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Zwischen Existenzdruck und Gelassenheit

Unzählige Hühner, Milchkühe, Pferde, ein Obstladen, 90 Hektar zu bewirtschaftende Fläche – und dazu noch die Büroarbeit: Ohne Managerqualitäten könnte Landwirt Martin Schnerring seinen Alltag wohl nur schwierig meistern. Die Landwirtschaft sei heut überbürokratisiert, sagt der 52-Jährige.

Von Uschi Götz |
    Ein Förderband zieht Ei um Ei in eine Sortiermaschine. Helga Schnerring steht daneben und passt auf, dass kein zerbrochenes Ei in der Maschine landet.

    "Die Eier fallen im Nest so schräg herunter, dann kommen die an dem Band vor und dann laufen sie da auf diese Sortiermaschine."

    Hühner, 40 Milchkühe und vier Pferde für Kutschfahrten gehören zum Haldenhof.

    Landwirt Martin Schnerring führt über sein Anwesen, das er vor 20 Jahren von den Eltern übernahm. Der Hof liegt – umgeben von Streuobstwiesen - am Fuße der Burgruine Hohen Neuffen; in einem kleinen Dorf 40 Kilometer südlich von Stuttgart.

    Auf dem Weg vom Kuhstall ins Büro zeigt Martin Schnerring auf ein Scheunendach, das am Wochenende ein Hagelsturm verwüstet hat. Die Versicherung wird wohl nur einen Teil des Schadens bezahlen. Der dreifache Vater nimmt es gelassen - wie viele Dinge:

    "Unser Betrieb ist so vielseitig mit den Hühnern, mit den Kühen, mit dem Ackerbau, mit diesem und jenem, es gibt ein Auf und ein Ab."

    Das Büro gleicht einer Schaltzentrale: Mehrere Computer stehen auf Schreibtischen verteilt im Raum. Ein Landwirt muss heutzutage Manager-Qualitäten haben. Gemeinsam mit einem Kollegen hat er ein Getreidesilo gebaut und jüngst eine Futter-, Mahl- und Mischanlage angeschafft. Beide Bauernhöfe sind dadurch unabhängiger von den Getreidepreisen geworden. Viele Dinge lassen sich vom Schreibtisch aus lösen:

    "Ich selber bin im Schnitt mindestens zwischen drei und vier Stunden täglich im Büro."

    90 Hektar müssen bewirtschaftet werden - 50 Hektar davon sind Grünland, der Rest Ackerfläche. Ein Mitarbeiter ist auf dem Haldenhof fest angestellt, je nach Arbeit werden weitere Helfer beschäftigt. Viele Jahre lang lieferte er Vorzugsmilch, also naturbelassene Milch, an 500 Kunden.

    "In dieser Zeit war fast kein Urlaub drin. War Premiumprodukt, diese Vorzugsmilch, es war vom Weiterkommen, von der ganzen Sache war es richtig gut. Ist dann aber politisch nicht mehr unbedingt gewollt worden. Und es wurde immer schwieriger, die Vorschriften sind verschärft worden und dann haben wir 2010 die Vorzugsmilch eingestellt."

    Nachdem die Politik das Lebensmittelrecht ständig verschärfte. Jetzt handelt er mit Eiern unter anderem, und die Familie kann jedes Jahr ein paar Tage Urlaub machen. Im Hofladen gibt es selbstgemachte Nudeln, Kartoffeln und auch ein Milchautomat steht bereit. Der Laden hat rund um die Uhr, an sieben Tagen in der Woche geöffnet. Wer hier einkauft, bedient sich selbst und legt das Geld einfach in eine Kasse. Schnerring vertraut auf die Ehrlichkeit seiner Kunden: Tradition trifft Fortschritt, nur einen Drive-in Schalter wird es auch künftig nicht auf dem Hof geben.

    "Die Landwirtschaft ist heutzutage überbürokratisiert", sagt der 52-Jährige - ohne eine Miene zu verziehen. In seiner Freizeit spielt er Theater, vielleicht fallen aus diesem Grund die Klagen über EU-Subventionen und -kontrollen – die auch von der deutschen Regierung mitgetragen werden - fast lustig aus:

    "Das können Sie ungefähr vergleichen, wie wenn Sie ins Radar reinfahren und ihnen wird das Kindergeld gestrichen. Weil wenn da ein Luftbild angeschaut wird, dann heißt es: vor zwei Jahren war es hier grün oder da ein Baum, jetzt ist keiner mehr. Egal was, es kann auch rückwirkend geahndet werden."

    Martin Schnerring denkt über die Frage nach, welchen Einfluss Politik auf sein Leben, seine Arbeit hat. Es ist nur das Zwitschern der Vögel zu hören. "Alles hat zwei Seiten", sagt der Landwirt im edlen, gestreiften T-Shirt zur passenden Hose und schaut konzentriert durch seine dezent modische Brille.

    "Wenn man jetzt einmal die EU-Politik anschaut und dann die Umsetzung in Deutschland und dann die Umsetzung in Baden-Württemberg. Dann muss ich klar sagen, es gibt wahrscheinlich keine Region, die so zersiedelt ist wie wir. Also ist es doch ganz klar, dass bei uns Zündstoff da ist. Von dem her gesehen: Wie soll eine Politik Regeln erlassen, die für alle Gegenden gelten?"

    Mittlerweile ist auch seine Frau aus dem Hühnerstall ins Büro gekommen. Von der EU- geht es direkt zur Bundespolitik über. Wie es ihnen die letzten vier Jahre unter Schwarz-Gelb ergangenen ist? Nun wird es lebendig unterm Stalldach:

    "Am liebsten würde ich gar nicht wählen. Bloß ist es ja so, wenn ich gar nicht wähle, dann ändert sich ja auch nichts. Und dann muss ich eben das kleinste Übel suchen."

    Frau Schnerring lacht, während ihr Mann nach dem – sprichwörtlich - kleinsten Übel sucht. Der Landwirt erklärt, was ihn stört: Es sind Personen, nämlich die Personen, die als Minister das Sagen haben -egal, ob in Berlin oder in Stuttgart.

    "Wieso werden solche Posten besetzt von Leuten, wo von der Sache überhaupt kein Bezug haben. Und da sehe ich unser Hauptproblem."

    Denn weder Ilse Aigner in Berlin noch Alexander Bonde in Stuttgart sind vom Fach. Der Landwirt würde sich von der künftigen Bundesregierung also einen Bauern als Minister wünschen. Deshalb wird er am 22. September wählen, weil sich ja etwas ändern soll. Wen er wählt, verrät er nicht:

    "Ein Stückweit bin ich festgelegt, obwohl ich mit der Partei nicht unbedingt einig bin. Aber das Problem ist: Bei den anderen Parteien hat es zum Teil sehr gute Leute, aber ich kann die Gesamtheit der Partei nicht verantworten für mich selber."

    Martin Schnerring steht auf, das Tagesgeschäft wartet. "Ich blicke gelassen in die Zukunft" sagt er: Politik hin oder her – der Landwirt ist mit seinem Leben zufrieden.