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Zwischen Erosion und Erneuerung

Über Hartz IV Empfänger, Mittellose am Rande der Gesellschaft oder arme, alleinerziehende Mütter ist schon viel geforscht und geschrieben worden. Auch die Reichen und die Superreichen rücken immer wieder in den Focus der Medien und Sozialwissenschaften. Weitgehend unbekannt ist bislang die Mitte der Gesellschaft. Eine neu vorgestellte Studie hat die Lücke geschlossen.

Von Barbara Weber | 19.04.2007
    "Das ist eine schwierige Frage: Was ist Mittelschicht?

    Also ich denke, Mittelschicht ist ursprünglich mal so mehr die Kaufleute und so was gewesen, hat sich aber in letzter Zeit mehr gewandelt in Richtung Bildungsbürgertum."

    Susanne Wenig-Andreas und Stefan Andreas sitzen um den Esszimmertisch und grübeln.

    "Eigentlich die gesellschaftstragende Schicht.

    Ja, weiß ich nicht, ob das wirklich die gesellschaftstragende Schicht ist. Wir dürfen die Arbeiter und Handwerker natürlich auch nicht vergessen. Man kann nicht sagen, dass die heute keine Mittelschicht sind. Wenn ich mir Arbeiter beim Daimler angucke, als wir in Stuttgart waren oder die hier in den Raffinerien arbeiten, die mittlerweile fast so ein Einkommen haben wie ich auch habe, wo ich im Büro sitze, dann muss ich sagen, dass gehört genauso zur Mittelschicht. "

    Familie Andreas gehört zur deutschen Mittelschicht. Stefan Andreas ist beim Gerling-Konzern verantwortlich für den Online-Vertrieb von Versicherungen. Seine Frau Susanne betreut die drei Kinder. Nach der Geburt des ersten Kindes hat sie ihren Beruf als Abteilungsleiterin in einer Druckerei aufgeben müssen, weil es an entsprechender Kinderbetreuung mangelte.

    Die Familie wohnt in einem Einfamilienhaus in Wesseling am Rhein.

    Mittelschicht ist ein typisches Phänomen der Neuzeit, auch wenn Aristoteles schon auf die Bedeutung einer mittleren Schicht in der Gesellschaft hingewiesen hat.
    Der antike Philosoph vertrat nämlich die Auffassung, dass eine "auf die Mitte aufgebaute Gemeinschaft die beste" sei.

    Mittelschicht in der Neuzeit steht für Innovation und Dynamik, Stabilität und Dauer einer Gesellschaft. Nach dem 2. Weltkrieg war es die gesellschaftliche Mitte, die Deutschland wieder aufbaute:

    "Das war eine Schicht, die wuchs. Das war eine Schicht, der es materiell im Verhältnis vor allem der Arbeiterschicht immer besser ging. Das war eine Schicht, die dann auch kulturell zum Vorbild sich entwickelte, also dieses Aufwärtsstreben, dieses Leistungsstreben, das sich durchsetzen können, das wurde auch für große Teile der Arbeiterschaft zum Vorbild,"

    meint Prof. Stefan Hradil, Soziologe an der Universität Mainz.

    "Das war eine Schicht, die die Gesellschaft im Grunde integriert hat, denn sie stellte einen stets wachsenden Mittelbestandteil dar. Sie verkörperte die Aufstiegshoffungen für diejenigen, die noch nicht in dieser Schicht angelangt waren, sehr wohl aber dahin wollten. Das war auch durchaus realistisch, mal zu dieser Schicht zu gehören. Und sie verkörperte auch das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen, denn "Freie Bahn dem Tüchtigen", das war die neue Mittelschicht, wo viele sich versammelt haben, die es eben können und die den Aufstieg geschafft haben."

    Geschafft hatte es derjenige, der konsumieren konnte: Eigenheim, Auto, Einrichtungen, Fernseher - Der Wohlstand wuchs und die Mittelschicht galt als trendbildend in ihrem Konsumverhalten. Arbeiterhaushalte versuchten entsprechend nachzuziehen.

    Das hielt bis in die 70er, zum Teil auch 80er Jahre an. Dann kam die Wende, nicht abrupt, aber schleichend:

    "Bemerkenswert ist zum einen, dass wir seit den 90er Jahren feststellen, dass die Mittelschicht nicht mehr wächst. Es gibt unter den Sozialwissenschaftlern ein berühmtes Bild aus der Nachkriegszeit, wo man die Sozialstruktur mit einer Zwiebel verglichen hat, also mit dem breiten Mittelstandsbauch. Es gab dann schon einzelne Stimmen von Sozialwissenschaftlern in den 90er Jahren, die sagen, na ja, die Zwiebel entwickelt sich zur Sanduhr mit einem ganz schmalen Mittelstandsbereich. Das ist übertrieben. Aber, was stimmt, ist, dass die Mittelschicht nicht weiter wächst, also der Bauch der Zwiebel wird keineswegs immer dicker, das Größenwachstum stagniert. "

    Ein weiterer Aspekt kommt hinzu:

    "Es ist auch so, dass die Wohlstandsentwicklung, wenn man das mit dem Durchschnitt der Gesellschaft vergleicht, nicht insofern weitergeht, als die Mitte sich weiter in einer immer positiveren Lage befindet. Die Bruttolöhne und Bruttogehälter wachsen zwar durchaus weiter, weil da im Bereich dieser gesellschaftlichen Mitte mit Abstand größere Abgaben und Steuern bezahlt werden als zum Beispiel in den unteren Schichten, sind die Nettolöhne seit den 90er Jahren nur im Bereich des Durchschnitts haben sich entwickelt. Und es geht nicht immer besser. Also wir haben eine Stagnation der Prosperität der wirtschaftlichen, und wir haben auch eine Stagnation des Größenwachstums."

    Wie Wissenschaftler vom Ifo Institut für Wirtschaftsforschung im Rahmen der Studie darüber hinaus feststellen konnten, verdienen Angehörige der gesellschaftlichen Mitte zwar im Durchschnitt mehr als der durchschnittlich Erwerbstätige. Der Vorsprung ist mit der Zeit aber leicht gesunken. Die Einkommen derjenigen, die zwar über höhere Qualifikationen verfügen, aber noch nicht zur gesellschaftlichen Mitte zählen, sind in den letzten zehn bis zwanzig Jahren sogar eher geringer gestiegen als die durchschnittlicher Erwerbstätiger.

    Zu der Stagnation des Einkommens kommen Veränderungen am Arbeitsplatz. Stefan Andreas arbeitet seit elf Jahren bei Gerling als Verantwortlicher für den Online-Vertrieb von Versicherungen:

    "Damals in einer sehr guten Situation. Der Gerling Konzern ist ja als Industrie-Versicherer - hat einen sehr guten Stand gehabt. Im Jahr 2000 gab es durch Fehlspekulationen im Management eine sehr schwierige Situation, die bis zum Jahr 2004 anhielt, so dass man fast befürchten musste, Gerling würde pleite gehen. Das hätte auch Auswirkungen auf die Arbeitsplätze gehabt. In der Zeit haben wir auch Gehaltseinbußen hinnehmen müssen, das heißt, es gab keine Gehaltssteigerungen, wir mussten freiwillig auf Gehaltssteigerungen verzichten. Wir haben keine Bonifikationszahlungen mehr bekommen. Also das sind schon Einschnitte gewesen,"

    die Stefan Andreas gern in Kauf genommen hat, da sonst Entlassungen drohten.
    "Ende 2005 ist der Gerling Konzern durch den HDI aus Hannover gekauft worden. Und seit Mai 2006, seit fast einem Jahr bangt jeder bei uns um seinen Arbeitsplatz, da über 1800 Stellen abgebaut werden sollen ist das auch eine Sache, wer wird übernommen und wo ist sein zukünftiger Arbeitsplatz."

    Stefan Andreas hat Glück. Er wird übernommen. Aber sein zukünftiger Arbeitsplatz ist voraussichtlich in Hannover. Das trifft die ganze Familie, meint seine Frau Susanne:

    "Wir haben unsere ganzen Familien hier, also meine Familie wohnt hier, seine Familie wohnt hier, also die Großeltern und Geschwister und so. Und außerdem kommt natürlich dazu, dass ich meine ehrenamtlichen Tätigkeiten, also ich bin Ratsmitglied, ich bin Schiedsfrau, dass ich das natürlich nicht so ohne weiteres übergangslos übernehmen kann, denn wenn man in eine neue Stadt zieht, dann muss man halt auch erst mal gucken, wie sieht's da aus, was sind da für Mehrheitsverhältnisse, wie sind die Interessen der Leute da. "

    Und ihr Mann ergänzt:

    "Das sind natürlich Sachen, die sind mit Unwägbarkeiten verbunden, kriegt man das Haus vermietet, an wen wird es vermietet, kriegt man zum vernünftigen Preis in dem Bereich wieder was, kaufen wir, mieten wir was. Das spielt natürlich eine ganz große Rolle. Finden die Kinder vernünftige Schulen. Sie haben hier keine 500 Meter bis zur Schule, alle drei Kinder. Und das sind natürlich Punkte, die eine große Überlegung dabei spielen. "
    Eins ist allen Beteiligten klar: Mehr verdienen wird Stefan Andreas in Hannover nicht. Vielmehr wurde vom Arbeitgeber schon angedeutet, dass es so lange keine Gehaltserhöhungen gibt, bis sich die Gehälter dem niedrigeren Stand in Hannover angeglichen haben.

    Immerhin ist Stefan Andreas froh, dass er nicht entlassen wird.

    Die Angst vor Arbeitslosigkeit und womöglich dramatisch abzusteigen, war in den unteren Schichten schon seit langem bekannt. Von den Un- und Angelernten so Prof. Andreas Hradil - fürchtet ungefähr ein Viertel den Verlust des Arbeitsplatzes. Das hat sich aber auch in den letzten 10 bis 20 Jahren nicht verändert.


    "Was neu ist, ist, dass in der Mittelschicht solche Ängste zunehmen. Wir haben noch Ende der 80er Jahre ganze vier Komma so und soviel%e gehabt dieser qualifizierten Mittelschicht, die sagte ja, ich habe Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, das waren sehr wenige Menschen. Wir haben heute einen sehr viel höheren Anteil, nämlich über vierzehn Prozent, die uns auf diese Frage antworten, ja, ich habe konkret Angst, meinen Arbeitsplatz zu verlieren, also man kann schon sagen, wenn man das bildlich ausdrücken will, dass die Ängste, die zuvor außerhalb der Bürotürme angesiedelt waren, jetzt in den Bürotürmen langsam die Hierarchie hoch kriechen. Das ist ein neuer Tatbestand. "
    Die Gründe sind zum Teil hausgemacht, meint der Historiker Prof. Paul Nolte von der Freien Universität Berlin. Die Politik habe zu spät reagiert. Die Arbeitsplätze seien durch steigende Sozialabgaben immer teurer geworden. Immer neue Leistungen wie die Pflegeversicherung würden die Arbeitsplätze belasten. Parallel dazu gab es Entwicklungen in der Weltwirtschaft, die die Situation auf dem heimischen Arbeitsmarkt verschärft haben:

    "Das ist der globale Wandel seit den 70er, 80er Jahren, seitdem ist diese große Nachkriegsprosperität der westlichen Gesellschaften, die bis in die 70er Jahre getragen hat, zu Ende gegangen, und wir sprechen seitdem von den Grenzen des Wachstums, Nullwachstum, holpern uns so zurecht, wie wir das immer noch tun, im Moment geht es ja wieder etwas besser, aber diese Stagnationserfahrung, die kommt aus bestimmten globalen Entwicklungen auch. Andere Weltregionen, das merken wir jetzt auch, die haben die Führung übernommen, und der ökonomische Wandel betrifft den Arbeitsmarkt ganz stark. Das wirkt auch auf die Mittelschicht ein, obwohl die Mittelschichtberufe nicht der Hauptverlierer sind sondern Produktions- arbeitsplätze, billige Dienstleistungsarbeitsplätze werden geschaffen. Also die Mittelschichten sind von diesem Wandel betroffen aber in geringerem Umfang."
    Das heißt, zwar hat die Angst vor dem Abeitsplatzverlust die Mittelschicht erreicht, sie ist aber nicht in jeder Hinsicht berechtigt. Die Akademiker-Arbeitslosigkeit liegt bei etwa vier Prozent. Befürchtungen können aber auch durch Veränderungen ausgelöst werden. So hat die Belastung am Arbeitsplatz dramatisch zugenommen, wie der Soziologe Stefan Hradil meint, und nennt konkret:


    "Sowohl die Konkurrenz als auch das Getrieben sein durch Zahlen, durch Kennzahlen, geht es der Abteilung gut wirtschaftlich? Schreibt sie schwarze Zahlen? Geht es ihr nicht gut? Das treibt die qualifizierte Mittelschicht ja sehr unmittelbar an. Die Arbeitszeiten werden zum Teil sehr, sehr lang. Und auch die wirtschaftliche Situation ist nicht so, dass es ihr immer und immer besser geht. Es ist auch nicht so, dass wenn wir das quantitativ berechnen, wie viel Menschen gehören bestimmten mittleren Einkommensbereichen an. Diese Zahl wächst nicht mehr, aber sie schrumpft auch nicht. "
    Vom wirtschaftlichen Niedergang der Mittelschichten zu sprechen, ist übertrieben. Allerdings gibt es Beispiele, wo durch Arbeitsplatzverlust und in Folge Hartz IV Bezug der Abstieg droht. Die Wahrscheinlichkeit ganz unten anzukommen, steigt am unteren Rand der Mittelschicht

    Ein zweiter, wichtiger Faktor, der den Abstieg begünstigt, sind gesellschaftliche Veränderungen. Während in den 50er und 60er Jahren Ehe und Familie als feste Institutionen angesehen wurden, landet heute jede dritte Ehe vor dem Scheidungsrichter. Insbesondere Mittelschichtsfrauen brechen aus einer unbefriedigenden Beziehung aus. Während in der Ober- und Unterschicht eher an traditionellen Rollenbildern festgehalten wird, hat dazwischen ein dramatischer Wandel stattgefunden.

    "Das ist auch eine Kraft, die an Mittelschichtexistenz reißt. Stellen Sie sich eine Familie vor, wo 1 1/2 Einkommen vielleicht vorhanden sind und zwei Kinder, ... gesicherte Mittelschichtexistenz, und dann bleibt diese Familie aber nicht zusammen. Es kommt zur Scheidung. Der Mann muss irgendwo einen eigenen Haushalt aufbauen, die Restfamilie noch mitfinanzieren. Die Frau findet vielleicht nicht wieder so schnell - oder kann, weil die Kinder so klein sind, noch nicht Einstieg in den Arbeitsmarkt finden. Die Verhältnisse werden knapper. Also, in diesen zerrissenen Konstellationen, mit denen wir es jetzt häufig viel zu tun haben, liegt auch eine Kraft, die an der Mittelschicht ganz stark reißt."
    Typisch für die Mittelschicht war schon immer eine gewisse Abgrenzung. Suburbanisierung, das Häuschen im Grünen, gilt als Mittelschichtsphänomen. Mittelschichtskinder gehen dort in Schulen, die durch die Mittelschicht geprägt werden.

    Lange Jahre galten durch den Wegzug aus der Stadt die Innenstädte als Wohnorte für Randgruppen, ärmere Bevölkerungsschichten und Rentner. Das hat sich geändert: Mittelschicht setzt auch den neuen Trend zurück in die Innenstädte und verdrängt dort ärmere Bevölkerungsgruppen, die sich das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten können.

    Und noch etwas lässt sich beobachten: Bildung gewinnt an Bedeutung.
    Bildung war schon immer ein typisches Mittelschichtsphänomen. Jetzt wird sie zelebriert:

    "Die Bildungseuphorie seit dem Pisaschock, hat auch zu so etwas wie einer sehr markanten Selbstvergewisserung der Mittelschichten über die Bildungsstrategien geführt, so dass man geradezu aufpassen muss, dass die unteren, die bildungsfernen Schichten, wie wir jetzt so schön sagen, darin nicht geradezu noch mehr abgehängt werden, dass die nämlich von der Bildungseuphorie weniger mitkriegen während die Mittelschichtseltern jetzt darauf achten, dass ihre Kinder ins Ausland gehen, auf eine Privatschule gehen, dass man noch sich ein zweites und drittes Lexikon und diese und jene Buchserie und diese und jene Wissenssendung im Fernsehen, die wieder populär geworden ist, reintut. Also Bildungsvergewisserung ist eine ganz deutliche Abgrenzungs- und Vergewisserungsstrategien der Mittelschichten im Moment."
    Während die Mittelschicht sich selbst vergewissert, hat sie ihre ehemalige Vorbildfunktion für diejenigen verloren, denen es schlechter geht. Unterschicht orientiert sich nicht mehr an Mittelschicht. Im Gegenteil: In den USA ist inzwischen zu beobachten, dass Rapper, die in ihren Songtexten Gewalt, Prostitution und Drogen idealisieren, zum Vorbild für Mittelschichtskinder werden.


    Auch das Gefühl von Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft, das mit Mittelschicht verbunden war, existiert nicht mehr. Inzwischen gibt es genauso viel Abstiege aus wie Aufstiege in die Mittelschicht.

    Der Aufstieg in die Mittelschicht ist schwerer geworden. Die ehemals berechtigte Hoffnung, mit dem Realschulabschluss den Kindern einen Weg nach oben zu ebnen, ist illusorisch.

    Das - meint Prof. Stefan Hradril - ist das eigentlich gefährliche: Die Mittelschicht hat ihre Integrationskraft verloren. Und Paul Nolte ergänzt:

    "Was schwieriger geworden ist, sind Übergangsprobleme, das Hineinfinden in die Mittelschicht, wenn ich ein Studium gemacht habe und dann nicht mehr, wie das in der Elterngeneration, wie das bis in die 80er Jahre der Fall gewesen ist, quasi automatisch in irgendeine Staatsdienstposition hineinrutsche, wenn ich als Anwalt, als Jurist nicht selbständig werde, kann ich noch irgendwie im Staatsdienst Jurist werden, als Mediziner, als Lehrer, wie auch immer, oder komme als Sozialarbeiter gesichert im Staatsdienst unter, also diese Übergangsproblematik, die ist wesentlich schwerer geworden."
    Die beteiligten Wissenschaftler ziehen ein ernüchterndes Fazit:
    Der Mittelschicht geht es zwar besser, als viele annehmen. Aber es ist schwieriger geworden hineinzukommen und leichter heraus zu fallen. Gesellschaftspolitisch gesehen ist das brisant, denn es erweckt den Anschein, dass sich persönliche Anstrengung und Leistung nicht lohnen. Andererseits sind es überwiegend Mittelschichtsangehörige, die sich in unserer Gesellschaft ehrenamtlich engagieren.

    Was bleibt ist die Frage, wer in unserer Gesellschaft Funktionen einer stagnierenden Mittelschicht übernehmen und zu ihrer Stärkung beitragen kann. Stefan Hradil:

    "Gruppen, die heute nicht zur Mittelschicht gehören, sehr wohl. Ich denke vor allem an Frauen, an Migranten auf der anderen Seite. Wenn es gelingt, in erster Linie ist hier das Bildungswesen anzusprechen, erstens wieder mehr Bildung hervorzubringen, die Tatsache, dass die Mittelschicht nicht mehr an Größe zunimmt, ist ja auch der Tatsache geschuldet, dass unser Bildungswesen seit über zehn Jahren nicht immer mehr Abiturienten und immer mehr Hochschulabsolventen hervorbringt, sondern dass diese Zahlen stagnieren und wir im Vergleich zu vielen anderen Ländern immer mehr zurückfallen, also mehr Bildung, dann auch Bildung für Milieus, die heute bildungsfern sind Und, was die Frauen betrifft, die haben ja heute schon eine sehr gute Bildung, eine bessere Bildung als die Männer, was sie nicht haben, ist die mittlere oder höhere Position in den Bürotürmen, um das mal so auszudrücken. Das würde die Integrationskraft der Mittelschicht stärken, wenn sich der Eindruck verbreitete, wenn ich als Frau, wenn ich als Migrantenkind nur tüchtig genug bin, dann kann ich es durchaus schaffen, auch in den Bürotürmen relativ weit oben zu landen."