Samstag, 18. Mai 2024

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Zwischen Euphorie und Panik

Wer derzeit in Leipzig Malerei studiert, steht unter besonderer Beobachtung der Kunstwelt. Auf dem jährlichen Rundgang an der Hochschule für Grafik und Buchkunst tummeln sich interessierte Galeristen und Sammler auf Talentsuche. Besonders die Schüler von Professor Arno Rink sind schon gut im Geschäft, der Glanz des Starmalers Neo Rauch, ebenfalls ein Rink-Zögling, strahlt auf die Klasse herab. Viele von Rinks Schülern schwanken derzeit zwischen Euphorie und Panik - der Euphorie über die ersten Verkäufe, die ein Leben als Künstler plötzlich greifbar machen, und der Panik, dass ihr Talent langfristig doch nicht ausreicht.

Von Tina Hüttl | 04.01.2005
    Von ihrem Atelier aus blickt die Kunststudentin Franziska Holstein über die glitzernden Dächer Leipzigs. Und auf die inzwischen kahl gewordenen Baumwipfel des Clara-Zetkin Parks, der direkt an die Hochschule für Grafik und Buchkunst angrenzt.

    Clara Park – so nannte auch die bekannte New Yorker Galerie Marianne Boesky eine Ausstellung von Franziska Holstein und anderen jungen Malern aus Leipzig. Denn die sind derzeit international angesagt. Und besonders, wenn sie wie Franziska Holstein, bei Professor Arno Rink studieren.

    Franziska ist im neunten Semester, früher hat sie sich Sorgen um ihre Zukunft gemacht. Malerin - das sei ja ein brotloser Beruf, haben immer alle gesagt.

    Ich hatte immer das Gefühl, dass ich das machen muss, ich kann nicht sagen, wann das angefangen hat. Am Anfang sucht man sich oft Sachen, die ein bisschen was damit zu tun haben, zum Beispiel Kunstlehrer. Also das muss man sich auch irgendwie trauen. Ich habe die letzten drei Jahre einen Nebenjob gehabt, von dem ich irgendwie leben könnte und das war so mein Plan.
    In der Küche einer Leipziger Kneipe jobbt sie nicht mehr. Vor kurzem hat die Sächsische Landesbank 96 ihrer Arbeiten gekauft – und in der Chefetage aufgehängt.

    Franziska ist nicht die Einzige von Rinks Schülern, die Erfolg hat: Seit Neo Rauch, der in den 80er Jahren bei Rink studierte, zum internationalen Shootingstar der Kunstszene wurde, halten Galeristen und Sammler in der Klasse beständig Ausschau. Und Arno Rink hat viele Bewerber, die zu ihm wollen.

    Ja man muss sagen, dass natürlich mit dieser Berühmtheit, die hier eingezogen ist, natürlich auch der Glanz weit in die Klassen fällt. Das ist jetzt auch eine Begründung mit dafür, dass es Leute gibt, die bis hierhinein Interesse zeigen, weil sie natürlich auch merken, dass die Arbeiten zwar anders sind, aber dass es so was wie eine Haltung in dieser Klasse gibt. Ich will jetzt nicht sagen Philosophie - oder anders gesagt: Ein dummer Maler ist ein Widerspruch in sich. Dass Malerei auch durchaus was mit dem Kopf zu tun hat, der Kopf gehört mit dazu. Stimmt's?

    Rink sitzt mitten im Chaos des Ateliers, das Franziska Holstein mit Katrin Heichel teilt. Einmal die Woche berät der Meister seine Schülerinnen, sie plaudern locker, der Umgangston ist sehr vertraut. Katrin erzählt:

    Es wird immer dann interessant, wenn man bei einem Bild rein kompositorisch den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Und da ist es immer hilfreich, dass er dann mit einem zusammen das herausarbeitet. Also er kommt nicht rein und sagt: Die Stelle ist scheiße. Es geht immer mit einem Frage-Antwort-Spiel los, man kommt schließlich immer an den Punkt, wo man selber merkt, ah jetzt!

    Seit 1972 lehrt Arno Rink an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Rink ist selbst ein gefragter Maler. Wer zu ihm geht, steht auf handwerkliche Perfektion und figürliche Darstellung. Nach jahrelangem Hype um Videokunst und Installation ist genau das wieder gefragt: Die Kunstwelt feiert die Rückkehr der gegenständlichen Malerei und hat auch schon einen Begriff dafür gefunden: "Neue Leipziger Schule"

    Bisher waren von seinen Abgängern hauptsächlich die Männer erfolgreich, doch Rink glaubt fest an die Frauen:

    Es sind ja eigentlich mehr Frauen als Männer in der Klasse, ich finde es immer saublöd, wenn man sagt Männerkunst, Frauenkunst . Ich habe aber eins festgestellt anhand meiner Realitätserfahrung, dass es eben Männer zustande bringen miteinander, obwohl sie sich genau nicht mehr ausstehen können wie sieben Frauen. So funktioniert es natürlich. Die Männer sind im Rennen und dann wird eben nachgefragt: wieder nach den Männern und wieder nach den Männern und so potenziert sich das. Es wäre falsch zu sagen, es gäbe keine Frauen gleicher Qualität.

    Seiner Meinung sind sie aber zu oft abgelenkt:

    Ich telefoniere ja auch viel. Da ist es eben oft die ersten 20 Minuten so, wie die Liebe ist, wie der Freund ist, ob er hinterhältig ist, ob es nun zu Ende ist. Bis man dann sagt: Können wir jetzt mal über Bilder reden?

    Jetzt muss ich protestieren! Er ist immer derjenige, der zuerst fragt, was die Liebe macht.

    Katrin Heichel und Franziska Holstein verbringen täglich zwischen sechs und acht Stunden in ihrem Atelier. Franziska malt Familienbilder und Interieurs, die in der makellosen Werbewelt zu Hause sind. Die Gesichter sind realistisch, der Hintergrund wie weggedrückt. Auf ihren Bildern sieht alles nach Erinnerung aus.

    Ab Januar stellt sie in der Berliner Galerie Echolot aus - zwei Jahre lang läuft der Vertrag. Nur manchmal hat sie Zweifel, ob das Angebot nicht etwas zu früh kommt:

    Andererseits kriege ich das jetzt zum Beispiel bei der Katrin mit. Mir wird das alles abgenommen, irgendwas zu organisieren, ich hab meinen Ausstellungsplatz und Katrin wurstelt selber rum und muss sich selbst managen.

    Naja, es ist mal zwischendurch etwas anstrengend...

    ...aber beschweren wollen sich beide nicht. Doch sie wissen: der Rauch-Bonus ist schnell aufgebraucht, was zählt ist: eine stabile Haltung zu sich und viel Übung – so jedenfalls sagt das Arno Rink.