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Zwischen Erziehen und Wegsperren

Jugendliche Straftäter geraten häufig in einen Teufelskreis, der eine kriminelle Karriere vorbestimmt. Um das zu verhindern, soll Strafvollzug gerade für Jugendliche mehr sein als Wegsperren. Neue Wege sind gefragt. An einigen Orten in Deutschland werden sie bereits beschritten.

Von Michael Kuhlmann |
    Wer zwischen Stuttgart und Leonberg durch das Mahdental fährt, der stößt an der Abzweigung nach Sindelfingen auf zwei Gebäude mit dem Namen "Seehaus". Beide liegen einander fast gegenüber - und könnten doch unterschiedlicher nicht sein. Das eine Seehaus ist ein Hotel; im anderen, jenseits der Straße, sind junge Straftäter untergebracht. Zu ihnen gehört der 17-jährige Alex. Er ist seit vergangenem November hier. Gerade führt er eine Gruppe von Berufsschullehrern durch das Gebäude.

    "Grad Treppe hoch und dann links durch die Tür!"

    Der "Jugendhof Seehaus", wie die Einrichtung offiziell heißt, ist eine neue Art von Jugendgefängnis. Untergebracht ist es in einem Fachwerkbau, der noch vor wenigen Jahren arg heruntergekommen war. Heute ist die Sanierung in vollem Gange. Und die meisten Arbeiten erledigen die jungen Gefangenen selbst. In einem großen Raum im ersten Stock bleibt Alex stehen.

    "Das hier soll noch eine WG werden, nächstes Jahr soll sie fertig sein - hoffen wir es, dass es klappt - das ganze Gebälk, wo Sie hier sehen, ist 400 Jahre alt, wir haben es ein bisschen restauriert, das heißt, stabiler gemacht, die die es nötig hatten, weil wir es eben vom Denkmalschutz ja auch gar nicht ausbauen durften. Okay, gehen wir weiter."

    Seit 2003 existiert das Seehaus, zurzeit leben zehn Häftlinge hier. Es gibt keine Gefängnismauern und keine Gitter vor den Fenstern. Trotzdem ist bislang noch nie jemand ausgebrochen. Die zehn jungen Männer zwischen 14 und 20 wissen, dass sie hier die einmalige Chance bekommen, wieder in die Gesellschaft zurückzufinden. Bislang haben sechs Jugendliche ihre Haftzeit im Seehaus beendet. Alle bekamen hinterher Ausbildungsplätze, bisher wurde niemand rückfällig. Der Sozialpädagoge Tobias Merckle hat das Konzept entwickelt.

    "Wenn man es mal genau nimmt, ist das Maß an Freiheitsentzug hier viel größer als in der Justizvollzugsanstalt, wir haben einen Tagesablauf von viertel vor sechs morgens bis abends zehn, da ist volles Programm, da gibt es kein Wenn und Aber, da müssen alle mitmachen, und das ist Stress pur für die Jugendlichen, das müssen sie sich sehr genau überlegen, ob sie das wirklich wollen."

    Dafür können die Häftlinge Schulabschlüsse nachholen und handwerkliche Ausbildungen absolvieren. Sie werden auch gezielt auf ihre kommende Entlassung vorbereitet, damit sie nach der Haft nicht ins alte kriminelle Milieu zurückrutschen. So können sie schon aus dem Gefängnis heraus neue Kontakte nach draußen knüpfen - zu Gleichaltrigen in Sportvereinen oder Jugendclubs. Im Seehaus selbst leben sie in kleinen Wohngemeinschaften, denen jeweils ein Hauselternpaar vorsteht. Viele Häftlinge finden hier zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie ein geordnetes Familienleben vor. Tobias Merckle:

    "Viele Jugendliche kennen keinen geregelten Tagesablauf, viele waren nicht regelmäßig in der Schule, sind nur mit ihren Freunden rumgehangen, und viele hatten auch in der Familie keinen festen Halt. Von dem her ist es unheimlich wichtig, einerseits klare Strukturen zu geben, ganz klare Regeln, ganz klare Normen, andererseits aber auch, die familiäre Nähe zu vermitteln, Liebe, Angenommensein, Geborgenheit – und diese beiden Sachen zusammenzubringen, das ist der entscheidende Punkt!"

    Der Jugendhof Seehaus gehört zu einer bundesweit einmaligen Initiative, dem "Projekt Chance". Zwei Häuser gibt es in Baden-Württemberg; das andere liegt in Creglingen nahe Rothenburg ob der Tauber. Die Idee zum Projekt Chance kam vom liberalen Landesjustizminister Ulrich Goll;

    "Die Formel, oder die Linie, nach der wir vorgehen, die hat zwei Elemente. Auf der einen Seite muss man Jugendlichen Brücken bauen, solange es geht, weil sie meist noch viel länger formbar sind, als man meint, da lohnt sich jede Anstrengung, sie in die Gesellschaft zurückzuholen, das ist die eine Seite. Die andere Seite ist allerdings die, dass wir dafür sind, deutliche Signale zu setzen: Wenn einer die Spielregeln verletzt, muss eine Antwort kommen, da hat es auch keinen Sinn, lange zu sagen: Das verwächst sich noch. Sondern da muss reagiert werden, da müssen die Signale auch deutlich sein."

    Und diese Signale bleiben in der Praxis noch vielfach aus. Viele Jugendliche kommen ohne Strafe davon, weil ihr Verfahren schlicht eingestellt wird. Oder sie gehen mit einer Bewährungsstrafe nach Hause, aus der sie auch nichts lernen. Doch wenn sie andererseits nach jedem Delikt ins Gefängnis kämen, dann ginge das Problem erst richtig los. Denn laut Tobias Merckle hat die Jugendstrafe in ihrer hergebrachten Form versagt. Die meisten Anstalten sind heute überbelegt, und die Gefangenen selbst sind dort einer finsteren Subkultur ausgeliefert, die geprägt ist von Drogenmissbrauch, Langeweile und Gewalt unter Häftlingen. Nach einer Untersuchung von 1996 findet nur jeder achte von ihnen noch einmal aus dem Teufelskreis der Kriminalität heraus. Die anderen werden nach der Entlassung rückfällig, begehen weitere Straftaten. Beim Umgang mit jungen Kriminellen sind also neue Ideen gefragt - im Gefängnis ebenso wie außerhalb. Der Kriminologe Professor Michael Walter von der Universität Köln befasst sich mit diesem Thema - er denkt zunächst an die Jugendlichen, die zum ersten Mal Straftaten begehen.

    "Hier müssen wir dazu kommen, dass gegenüber Straffälligen wirkliche Alternativen zu Strafen angeboten werden und dann auch genutzt werden können, dazu zähle ich vor allen Dingen alles, was mit Wiedergutmachung und Schadensausgleich zu tun hat, vor allen Dingen natürlich Angebote zu einem Täter-Opfer-Ausgleich, zu einer Mediation, aber natürlich auch in geeigneten Fällen Angebote, die zu einer Verbesserung der Handlungskompetenzen junger Menschen führen."

    Die Praktiker sprechen von "Diversion". Mit diesem Begriff ist zwar keiner so recht glücklich, das Verfahren selbst aber hat sich bewährt: Es ist schnell und effektiv. Im Mittelpunkt steht ein Gespräch. Der Staatsanwalt führt dem Täter vor Augen, was dieser dem Opfer angetan hat. Dann bespricht er mit ihm, wie die Wiedergutmachung aussehen könnte. Jürgen Kapischke, Leitender Oberstaatsanwalt in Köln.

    "Beispielsweise wenn ich eine ältere Frau verletzt habe, entschuldige ich mich bei ihr, arbeite in einem Krankenhaus, das ist etwas, dass man sagt: Keine formelle Strafe! Das kommt in kein Führungszeugnis, das irgendein Arbeitgeber sieht. Der Unterschied zu sonst: Sonst kriege ich ein Blatt Papier, da steht drauf, du hast es nicht so richtig gemacht, dafür gibt es 20 Arbeitsstunden, eine ganz andere Reaktion ist das, wenn man da sitzt in einem Gespräch, ich habe selbst an manchen Gesprächen teilgenommen, habe mir das angehört, das erschien mir außerordentlich eindrucksvoll."

    Noch einen Schritt weiter gegangen ist eine Initiative im bayerischen Aschaffenburg. Hier reden nämlich nicht Staatsanwälte mit den Kriminellen, sondern Jugendliche. Wenn ein 16-Jähriger beim Ladendiebstahl erwischt wurde, dann sitzt er hier drei Leuten in seinem Alter gegenüber, die ihn auf sein Fehlverhalten ansprechen. Die 17-jährige Nadine gehört zu solch einem Schülergremium.

    "Ja also, es gibt zunächst ein Vorgespräch, da wird erst mal der Jugendliche darüber aufgeklärt, wie es abläuft, dass wir zu dritt sind, dass er halt offen und ehrlich sein muss, dann eine Viertelstunde später kommt er dann zu uns rein, dann bekommt er von uns Fragen gestellt, dann wird er rausgeschickt, und wir finden halt eine Sanktion, die auf ihn passt."

    Die Idee zum Aschaffenburger Projekt stammt aus den USA. Als "Teen Court" (Jugendgericht) wird dieses Modell dort bezeichnet. Doch die deutsche Variante enthält wesentliche Verbesserungen. Die Sozialpädagogin Birgit Naumann leitet das Pilotprojekt:
    "Übernommen haben wir nur die Idee: Gleichaltrige urteilen über Gleichaltrige. Ansonsten arbeiten wir anders, wir sitzen nicht wie in Amerika in einem richtigen Gerichtssaal, sondern um einen runden Tisch, wir sind alle in einer Ebene und wollen versuchen, zusammen eine Lösung zu finden, statt von oben herab die Täter zu sanktionieren, wir nennen uns auch nicht 'Teen Courts', sondern Schülergremium, wir sind keine Gerichte, und wir geben keine Strafen, und wir sind keine Richter."

    Sondern das Gremium und der Täter legen gemeinsam eine Sanktion fest. Dieses System hat sich in Aschaffenburg bewährt, mittlerweile ist es allein in Bayern in drei Städten übernommen worden. Und auch im nordrhein-westfälischen Siegen gibt es ein Projekt dieser Art seit dem vergangenen Herbst. Die Zwölftklässlerin Mareike erklärt, was den Täter erwartet.

    "Also außer den Sozialstunden, die dann eben in verschiedenen Einrichtungen stattfinden, gibt es auch einen Täter-Opfer-Ausgleich, und in den letzten Fällen haben wir teilweise auch außer den Sozialstunden Entschuldigungen vornehmen lassen, dass wir zum Beispiel mit dem Täter, der Täterin in ein Kaufhaus gegangen sind. Und dann musste sie oder er sich bei der Geschäftsleitung entschuldigen."

    "Und wir haben da eine zuerst sehr verwunderte, aber dann doch sehr positive Reaktion feststellen können, dass es zu dieser Entschuldigung gekommen ist, weil das bisher noch nie der Fall war","

    so die Erfahrung des Siegener Jugendstaatsanwalts Christian Kuhli.

    ""Das ist auch einer der Ansätze, dass wir der Meinung sind, dass die Jugendlichen sehr kreativ sind, was die Sanktionsmöglichkeiten angeht, weil sie oftmals auch viel besser wissen, was tut - in Anführungsstrichen - dem Jugendlichen weh, ohne dann direkt zu einer übermäßigen Bestrafung zu gelangen."

    Kritiker allerdings wenden ein, dass die Schülergremien Gleichaltrige mitunter auch härter anfassen als ein Staatsanwalt oder Richter. Die Sozialpädagogin Nicole Siegmund-Quast, die das Projekt betreut, zeigt sich dennoch beeindruckt.

    "Die Art und Weise, wie die Jugendlichen mit den Jugendlichen sprechen, ist einzigartig. Das könnten wir als Erwachsene nicht erreichen, glaube ich."

    "Ist ja auch in gewisser Weise so wie ein Rat von einem guten Freund, wenn ich jetzt mit einem Freund über irgendeine Sache rede, dann nimmt man ja seinen Rat ernster als den zum Beispiel von den Eltern."

    Diese Erfahrung hat der Oberstufenschüler Kai gemacht; auch er sitzt im Schülergremium. Der Initiator des Siegener Projektes, der Bewährungshelfer Manfred Berlin, ist heute sehr zufrieden:

    "Im Vordergrund steht die Bewertung durch Gleichaltrige, die Missachtung durch die Umgebung. Und dann kann jemand aktiv sagen: Gut, das hab ich jetzt verstanden, dass das ein falsches Verhalten ist, und das wird dann korrigiert. Und so verändert man nach meiner Meinung Lebensläufe. Also ich halte es einfach für wichtig, dass die Straftaten, die am Anfang einer Karriere stehen, ernsthaft bearbeitet werden. Das erspart uns manche dicke Akte drei oder vier oder fünf Jahre später."

    "Es ist auch eine wirtschaftliche Frage."

    Willi Kroh, stellvertretender Leiter einer Jugendhaftanstalt:

    "Wenn Sie einen jungen Menschen nicht in die Gesellschaft zurückführen, der bleibt, sag ich mal, in einer kriminellen Subkultur hängen und im regelmäßigen Wechsel Rein-Raus im Strafvollzug. Was das kostet! Und deswegen ist es billiger, vorher zu investieren, als nachher zu reparieren."

    Für die Strategie des "Wehret den Anfängen" sind Diversion und die deutsche Variante der "Teen Courts" besonders geeignet, gerade bei Ersttätern und Kleinkriminellen, die den größten Teil der straffällig gewordenen Jugendlichen ausmachen. Die nordrhein-westfälische Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU):

    "Wir haben es bei 90 Prozent der jugendlichen Straftäter mit episodenhaften Straftaten zu tun, in diesen Fällen muss den Jugendlichen nur deutlich gemacht werden, dass kriminelles Verhalten nicht toleriert wird. Wir haben die andere Seite – das sind die, die wir hier in Nordrhein-Westfalen als jugendliche Intensivtäter bezeichnen - das sind Täter, die innerhalb eines Jahres mit mehr als fünf Straftaten auffällig werden. Bei diesen Tätern sind sorgfältige, aber altersangemessene Reaktionen angezeigt."

    Eine "Kultur des Hinschauens" nennt es Müller-Piepenkötters Ministerkollege Ulrich Goll aus Baden-Württemberg. In Städten wie Stuttgart, Köln oder Berlin weht nun teilweise ein anderer Wind als zuvor. Kripo, Justiz und Jugendamt nehmen Mehrfachkriminelle gezielt ins Visier. Sie sprechen sie an, sie demonstrieren Präsenz, sie nehmen Kontakt mit Schulen und Arbeitgebern auf. Sie werfen sogar Blicke ins Privatleben der Täter. Das Ziel ist, Auswege aus der Kriminalität zu finden. Der Kölner Oberstaatsanwalt Jürgen Kapischke.
    "So hat man etwa gesehen, dass eine Person aus diesem Kreis sich in Kreisen des Fußballs aufhielt, die wir nicht für übermäßig sinnvoll hielten, und man ihm die Chance gegeben - ein hervorragend begabter Fußballer offenbar - , in einem großen Verein - ich sag jetzt keinen Namen - zu trainieren, das hat sich auch auf seine persönliche Entwicklung ganz hervorragend ausgewirkt. Die Aussichten, dass solche Menschen - gegebenenfalls auch nach Haftverbüßung - auf den rechten Weg zurückfinden, sind doch relativ groß, man kann keinen bestimmten Prozentsatz sagen, aber schon sehr erfreulich. Wir hoffen, es bleibt so."

    In Nordrhein-Westfalen, wo ein Viertel aller bundesweit Inhaftierten untergebracht ist, entstand bereits 1978 eine wegweisende Anstalt für den Jugendstrafvollzug - und zwar in Heinsberg, zwischen Mönchengladbach und Aachen. Der stellvertretende Leiter Willi Kroh führt durch die Anlage:

    "Ja, hier sind die sechs Hafthäuser, eine ganz ungewöhnliche Bauweise hier - diese Bauweise, dass die sechs Hafthäuser so anderthalbgeschossig, ringförmig um ein Schulzentrum herum gebaut wurden, das ist eine sehr weitläufige Bebauung, die dann auch nicht so sehr das Gefühl von Enge vermittelt, wenn die Jugendlichen jetzt nachmittags so draußen im Freien sind, dann hat man schon ein bisschen das Gefühl, man ist nicht so eingesperrt. Und dahinter liegen die Grünanlagen und der Sportplatz, und dann kommt erst die Außenmauer."

    Im Gefängnishof selbst stehen ein paar Tischtennisplatten - umgeben von weitläufigen, kurzgeschnittenen Rasenflächen. Es ist ein sonniger Nachmittag, und zwei Dutzend Häftlinge verbringen ihre Freistunde im Hof. Unter ihnen ein blonder 19-Jähriger mit Spitznamen Aladin.

    "Ich sage mal so, jedes Haus ist wie eine Wohngruppe hier. Wenn die Inhaftierten alle abgestimmt haben, wir möchten gerne für unsere Wohngruppe das und das, dann geht einer zum Beamten, oder alle Mann sagen das, und so können sich die Leute dann zusammensetzen und dann Sachen organisieren."

    Die Eigeninitiative der Gefangenen wird in Heinsberg gefördert. Denn in jungen Häftlingen steckt einiges - man muss ihnen nur Gelegenheit geben, es zu beweisen. Willi Kroh denkt dabei besonders an die Insassen zwischen 14 und 18.

    ""Wir haben eine spezielle Wohngruppe eingerichtet für minderjährige Straftäter. Diese Wohngruppe zeichnet sich durch einen ganz durchstrukturierten Tagesablauf aus, genau definierte Aufgaben und Pflichten für jeden einzelnen, individuelle Pflichten, Gemeinschaftsaufgaben, es gibt feste Zeiten für die Erledigung der Hausaufgaben, es gibt feste Zeiten für Gruppengespräche, Freizeitveranstaltungen, Sport und Kreativgruppen sind Pflicht, die Teilnahme wird also nicht ins Ermessen gestellt."

    Denn die Erfahrung hat gezeigt, mit dem sprichwörtlichen Tütenkleben kommt man nicht weit. Der ausgefeilte Tagesplan hingegen soll den Jugendlichen helfen, ihr Leben selbst in den Griff zu bekommen. Regelverstöße werden bestraft, Wohlverhalten wird belohnt: gute Arbeitsleistungen ebenso wie die sauber geputzte Zelle. Die vier Häftlinge, die an diesem Nachmittag um den Tisch in der großen, hellen Wohnküche sitzen, wissen es zu schätzen. Unter ihnen sind Tarik und Dennis, beide 17 Jahre alt.

    "Das ist ein Punktesystem, man soll für diese Punkte keine Gewalt, keine Beleidigung, nicht prügeln und so."

    "Man kann auf der Arbeit 40 Punkte erreichen maximal, und hier 40 Punkte. Ab 33 Punkten ist man Stufe 2, ab da darf man dann seine Privatklamotten haben, fernsehen, ab Stufe 2 darf man auch einmal in der Woche Aufschluss machen, von viertel vor sieben bis meistens viertel vor neun, neun ist dann die Türe offen, da kann man Kicker spielen, in der Küche kochen gehen und so. Bei der Stufe 3 ist das dann so, da hat man zwei-, dreimal die Woche Aufschluss, darf dann noch so zusätzliche Sachen haben, ich sage mal, Rasierer, CDs und so, das muss man sich halt erarbeiten."

    Auch das herkömmliche Jugendgefängnis kann also in vielen Punkten verbessert werden. Höchstwahrscheinlich liegt in solchen Reformen die große Chance des Jugendstrafvollzuges. Anstöße geben könnte der Gesetzgeber selbst. Dabei bleibt abzuwarten, welche Folgen die geplante aber umstrittene Verlagerung der Zuständigkeit für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder haben wird. Experten jedenfalls rufen schon seit 30 Jahren nach einem bundeseinheitlichen Jugendstrafvollzugsgesetz, nach einem Gesetz, das neue Standards verbindlich festlegen könnte: etwa das Wohngruppensystem, die adäquate psychologische Betreuung, Leistungsanreize für die Häftlinge und vieles mehr. Das Gegenteil, die traditionelle Philosophie der Abschreckung durch Gefängnis, hat jedenfalls versagt, sagt der stellvertretende Leiter der Jugendstrafvollzugsanstalt in Heinsberg, Willi Kroh.

    "Jetzt stell ich mir mal so einen Jugendlichen vor, 17 Jahre, kein Schulabschluss, keine sozialen Verhaltensmuster gelernt, also beruflich und sozial vollkommen inkompetent. So, und jetzt sperre ich den mal, ich sag mal zwei Jahre in eine Zelle ein. Unter harten Bedingungen. Nach zwei Jahren entlasse ich den, dann ist der doch nicht lebensfähiger geworden."

    Eine Reform der Jugendhaft bliebe freilich nur ein Element unter vielen. Staatsanwalt Christian Kuhli:

    "Jugendkriminalität ist zum Teil, oder sogar überwiegend, entwicklungstypisch, und alle an der Entwicklung von Jugendlichen Beteiligten müssen da, denke ich, auch einen großen Anteil leisten, dass wir zu einer Verminderung der Jugendkriminalität kommen; dazu gehört das Elternhaus, dazu gehört die Schule, dazu gehören Vereine, Verbände, soziale Träger, letztendlich alle, jeder hat da einen Baustein und muss seiner Verantwortung gerecht werden."

    Das bedeutet Kleinarbeit, und es verursacht überdies Kosten. Doch das Geld wäre gut angelegt. Diversion, Intensivtäterbetreuung oder die deutsche Variante der Teen Courts sind bislang nur vereinzelte Projekte; doch sie können neue Wege bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität eröffnen. Und das können auch reformierte Haftanstalten tun, sofern die Gefangenen dann ihre Chancen wahrnehmen. Aladin und Dennis aus dem Jugendgefängnis in Heinsberg jedenfalls haben sich vorgenommen, noch einmal neu anzufangen.

    "Ich bin jetzt knapp 18 Monate an einem Stück drin. Ich bin jetzt auch vor kurzem erst auf die Therapieseite gekommen, hab jetzt gerade die Therapie begonnen - ein Jahr, und ich denk mal, dass ich das schaffe."
    "Ich will auf jeden Fall erst mal meinen Hauptschulabschluss nachholen, ich wollte das eigentlich hier schon machen, weil, wenn man rauskommt, kann man dann sagen, man hat die Zeit nicht ganz verschenkt, man hat schon was erreicht. Ich denke, ein Abschluss muss schon sein. Damit man was auf die Beine gestellt kriegt."