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Zwischen Faszination und Kopfzerbrechen

Die Uefa wird in der kommenden Saison einen neuen Wettbewerb einführen. Ab dem Spätsommer werden jeweils am Tag vor den Champions League-Spielen der großen Teams aus Mailand, London, München oder Madrid die dazugehörigen U19-Mannschaften aufeinandertreffen, und in einem ähnlichen Modus wie die großen Stars ihren Junioreneuropapokalsieger ermitteln.

Von Daniel Theweleit | 17.02.2013
    Der Kontinentalverband Uefa hofft auf zusätzliche Einnahmen durch Sponsorengelder und TV-Vermarktung während die Klubs ihrem Nachwuchs kostbare Wettkampferfahrungen auf einem Niveau verschaffen, das die nationalen U19-Ligen in Weißrussland, Rumänien, Schottland weit übersteigt. In Deutschland hingegen, wo die Ausbildung jugendlicher Fußballer seit Jahren akribisch perfektioniert wird, hält sich die Begeisterung in Grenzen. Ein weiterer Wettbewerb überlaste die Spieler, heißt es. Und außerdem könnte der Deutsche Fußball-Bund seine prägende Rolle im Ausbildungsprozess einbüßen.

    Champions League. Der wertvollste Europapokal gilt als anspruchsvollster Wettbewerb des Planeten. Und bald soll es wie bei Welt- und Europameisterschaften auch einen Ableger für Jugendteams geben. Nachdem die von einem Privatunternehmen organisierte NextGen-Series für europäische A-Jugend-Mannschaften sportlich und finanziell erfolgreich war, hat sich die Uefa der Sache angenommen. Ab der kommenden Saison müssen die an der Champions League teilnehmenden Klubs ihre U19-Teams in die so genannte Youth League schicken. Die Gruppen sind identisch mit der Königsklasse, die Partien finden jeweils am Abend vor den Begegnungen der ersten Mannschaften statt. Ein toller zusätzlicher Wettbewerb, könnte man meinen. Zuschauer haben die Möglichkeit die Messis und Götzes der Zukunft beobachten. Selbstverständlich überträgt das Fernsehen. Sponsoren lassen siebenstellige Summen springen, und die Talente dürfen schon als Teenager gegen die namhaftesten Klubs des Kontinents antreten. Die Spieler freut das, hat Lars Ricken, der Nachwuchskoordinator von Borussia Dortmund festgestellt.

    "Die Jungs haben da natürlich richtig Bock drauf. Das sieht man auch wenn man neue Spieler anspricht, und sie versucht für Borussia Dortmund zu begeistern, wenn man dann sagt, Du wir haben da noch diesen internationalen Wettbewerb, wo Du gegen Inter Mailand, Liverpool, gegen Real Madrid oder Manchester spielen kann, da leuchten da natürlich die Augen."

    Reisen in die bedeutenden Städte Europas, Flutlichtspiele und vergleichsweise große Kulissen. Ein wenig dürfen die Spieler sich fühlen wie die großen Stars. Ihre Vorbilder. Dass in Deutschland viele der Nachwuchsfußballer mit Schule, Training, U19-Bundesliga und Länderspielen auch ohne internationalen Klubwettbewerb stärker belastet sind, als viele Profis, wird im Angesicht des Champions League Zaubers schnell vergessen.

    Dabei kann eine Verletzung in diesem Alter schnell dazu führen, dass der Traum von der Profikarriere platzt. Und die Youth League erhöht diese Gefahr deutlich, glaubt Robin Dutt, der Sportdirektor des DFB.

    "Wir haben jetzt schon in den letzten Jahren eine signifikant steigende Verletzungszahl im Jugendbereich, weil die Belastungsgrenze wir haben das ausgereizt. Wenn der Terminplan dem Körper keine Pause gibt, dann sagt der Körper: Dann nehme ich mir die Pause selber, das ist ganz normal. Und wir sind gerade dabei, auch bei den Nationalmannschaften, wie können wir denn weniger Termine machen bei den Nationalmannschaften, wie können wir den Vereinen mehr Zeit schenken, um den Spielern für die Regeneration Zeit schenken und für die Schule Zeit schenken. Aber diese Zeit können wir ihnen nicht schenken, um sie dann in einer Champions League wieder zu verschwenden."

    Der DFB wird sich nicht wehren können. Die Teilnahme an der Youth League ist verpflichtend. Dutt legt den Klubs daher nahe, die Nationalspieler in diesem Wettbewerb zu schonen. Aber ein anderes Problem ist damit noch nicht gelöst:
    U19-Spieler befinden sich in einem Alter, in dem der ewige Rhythmus der Stars, Wettkampf-Regeneration-Wettkampf mit vielen Reisen und Hotelübernachtungen einer umfassenden Ausbildung im Weg steht, meint Jürgen Gelsdorf, der Leiter des Nachwuchszentrums von Bayer Leverkusen.

    "Gerade im heutigen Fußball, der sehr komplex geworden ist, brauchen die Trainer auch Zeit, um gewisse Dinge zu verändern. Nicht nur mannschaftstaktisches Verhalten, sondern ich sage mal: das Handwerk des Fußballs, das gehört einfach dazu. Wenn ein Spieler ein nicht so gutes Kopfballspiel, Passspiel hat, dann braucht das Zeit, dann muss ich trainieren. Wenn ich im Jahr auf 40, 50 Spiele komme und teilweise noch mehr, dann frage ich mich: Wann sollen die sich noch verbessern. Im Spiel verbesserst Du dich nicht."

    Es ist ein typisch deutsches Problem. In den meisten anderen europäischen Fußballnationen wird weniger Wert auf die außerfußballerische Ausbildung gelegt. Es gibt weniger Lehrgänge der Nationalmannschaften und die nationalen Jugendligen sind oft längst nicht so anspruchsvoll wie die U19-Bundesligen. Die Spieler sind weniger belastet, kein Wunder, dass die Mehrheit der Nationen Youth League begrüßt. Deutschland wird sich den neuen Begebenheiten also anpassen, Lars Ricken hat schon einen Plan.

    "Uns ist eben wichtig, dass wir unseren Kader weit streuen, um insbesondere die Jugendnationalspieler nicht einer unnötigen Belastung auszusetzen, und darauf reagieren wir natürlich insofern, dass wir unseren Kader in der U 19 sehr breit aufstellen. Mit anderen Worten: Wir versuchen das Beste draus zu machen."

    Der Kern des Problems sind die Nationalspieler. Die Besten, die schon jetzt am höchsten belastet sind. Und bei deren Ausbildung der Deutsche Fußball-Bunds eine zentrale Rolle spielt. Mario Götze brachte es in einer U19-Saison auf über 200 Fehlstunden in der Schule, die aufgrund von Terminen mit den DFB anfielen. In der deutschen Konzeption sind es die Jugendnationalmannschaften, in denen der Nachwuchs seine internationalen Erfahrungen sammeln soll. Die Hoheit über diese höchste Stufe der Ausbildung, das Heranführen ans internationale Niveau, könnte durch die Youth League vom Verband an die Klubs gehen. Kein Wunder, dass DFB-Sportdirektor Dutt sich wehrt:

    "Diesen Teil, sich mit den Besten der Besten zu messen, diesen Teil decken eben die Nationalmannschaften ab. Sich mit den Besten im Training zu messen und sich mit den Nationen zu messen, dazu gibt es die Nationalmannschaften. Da ist kein Platz für einen weiteren Baustein. Da leidet die Nationalmannschaft drunter, da leidet der Verein drunter und vor allem leidet das Talent drunter. Eins weiß ich: Wenn wir hinterher eine Studie machen, werden wir eine höhere Verletzungsanzahl haben, da gehen wir dann schon fast über sportliche Leichen, und das sollten wir nicht tun."