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Zwischen Fundamentalismus und Aufklärertum

Als heute vor acht Jahren zwei Flugzeuge in das World Trade Center rasten und dabei über 3000 Menschen umkamen, geriet über die Leitfigur Osama Bin Laden der fundamentalistische Teil der islamischen Welt ins Visier der Westmächte. Doch die Ur-Saat des Terror-, des "Dschihad"-Problems, war da schon längst gesät - über anderthalb Jahrhunderte früher.

Von Marc Thörner | 11.09.2009
    Khost, Ostafghanistan, Mai 1998. Durch die Berge klettert eine Gruppe von Gestalten. Einer der Männer ist Rahimullah Yusufsay, Chefredakteur der pakistanischen Zeitung "The News".

    "Ich gehörte zu einer Gruppe pakistanischer Journalisten, die von einer militanten Partei namens 'Harakat ul-Ansar' eingeladen worden waren. Ihre Anhänger brachten uns nach Afghanistan. Niemand von uns hatte ein Visum. Nachts wurden wir heimlich über die Grenze geschleust. Die pakistanischen Posten durften uns nicht bemerken. Drei Tage lang ließ man uns warten. Schließlich führte man uns in einen abgelegenen Winkel. Dort trafen wir Bin Laden in einem seiner Camps."

    O-Ton Osama Bin Laden: "Die Amerikaner und ihre Verbündeten zu töten, ob Zivilisten oder Soldaten, ist eine Pflicht für jeden Muslim, der es tun kann. In jedem Land, in dem er sich befindet ..."

    ... so die Worte des saudischen Millionärs Bin Laden, als er sich bei jenem geheimen Treffen irgendwo in Afghanistan an die überraschten Journalisten wandte ...

    Es dauerte nicht lange und Bin Ladens spektakulärer Pressekonferenz folgten die Taten: Es kam zu den Anschlägen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania – und schließlich zu denen des 11. September 2001.

    Die Erinnerung an die Bilder vom zerstörten und brennenden "World Trade Center" lebt bis heute fort. Und auch die Welt veränderte sich nach jenem 11. September 2001. Die NATO erklärte den Bündnisfall - und sie erklärte den sogenannten "Krieg gegen den Terror", einen Krieg, der bis heute andauert.

    Bei aller Einzigartigkeit der Anschläge auf das "World Trade Center" ist eines in den Hintergrund getreten: Der symbolträchtige Angriff Bin Ladens – sein Angriff auf vermeintlich westliche Werte – ist Ausdruck eines Konfliktes, der bereits in der Vergangenheit andere Formen und andere Spielarten gefunden hat. Und dabei ging es immer um die Wahrnehmung der Europäer und des Westens als "Invasoren", als "Okkupanten" der islamischen Welt.

    Im Frühjahr 1857 erschütterte die "Mutiny" – besser bekannt als "Sepoy-Revolte" – den indischen Subkontinent, der dem britischen Königreich einverleibt war. Am Anfang meuterten einheimische Soldaten der britischen Indien-Armee. Bald folgten in ganz Indien Massaker an britischen Militärs und britischen Zivilisten, Männern, Frauen und Kindern. Aus Sicht der zeitgenössischen europäischen Öffentlichkeit stellte das Geschehene einen Terrorangriff ungeahnter Qualität dar – auch für die Europäer damals war also die "Mutiny" "einzigartig", war so etwas wie der "11. September" des 19. Jahrhunderts.

    Doch wie war es zu dieser Eskalation gekommen?

    Um die Wende des 17. zum 18. Jahrhundert hatte sich die Seefahrernation Großbritannien das Machtvakuum im indischen Mogulreich zunutze gemacht und durch Bündnisse mit einheimischen Provinzherrschern den Subkontinent in Folge unterworfen.
    Aus Sicht der muslimischen Mogul-Elite, die Jahrhunderte lang zuvor eine Mehrheit von Hindus beherrscht hatte – war das eine Demütigung ungeheuren Ausmaßes. Muslime und an ihrer Spitze die Mogul-Elite verschafften sich Luft, in eben jenem Aufstand von 1857. Mit auch für sie katastrophalen Folgen:

    Bei der Niederschlagung der "Sepoy-Revolte" durch das Empire starben weitaus mehr Menschen als bei der Revolte selbst. Tausende Muslime wurden hingerichtet, mit Verdächtigen machten die britischen Truppen kurzen Prozess.

    Auf muslimischer Seite führte das zu unterschiedlichen Reaktionen:
    Zum einen bildete sich in der indischen Stadt Deoband eine Madrassa-Bewegung heraus, die den "Dschihad", den heiligen Krieg gegen die Invasoren, zur Pflicht machte. Diese Bewegung veranlasste die Gründung unzähliger Koran-Hochschulen, die die spezifische Lehre eint und die heute vor allem in Pakistan vielerorts anzutreffen sind.

    Zu den bekanntesten und einflussreichen gehört die "Banuri-Town-Madrassa" in Karachi. Sie wurde zum Kristallisationspunkt der Dschihad-Bewegung, ein Reservoir für die sogenannten "Glaubenskämpfer" in Afghanistan, erst für die Mudschaheddin und später dann für die Taliban.

    Um mehrere Innenhöfe ziehen sich Kolonnaden, hinter denen Professoren ihre Studenten mithilfe eines Megafons unterweisen. Rektor der Einrichtung ist Iskander Abderrazak, ein älterer Herr mit hennarot gefärbtem Bart. Noch heute ist der "Dschihad" aus seiner Sicht einer der zentralen Aussagen des Islam:

    "Ich stelle Ihnen eine einfache Frage: Wenn jemand Ihr Land angreift und Sie verteidigen Ihre Werte, Ihre Moral, Ihre Rechte, wie nennen Sie das? Sie nennen das Krieg. Wir nennen es Dschihad. Es gibt da einen Unterschied in der Terminologie. Aber: Ist es nicht eine Pflicht, sich zu verteidigen, wenn man angegriffen wird?"

    Und dann holt Iskander Abderrazak aus. Dabei wird erkennbar, wie falsch sein Geschichtsbild und wie weit gefasst seine Auffassung von "Dschihad" tatsächlich ist.

    "Sie kommen doch aus Deutschland. Wer könnte den Dschihad besser verstehen als Sie? Als Deutschland gegen den Rest der Welt kämpfte, fabrizierte die ganze Welt Anschuldigungen gegen Ihr Land. Und, war das eine gute oder eine schlechte Propaganda? Genauso wie einst Deutschland, sind heute wir Muslime die Opfer einer falschen Propaganda."

    Was die Deobandi-Schule kennzeichnet, ist die bewusste Ablehnung einer Geschichtsauffassung, die von Dynamik, von Entwicklung ausgeht; damit lehnt sie auch die Geschichtswissenschaft ab - mitsamt der Erforschung soziologischer und kultureller Zusammenhänge. Demzufolge werden auch religiöse Texte nicht in ihren zeitlichen Kontext gestellt. Die Deobandi-Schule versteht den Koran daher als eine Art Universal-Lexikon, das alle nötigen Antworten parat hält. Um aktuelle Phänomene zu erklären und aktuelle Fragen zu beantworten, wird auf Erklärungen und Antworten der Frühzeit des Islam verwiesen. Und auch umgekehrt ergibt sich dadurch eine falsche Projektion der Vergangenheit auf die Gegenwart. So wie sich die Muslime in der Frühzeit des Islam der übermächtigen Mekkaner erwehren mussten, so mussten es die Deutschen unter Hitler tun.

    Ähnlich willkürliche Projektionen finden sich auch in Bin Ladens "Kriegserklärung".

    Sind die Muslime also "chronisch Unterlegene" im Konflikt mit dem Westen? Die keine andere Wahl haben, als mit Terror zu reagieren, um die abendländische Hegemonie abzuschütteln?

    So könnten es Bin Laden, die al-Qaida und diverse Anhänger der Deobandi-Schule erscheinen lassen. Ihre Taten prägen und dominieren die Wahrnehmung des Islam in der Weltöffentlichkeit. Und so sprechen auch viele im Westen den Muslimen die Fähigkeit ab, kreativ und gewaltlos auf die Herausforderungen der Moderne zu reagieren.

    Weithin vergessen ist, dass die "Mutiny", der große Aufstand im britisch dominierten Indien also - neben der Madrassa-Bewegung mit ihrer spezifischen Interpretation von Dschihad - auch andere Reaktionen bei den Muslimen nach sich zog ...

    Doch wer sie auf ähnlich einfache Art verorten möchte, wie sich die zahlreichen Madrassas heute verorten lassen – der sieht sich getäuscht. Der Suchende muss eine beschwerliche Reise auf sich nehmen: nach Alighar, einer Kleinstadt südlich von Neu-Delhi: ungeteerte Straßen, Kühe, Hindutempel und dann plötzlich lang gezogene rote Mauern.

    "This gate is Victoria gate... I can show you."

    Dr. Abrar, ein ergrauter Gelehrter, deutet auf ein rätselhaft anmutendes Tor mit einem Monogramm.

    "Anglo-Mohammedanisches Orient-College. Das ist unser ältestes College-Gebäude, es stammt noch aus der Zeit von Sir Syed Ahmed Khan. Inklusive Studentenwohnheimen. Heute haben wir insgesamt 70 Wohneinheiten und 32.000 Studenten, wir haben 94 Fachbereiche und einen riesigen Campus. Wir unterrichten alles. Sogar Medizin."

    Den Blicken des Betrachters bietet sich ein atemberaubender Anblick: ein riesengroßer Campus, eingefasst von Kolonnaden, deren Spitzbögen halb an die Gotik von Oxford und Cambridge, halb an Mogularchitektur erinnern. Orient und Okzident in Harmonie vereint.

    "Nach der 'Mutiny', dem großen Aufstand, hatte Syed Ahmed Khan erkannt, dass moderne Bildung eine zwingende Notwendigkeit für die Muslime war. Er sagte: Religion sollte auf wissenschaftlicher Grundlage gelehrt werden. Sir Syed lehnte die Art Dschihad ab, wie ihn die Deobandi-Schule gegen die Briten führen wollte. Sir Syed sagte: 'Es widerspricht den islamischen Gesetzen, einen 'heiligen Krieg' gegen Unschuldige, zum Beispiel gegen Kinder, zu führen'."

    Statt für den Dschihad engagierte sich Syed Ahmed Khan für die Bildung. Syed Ahmed Khan, ein Gelehrter, ein reicher Großgrundbesitzer, ein Nachfahre des Propheten Muhammad. Dank seiner Bemühungen kam es 1875 zur Gründung des Alighar-Colleges, eben jener ersten modernen Universität in der islamischen Welt. Heute ist sie nur eine von vielen auf dem indischen Subkontinent.

    Syed Ahmed Khans rationaler Umgang mit der Religion hatte weitreichende Folgen; er beeinflusste eine Reihe muslimischer Denker wie auch den Ägypter Nasr Hamid Abu Zaid. Für den Wissenschaftler Abu Zaid gibt es keinen Widerspruch zwischen Islam und Moderne. Im Gegenteil. Er hält den Islam - wie auch die anderen monotheistischen Religionen - für erneuerungsfähig, ja, in seinem Entstehen für eine Religion der Erneuerung.

    "Was ist Modernisierung? Eine Bewegung, die zu einer neuen Ordnung gelangen will, sei es in der Wissenschaft, sei es in anderen Bereichen. Eine Bewegung also, die auftritt, wenn die alte Ordnung in eine Krise gerät. Egal, welche Religion man daher auch betrachtet: Der Beginn einer neuen Religion war immer auch ein Vorgang der Modernisierung."

    Reformer wie Syed Ahmed Khan und Abu Zaid verstehen den Islam als eine dynamische, sich in Raum und Zeit unablässig wandelnde Kraft. Ende des 19. Jahrhunderts verfasste Syed Ahmed Khan einen Korankommentar auf der Grundlage zeitgenössischer historischer, naturwissenschaftlicher und sprachlicher Erkenntnisse. Ein wissenschaftlicher Ansatz, einer also, religiöse Texte - anders als die Vertreter der Deobandi-Schule – in ihrem zeitlichen Kontext zu verstehen. Ein Ansatz, dem auch Abu Zeid folgt. Sprache, so meint der ägyptische Muslim, existiere nicht im luftleeren Raum. Die Bedeutung von Worten und Begriffen veränderte sich je nach historischem und kulturellem Kontext. Was in Zeiten des Propheten Muhammad etwa unter "Dschihad" zu verstehen war, muss nicht für heute gelten.

    "Die Göttlichkeit des Korans bezieht sich auf den Absender, auf Gott. Wenn wir den Absender betrachten, ist der Koran göttlich. Anders ist das mit der Sprache. Gott hat sich der Sprache bedient; doch er hat dabei nicht seine eigene göttliche Sprache benutzt, sondern unsere menschliche, natürliche, nicht-göttliche Ausdrucksform. Sie ist unsere eigene Erfindung. Hätte Gott in seiner Sprache gesprochen, wer hätte ihn dann verstanden? Gott hat sich in dem uns eigenen linguistischen System an uns gewandt, in unserem Code. Und dieser Code ist geprägt durch unsere Kultur, durch die Bedeutungen, die wir bestimmten Begriffen geben. Durch unser Verständnis."

    An einer Wand voller Monitore sitzt ein Regisseur vor einer Vielzahl von Reglern - neben sich zwei schwitzende Techniker, die ständig neue Bildausschnitte in den Fokus rücken ... das Fernsehstudio der Universität von Riad würde jedem deutschen Sender zur Ehre gereichen. Doch wozu dient diese hypermoderne und kostspielige Einrichtung? Ein Dozent deutet auf einen der Monitore, auf dem ein Professor vor einer Tafel steht:

    "Die Mathematikvorlesung, die Sie auf diesem Monitor hier sehen, wird live zu den Frauen übertragen. Auf diese Weise stellen wir männlichen und weiblichen Studenten genau dieselbe Qualität der Bildung zur Verfügung. Und gleichzeitig ersparen wir unseren Studentinnen viele Probleme und geben ihnen die Möglichkeit, sich besser auf ihre Studien zu konzentrieren."

    Kilometerweit entfernt, am anderen Ende der saudischen Hauptstadt, liegt der Teil der Universität, der den Frauen vorbehalten ist. Wenn eine Studentin eine Frage hat, erreicht sie den Professor über ein rotes Telefon, das neben ihm auf dem Katheder steht. Die Verhinderung einer umfassenden Moderne unter Zuhilfenahme moderner Technologien ... so in etwa ließe sich der saudi-arabische Ansatz beschreiben.

    Entwickelt hat er sich - anders als die Deobandi-Schule - nicht aus der Konfrontation mit dem Westen. Der saudische Fundamentalismus, der sogenannte "Wahhabismus", war einst ebenfalls eine Erneuerungsbewegung, eine jener Bewegungen, die sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gegen eine Aufweichung der reinen Lehre richteten: Sie waren gegen die Verehrung von Heiligen, gegen die Mystik und gegen die Aufnahme volkstümlicher Elemente in den Islam.

    Dass der Wahhabismus zur Staatsideologie aufsteigen konnte, verdankte er einem Bündnis mächtiger Schutzherren – der Familie al-Saud.

    "Wie Sie wissen – wenn es um den Islam geht, da gibt es Grenzen, da gibt es entweder schwarz oder weiß. Und wir werden niemandem erlauben, diese Grenzen zu überschreiten."

    ... sagt Prinz Turki al-Saud, Enkel des Staatsgründers und hochrangiger Beamter im saudischen Informationsministerium....

    Mithilfe der Ideologie des "Wahhabismus" konnten die al-Saud Anfang des 20. Jahrhunderts die Stämme der Arabischen Halbinsel unter ihrer Führung vereinen. Von internationalem Gewicht wurde er dann mit der Entdeckung des saudischen Ölreichtums und infolge des Ölbooms in den 1980er-Jahren.

    Der "Wahhabismus" als Staatsideologie und als Herrschaftsinstrument stabilisierte Saudi-Arabien ganz im Sinne der USA, die sich als "Schutzmacht" Saudi-Arabiens aufgeschwungen hatten. Denn, solange die al-Saud auf der Grundlage ihrer Ideologie das Land in ihrem, amerikanischen, Sinne regierten, so lange brauchte sich Washington auch keine Sorgen um die eigene Ölversorgung zu machen.

    Und damit wiederholt sich ein altes, bereits bekanntes Muster. Europäische und westliche Mächte, ob nun in Kolonialzeiten oder heute, lassen sich von eigenen Interessen leiten. Die wiederum sehen sie am ehesten gewahrt, indem eigens ausgewählte Eliten in den islamischen Gesellschaften unterstützt, stabilisiert, an der Macht gehalten werden. Ungeachtet der Werte, ungeachtet der Ideologien, derer sich diese Eliten bedienen.

    Die saudisch-amerikanische Zusammenarbeit erreichte eine neue Qualität, als die Sowjets 1979 in Afghanistan einmarschierten.

    Um den islamischen Widerstand gegen die Sowjets anzufachen, hielten die USA Saudi-Arabien dazu an, die Madrassas der Deobandi-Schule im entfernten Hindukusch, eben jener Schule, die zum "heiligen Krieg" gegen Invasoren aufruft, mit Petrodollars zu finanzieren. Mit all den Folgen, die diese Förderung bis heute nach sich zieht. Es entstanden die "Mudschahedin", dann die "Taliban".

    Der "Betriebsunfall" vom 11. September 2001 setzte dem amerikanisch-wahhabitischen Bündnis ein abruptes Ende. Und er führte zu einem massiven US-geführten Gegenschlag. Ähnlich wie bei der "Mutiny", dem einstigen Aufstand in Britisch-Indien, überstiegen die Opfer des "Krieges gegen den Terror" bei Weitem die Opfer des Terrors selbst. Bis heute.

    Der Krieg in Afghanistan hat mittlerweile deutlich gemacht, dass er mit konventionellen Mitteln nicht zu gewinnen ist. Die Regierung Obama setzt heute daher auf die Strategie der Aufstandsbekämpfung. Und: auf Bündnisse mit traditionellen Führern, Warlords, all jenen fundamentalistischen Gruppen, die sich zur Zusammenarbeit gegen die Taliban bereit erklären.

    In den Geberländern, bei den Truppenstellern der ISAF, hat sich inzwischen Ernüchterung breitgemacht. Das Ideal vom Aufbau und einer Demokratisierung Afghanistans ist abgelöst worden von einem Nahziel: Stabilität. Und dazu, so meint zum Beispiel Niels Annen, Außenpolitiker der SPD, müsse man in Kauf nehmen, dass Afghanistan in Zukunft auch wieder ein fundamentalistisch geprägter Staat sein könnte.

    "Wir dürfen uns auch nichts vormachen, der deutschen Öffentlichkeit keinen Sand in die Augen streuen. Wenn es eine solche Übereinkunft gibt, wird es auch einen Preis zu zahlen geben. Und das bedeutet: die Erwartungen an eine rechtsstaatliche Entwicklung werden dann möglicherweise einen Rückschlag erleiden."

    Afghanische Vertreter der Zivilgesellschaft reagieren empört darauf. Zum Beispiel Yaqub Ibrahimi, der prominenteste unter den jungen afghanischen Journalisten. Studiert hat er an einer jener Fakultäten, die seit dem Fall der Taliban wieder geöffnet wurden.

    "Deutschland und die anderen Länder sind nach Afghanistan gegangen, weil sie eine Mission hatten: den Terrorismus und die Drogen zu bekämpfen und eine demokratische Gesellschaft aufzubauen. Daher sagten sie ihren Steuerzahlern: Gebt uns Geld für diese Mission. Heute aber tun die Regierungen der ISAF-Staaten nichts dergleichen und sie belügen ihre Bevölkerung."

    Solche Bündnisse westlicher Mächte mit erzkonservativen, selbst fundamentalistischen Eliten, so meint Ibrahimi – hätten Reformen und Modernität in den islamischen Gesellschaften immer wieder ausgebremst. Ibrahimi will von den ISAF-Staaten nur eines: dass sie die Fehler, die in den 1980er-Jahren gemacht wurden, als die USA systematisch radikale islamische Kräfte unterstützten, nicht wiederholen.

    "Bitte unterstützen Sie nicht den Fundamentalismus in Afghanistan"