründung der CIS/NU bin ich in den Iran gegangen. Da war ich dann fünf Jahre im Iran."

    Im Iran versucht sich der promovierte Brechtkenner an der Teheraner Universität, scheitert jedoch an der Zensur. Im Goethe Institut findet sich ein Freiraum in der iranischen Diktatur. Dort entdeckt Hans Magnus Enzensberger den politischen Sachverstand des jungen Deutschlehrers, mit dem er sich anfreundet.

    "Und dann hat er gesagt, warum schreiben Sie nicht ein Buch darüber, sammeln Sie Dokumente und schreiben Sie."

    Nirumands Analyse der iranischen Diktatur trifft drei Jahre später in Berlin, in der hoch politisierten Welt von 1967 den Nerv der Zeit. Depeschen werden vom Geheimdienst des Schah in das Innenministerium in Bonn versandt, um das Buch - Persien, Modell eines Entwicklungslandes - zu verbieten. Die Analyse wird in der Führung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes diskutiert, die Bahman Nirumand durch Hans Magnus Enzensberger und Freimut Duve kennen lernt.

    "Zum ersten Mal erschien in Deutschland ein Buch, das ein sog. unterentwickeltes Land tatsächlich durchleuchtete und gleichzeitig die Politik des Westens gegenüber solchen Ländern aufdeckte."

    Der gefeierte Iraner lotet die Studentenbewegung in seiner Autobiografie von innen aus. Mit der Gelassenheit des heute 75-Jährigen berichtet er, wie sein VW Käfer als Piratensender vor der Freien Universität eine Veranstaltung des SDS aus dem Audimax übertrug. Doch die Spaßrevolte wird bald überschattet. Der Oppositionsführer wird vom iranischen Geheimdienst SAVAK verfolgt. Das Dutschke Attentat beendet die Hochzeit der Ideologen, die Zeit der Konfrontation beginnt und im Iran startet die kommunistische Tudeh Partei mit dem Angriff auf eine Polizeistation von Siahkal die erste Guerilla-Aktion.

    Siahkal wurde zum Symbol des Widerstands. Die Opfer riefen bei der Bevölkerung Bewunderung hervor, sie wurden zu Helden erklärt. Während die Rote Armee Fraktion im damaligen Westdeutschland nahezu in der gesamten Bevölkerung nichts als Hass erntete, wurden die Guerilleros im Iran, ob tot oder lebendig, als selbstlose Menschen betrachtet.

    Der Zeit der Helden folgt die Einsamkeit des Iraners im Exil. Nirumand, verfolgt vom Staatsschutz, gilt nun als unerwünscht. Ehemalige Genossen, die sich nun eigenen Karrieren widmen wollen, meiden ihn. Und vom Zufall berichtet Bahman Nirumand, davon wie es dem von Saddam Hussein auf Druck des Schah aus dem irakischen Exil unter die Apfelbäume von Neuf le Chateau vertriebenen Geistlichen Ayatolla Khomeini gelingt, die Weltmeinung für sich einzunehmen, bevor er sich an die Spitze der iranischen Opposition setzt und deren Köpfe rollen lässt.

    "Zum Beispiel die kommunistische Tudeh Partei hat lange Jahre mit dem Regime zusammengearbeitet und sogar bei der Liquidierung der Unabhängigen Linken mitgeholfen, aber danach waren sie selbst dran. So wie Brecht das sagt."

    Bahman Nirumand erzählt unprätentiös, wenig larmoyant, stets analytisch und - da ist er Orientale - leise sehnsuchtsvoll. Die 1968er-Bewegung, heute gern als homogener Block rezipiert, wird in seiner Rückschau differenziert. Das komplizierte, für ihn auch schmerzhafte Spannungsgeflecht der verschiedenen Fraktionen wird durch den Blick des Exil-Iraners transparent. Nirumand ist ein zeitgeschichtliches Werk gelungen, das uns zwar wenig Anhaltspunkte für die gegenwärtige Politik von Ahmadinedschad liefern will, aber das Zusammentreffen von Auslandsopposition und deutscher Studentenrebellion auf eine faszinierende Weise mit vielen Facetten deutlich macht. Daneben erzählt diese Autobiografie von Bahman Nirumand auch auf schonungslose Weise von der eigenen Einsamkeit, seiner Depression und einer Liebe. Eine Geschichte voller Träume, Illusionen und Erstarrungen und auch davon, wie provinziell die 1968er im Kern geblieben sind, erzählt von einem, der dabei gewesen ist.

    Bahman Nirumand: Weit entfernt von dem Ort, an dem ich sein
    müsste.

    Rowohlt Verlag, 379 S., 19,95 Euro
    ISBN: 978-3-498-04693-4