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Zwischen gesellschaftlichem Auftrag und knallhartem Geschäft

"Eat the rich”, esst die Reichen. "Ich kann warten". "Buddha ist überall". Sinnsprüche, Beschimpfungen, Lebensweisheiten: Die Wände sind voll davon in der Zimmerstraße 10 in Berlin-Kreuzberg, nahe des Checkpoint Charlie, dem ehemaligen Kontrollposten der Alliierten. Im fünften Stock des Sozialbaus wohnen fünf Jugendliche in einer WG. "Betreutes Wohnen" steht auf einem Aufkleber an der Tür. Amerikanische Küche, große Fensterfront, abgewetzte Couch, vier Fernseher – so sieht es im Innern der Wohnung aus. Die Wohngemeinschaft ist keine normale Studenten-WG, sondern eine "teilstationäre Maßnahme der Jugendhilfe gemäß Kinder- und Jugendhilfegesetz" KJHG, wie es im Amtsjargon heißt. Eine der WG-Bewohnerinnen ist Susanne Leitz. Sie ist 19 Jahre alt und wohnt seit ein paar Jahren in der WG. Sie erinnert sich noch genau, wie schwierig es am Anfang war, sich in der WG zurecht zu finden:

Nikolas Westerhoff |
    Man betritt ja sozusagen einen total fremden Raum. Wenn man hier herkommt, dann ist es so, dass Jugendliche schon vorher hier wohnen, schon vorher eine feste Gemeinschaft haben. Ich persönlich fand das sehr schwierig, da rein zu rutschen in so einen festen Rahmen, wo Leute schon drin waren. Also man rutscht in ein gemachtes Nest rein, aber die Leute bilden schon die Gemeinschaft und es ist sehr schwierig, sich an die Gemeinschaft anzupassen. Das kann schon bis zu einem halben Jahr dauern bis man sich an die Leute auch gewöhnt hat.

    Betreut wird die WG von Herbert Benkhoff, einem studierten Sozialpädagogen. Vier Stunden am Tag ist er da, sieht in der WG nach dem Rechten, kontrolliert, ob geputzt und eingekauft wird, zahlt den Jugendlichen ihr Taschengeld aus, achtet darauf, dass nicht geraucht und getrunken wird in den Zimmern, schaut mit den Jugendlichen fern, diskutiert mit ihnen. Über Nacht lässt Herbert Benkhoff "seine Schützlinge" alleine, bleibt aber in "Rufbereitschaft", so wie ein Arzt, falls es irgendein Problem geben sollte. Die WG hat ein klares Regelwerk, an das sich alle zu halten haben. Und eine besonders "strenge" Regel lautet, so Herbert Benkhoff: Niemand darf sein Zimmer abschließen!

    Also so eine Regel wird immer umkämpft sein, denke ich mir. Aber aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Wir machen das deutlich, wenn einer hier einzieht, dass es tatsächlich darum geht, sich in einer Gruppe zu bewegen, dass man nicht in einer Pension lebt, wo man sich abschottet und wo man seinen Privatbereich abschotten kann. Sondern es geht darum, sich auf eine Gruppe, auf andere Menschen einzulassen – und das bedeutet, sich Zeit zu investieren, um jemanden kennen zu lernen und durchaus auch Vertrauen zu schaffen. Und das war schon immer unser ideologisches Konzept, zu sagen: Wenn man in einer Wohngemeinschaft lebt, dann muss man sich darauf einlassen können.

    Die Gemeinschaft, meint auch Susanne Leitz, könne nur funktionieren, wenn sich alle an die Regeln halten. Wer dazu nicht bereit sei, dem drohe zu Recht eine Strafe:

    Und ganz verschärft ist es so, dass man einen Taschengeldabzug kriegt, wenn man sich nicht dran hält. Also man hat dann schon im Hinterkopf, man muss es machen, weil man einfach auch die Betreuer nicht reizen will. Man möchte sich keinen Ärger einhandeln.

    Das Erziehungskonzept ist eine Mischung aus Kontrolle und Vertrauen. Im "Betreuten Wohnen" kommen und gehen die Jugendlichen, wann sie wollen. Und sie können außerhalb der WG tun und lassen, wozu sie Lust haben. Das heißt etwa: Ein Jugendlicher darf in der WG keinen Alkohol trinken, außerhalb der WG aber schon. Die Jugendlichen im "Betreuten Wohnen" teilen somit nur einen bestimmten Ausschnitt ihres Lebens miteinander. Herbert Benkhoff:

    Es würde niemand auf die Idee kommen, die Post des anderen Jugendliche aufzumachen. Und ansonsten: Ich glaube, dass der familiäre Bereich dann eher noch abgeschottet wird – gegenüber dieser Gruppe, dass das etwas ist, was sehr individuell läuft. So dass man, wenn die Familie da ist oder wenn die Mutter oder der Vater hier ist, dass das nicht in der Gruppe passiert (...). Und umgekehrt auch: Wenn die Jugendlichen ihr Elternhaus besuchen, ist es in der Regel so, dass sie da nicht andere WG-Mitbewohner mitnehmen.

    Susanne Leitz kam in die WG, weil ihre Mutter mit der Erziehung überfordert war. Genauer will sie sich nicht äußern. Nur soviel sagt sie: Die WG war die letzte von mehreren Maßnahmen. Am Anfang habe das Jugendamt sich noch darum bemüht, die Familie zusammen zu halten. Vergebens.

    Ich hatte damals eine Art Familienhilfe. Die sind dann zu mir und meinen Eltern wöchentlich nach Hause gekommen. Und wir haben dann zwei Stunden eine Therapiesitzung gemacht und haben dann halt darüber gesprochen, was man besser machen könnte zuhause, wo die Aggressionen herkommen, warum das alles nicht so klappt. Ja, in meinem Fall hat das leider nicht so viel geholfen, weil man hat dann zwar darüber geredet, aber die Situation hat sich nicht geändert. Und in meinem Fall war es dann wirklich das beste, aus der Familie raus zu gehen.

    Für Susanne Leitz war es richtig, die Familie hinter sich zu lassen, sich von der Mutter zu trennen. Ihrer Mutter fällt es hingegen bis heute schwer, die "Maßnahme" zu akzeptieren. Verständlicherweise, meint Susanne, schließlich wäre der Mutter faktisch das "Sorgerecht" entzogen worden:

    Meine Mutter erlebt das schon so als Machtverlust, weil sie dann sieht, dass sie mich nicht unter Kontrolle hat und sieht, dass ich mein eigenes Ding mache. Und damit kommt sie persönlich nicht so gut klar. Aber trotzdem hat sie mich schon während der ganzen Zeit, wo ich in der Jugendhilfe war, schon unterstützt. Also sie hat dann gesehen, dass es mir woanders besser geht als bei ihr, aber sie hat das dann schon verstanden im Endeffekt. Da sie den Kontakt nicht abbrechen wollte, musste sie damit umgehen und akzeptieren, dass es mir woanders besser geht als bei ihr.

    Anders als Susannes Mutter brechen manche Eltern den Kontakt zu ihren Kindern ganz ab. Die Eltern von Martin Schweitzer zum Beispiel, der bis vor einem Jahr in der WG lebte, haben in all den Jahren kein einziges Mal in der WG vorbei geschaut. Dennoch ist Martin Schweitzer davon überzeugt, dass ihm die WG geholfen hat. Auch wenn er zunächst gerne eine andere Form der "Jugendhilfe" bekommen hätte:

    Bevor ich hier eingezogen bin, hatte ich eigentlich angedacht, betreutes Einzelwohnen, aber das wurde mir dann ausgeredet, so. Und das fand ich im Endeffekt auch nicht schlecht, weil ich glaube, hätte ich BEW gehabt und nur einmal den Betreuer in der Woche gesehen, ich denk mal, das wäre schief gegangen.

    Die Wohngemeinschaft wird von dem freien Träger "Jugendwohnen im Kiez" geführt, einem "Dienstleister" im Bereich der Jugendhilfe. "Jugendwohnen im Kiez" bietet vielfältige "Hilfen zur Erziehung" an. Da sind zum einen die "ambulanten Hilfen", wie Ingrid Alberding, die Geschäftsführerin von Jugendwohnen im Kiez, erklärt:

    Das ist eine aufsuchende Arbeit, da gehen die Kollegen in die Familien beziehungsweise arbeiten mit Jugendlichen, auf der Straße zum Teil, suchen die da, wo sie sich aufhalten, um an ihrer Lebenssituation etwas zu verbessern.

    Zum andern bietet Jugendwohnen im Kiez "stationäre Hilfen" an. Dazu gehört das "Betreute Wohnen". Da die Jugendlichen bei "Betreutem Wohnen" nicht rund um die Uhr überwacht werden, setzt diese Hilfe-Maßnahme ein bestimmtes Maß an Eigenverantwortlichkeit des Jugendlichen voraus.

    Die zweite Form der stationären Unterbringung bei uns ist die therapeutische Wohnform, das ist eine sehr intensive Wohnform, wo 24-Stunden-Betreuung stattfindet, sehr kleine Gruppen arrangiert sind mit fünf bis sechs Jugendlichen.

    Jugendhilfe kostet Geld. Allein in Berlin werden jährlich 1,5 Milliarden Euro für die Jugendhilfe ausgegeben. Besonders teuer ist die "Heimunterbringung": Ein Heim-Platz kostet bis zu 200 Euro am Tag. Die Liste der möglichen Jugendhilfe- Maßnahmen ist lang: Heimunterbringung, Familienhilfe, therapeutisches Wohnen, betreutes Wohnen, Tagesgruppe, Einzeltherapie, Erziehungsbeistand...Doch ob die einzelnen vom Jugendamt "verordneten" Maßnahmen nützlich sind, ob sich der finanzielle Aufwand lohnt, lässt sich nicht eindeutig sagen, wie der promovierte Soziologe und "Jugendhilfe"- Experte Detlev-Horn Wagner meint:


    Ob nachher die erwarteten Effekte eintreten, ob die Jugendlichen auf einen gesellschaftlich akzeptierten Weg gebracht worden sind, das lässt sich außerordentlich schwer darstellen, weil wir nicht genau wissen, was aus ihnen wird und welche Maßnahme zu welcher Wirkung geführt hat. Das können die Maßnahmen von ganz anderen Personen gewesen sein, das können aber auch die Maßnahmen der Jugendhilfe gewesen sein. Das ist ein sehr schwieriges Feld, wo sich leider Gottes Kausalitätsbeziehungen nicht herstellen lassen.

    Wie einem Kind oder einem Jugendlichen geholfen werden soll, darüber entscheiden die Jugendämter. So legen die Mitarbeiter des Jugendamtes zum Beispiel fest, ob ein Sozialpädagoge ein Mal in der Woche die Familie eines betroffenen Kindes besuchen soll, ob ein Kind in ein Heim überwiesen wird, ob ein Kind oder ein Jugendlicher eine Tagesgruppe besuchen muss oder ob ein Jugendlicher eine eigene Wohnung erhält - mitsamt eines Betreuers, der regelmäßig zu Besuch kommt, um dem Jugendlichen dabei zu helfen, den Tag zu "strukturieren". Welche Maßnahmen ein Jugendamt beschließt, hängt dabei vom regionalen Hilfe-Angebot ab. Das heißt: Die freien Träger der Jugendhilfe bieten dem Jugendamt ihre sozialen Dienste an – und das Jugendamt wählt daraus aus. Von der Art des Angebotes an einem bestimmten Ort lässt sich allerdings nicht auf den tatsächlich existierenden Bedarf schließen, wie Detlev Horn-Wagner herausgefunden hat:

    Die erste Hypothese, die man anstellen könnte, ist die, dass die Art der Hilfe abhängig ist von der Sozialstruktur des Wohngebietes. (...) Und ich habe auch ein Gutachten gefertigt, um dieser Frage nachzugehen: Diese Korrelation ist nirgendwo in Berlin erkennbar. Und übrigens auch im ganzen Bundesgebiet nicht erkennbar. Es gibt keine Korrelation zwischen sozialstrukturellen Bedingungen und der Hilfepraxis.

    Nicht der Bedarf vor Ort ist also ausschlaggebend dafür, welche Hilfen gewährt werden. Vielmehr hängt die Hilfepraxis von ganz anderen Faktoren ab, wie zum Beispiel von den persönlichen und "ideologischen" Vorlieben der Jugendamt-Mitarbeiter, von der "Kultur" des Jugendamtes, vom Finanzvolumen der Stadt und vom Ausbildungshintergrund der Mitarbeiter.

    Und der Rest ist Markt. Also das ist die Frage von Angebot und Nachfrage. Und wo viel Angebot ist, da ist auch viel Nachfrage. Das kann man auch in der Literatur ganz gut sehen, wenn da zum Beispiel Rollenwechsel statt gefunden haben, wenn also Mitarbeiter des Jugendamtes in freie Träger gegangen sind, also die Stelle gewechselt haben, dann stieg die Zahl der Fälle an, weil alte Kontakte und so weiter...Also das hat auch immer diese beiden Seiten, ganz ohne Zweifel.

    Wie effizient ist Jugendhilfe? Und wie lässt sich die Qualität einer sozialen Leistung messen? Die Anbieter von "Hilfen zur Erziehung" sind mittlerweile vom Gesetzgeber dazu verpflichtet worden, die Qualität ihrer Arbeit zu sichern und "weiter zu entwickeln". Doch in der Praxis der Jugendhilfe spielt der "Qualitätsgedanke" kaum eine Rolle. Nach Erkenntnissen des Deutschen Jugendinstitutes in München betreiben nur 1 bis 3 Prozent aller Träger im Bereich der Jugendhilfe eine standardisierte Form der Qualitätssicherung. Der Träger "Jugendwohnen im Kiez" gehört zu dieser kleinen Gruppe. Er betreibt Qualitätssicherung mittels des in der Wirtschaft erprobten Verfahrens ISO 9000. Die Geschäftsführerin Ingrid Alberding erklärt, wie eine solche Qualitätssicherung nach ISO 9000 abläuft:

    Das sah praktisch so aus, dass zwei Tage lang zwei Damen kamen, die zertifiziert sind darin, dass sie Träger überprüfen dürfen, von der Deutschen Gesellschaft für Qualität. Und die sind durch unsere Einrichtung gegangen und haben stichprobenweise sich die Unterlagen angesehen, haben sich mit den Mitarbeitern unterhalten: Wie machen Sie denn das, wenn ein Kind bei ihnen aufgenommen wird? Welche Schritte gehen Sie da, wen beziehen Sie mit ein? Und alles das, was die ihnen erzählt haben, haben sie dann überprüft, in der Tiefe. Also haben dann geguckt: Aha, Sie sagen also, da füllen Sie einen Aufnahmebogen aus, kann ich den mal sehen, wie sieht der denn aus und wen verständigen Sie dann im zweiten Schritt und so weiter.

    Der Träger hat sich von einer Qualitätssicherung nach ISO 9000 einen Wettbewerbsvorteil versprochen. 15000 Euro hat er sich die Qualitätssicherung kosten lassen. Um dieses Geld aufzubringen, mussten die Mitarbeiter auf ihr Weihnachtsgeld verzichten. Aber nicht nur deshalb wurde diese Form der Qualitätssicherung von den Mitarbeitern zunächst ablehnt:

    Also viele Mitarbeiter haben gesagt, was soll denn das heißen, dass wir jetzt plötzlich Qualitätsentwicklung machen sollen, wir arbeiten schon immer gut, wir haben schon immer Qualität abgeliefert. Und damit haben die auch recht: Aber jeder versteht etwas anderes darunter und jeder hatte seine eigenen Verfahren entwickelt. Und der eine wusste nicht wie der andere arbeitet und dadurch war es schwierig, Vertretungssituationen zu gestalten.

    Von einem Zentrum für Qualitätssicherung, wie es im Bereich der Medizin bereits eingerichtet wurde, ist man in der Jugendhilfe noch weit entfernt. Denn bisher müssen die freien Träger der Jugendhilfe die Maßnahmen zur Qualitätssicherung selbst bezahlen. Ein Umstand, den Frieder Dünkel, Professor für Kriminologie an der Universität Greifswald, bemängelt:

    Es ist sicherlich eine zweifelhafte Angelegenheit. Ich würde meinen, dass es eine unabhängigere, auch völlig getrennte Einrichtung sein muss, meinetwegen beim Landesjugendamt oder irgendwo. Das können die Fachkräfte aus dem Landesjugendamt sein, da sitzen ja genug Sozialarbeiter und Psychologen, die das eigentlich beurteilen könnten. (...) Dass man das jetzt den betroffenen Vereinen auflastet, auch finanziell, halte ich nicht für geglückt.

    Mehr Qualität führt zu besseren Ergebnissen in der Jugendhilfe. So lautet die Annahme all jener, die Qualität sichern und weiter entwickeln wollen. Doch es ist nicht einfach, die Qualität einer sozialen Arbeit zu messen. Axel Stähr, Leiter des Referates Jugendhilfe und Recht in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport:

    Das Schwierigste ist immer die Ergebnisqualität, wie stellt man eigentlich Ergebnisse fest in der Jugendhilfe. Das ist ganz unterschiedlich, hängt auch von den einzelnen Bereichen ab. Nehmen wir mal so eine Jugendberufshilfe, da geht es darum, dass die Jugendhilfe Ausbildung unterstützt, sozialpädagogisch begleitet. Da ist es relativ klar festzustellen: Wenn ein Berufsabschluss erreicht ist, dann ist das ein gutes Ergebnis.

    Die vom Deutschen Caritasverband in Auftrag gegebene "Jugendhilfe-Effekte-Studie" hat gezeigt: Entscheidend für den Erfolg einer Jugendhilfe-Maßnahme ist die so genannte "Prozess –Qualität", also die Qualität des Kontaktes zwischen professionellem Helfer und dem Betroffenen im zeitlichen Verlauf. Vertrauen, Kooperationsbereitschaft, Sympathie, diese Prozess-Variablen sind von großer Bedeutung. Über "strukturelle" Merkmale wie Ausbildungsart – und Niveau eines Jugendhelfers lässt sich der Erfolg oder Misserfolg einer Maßnahme hingegen kaum verlässlich vorhersagen. Ein Befund, der nicht weiter überrascht, wenn man sich das "Wesen einer sozialen personenbezogenen Dienstleistung" vergegenwärtigt:

    Wenn Sie der Schuster sind und ich bin der Kunde, dann haben wir ein gemeinsames drittes Objekt, nämlich meinen Schuh, an dem etwas "gewerkelt" wird und es steht außer Frage, das man da Qualität sichern kann, indem man die handwerklichen Fähigkeiten absichert, indem man den richtigen Faden zum Nähen nimmt und so weiter. Das Problem in den personenbezogenen sozialen Dienstleistungen (..) liegt darin, dass der Klient zu seinem eigenen dritten Faktor wird, ich kann mich ja nicht abgeben. Und deswegen spricht zum Beispiel Burkhart Müller in Hildesheim, Fachhochschule-Professor, spricht deswegen auch in der sozialen Arbeit nicht vom Kunden, sondern vom "Koproduzent".

    Und die "Koproduzenten" sind nicht immer willens, zu kooperieren. Die hohen Abbruchraten bei Jugendhilfe-Maßnahmen sind hierfür ein Beleg: Etwa ein Drittel aller Hilfen werden vorzeitig beendet. Insbesondere all jene Formen der Jugendhilfe, bei denen die Eltern der betroffenen Kinder und Jugendlichen "mitarbeiten" müssen, sind häufig zum Scheitern verurteilt. Der Grund hierfür: Ein Mangel an "Prozess-Qualität", also ein Mangel an Vertrauen und Kooperationsbereitschaft zwischen Helfer und "Klient". Wie aber soll sich eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen, wenn die Maßnahmen der Jugendhilfe vom Jugendamt verordnet werden, wenn Eltern die Macht des Gesetzes zu spüren bekommen? Eine Frage, die sich auch Susanne Cokgüngör stellt, eine Sozialpädagogin im Berliner Bezirk Schöneberg:

    Wir haben auch Fälle, wo das zum Beispiel ein Zwangskontext ist, wo die Eltern über das Familiengericht hier hergeschickt werden, wo es heißt, also entweder Sie schicken ihr Kind da hin und gehen auch zur Beratung hin oder das Kind wird eben aus der Familie heraus genommen, solche Fälle haben wir auch. Das ist ganz wichtig, gut mit dem Jugendamt zusammen zu arbeiten.

    Die Zusammenarbeit zwischen Jugendamt und freiem Träger ist häufig nicht effektiv. Vor allem mangelt es an einer detaillierten "Zielplanung". Beide Seiten sprechen sich zu wenig darüber ab, in welcher Zeit welche Ziele erreicht werden sollen. Neuere Untersuchungen zur Jugendhilfe haben gezeigt: nur in 20 Prozent der Fälle wird den Kindern und Jugendlichen die ideale Hilfe angeboten. Das Jugendamt prüfe zu selten, ob eine Maßnahme richtig sei – so der häufig gehörte Vorwurf seitens der freien Träger. Allerdings wäre der Kooperationswillen der Jugendämter früher noch schlechter gewesen. Ingrid Alberding:

    Früher war es da schon schwieriger: Da war es zum Teil unser eigenes Bestreben, nach sechs Wochen beziehungsweise drei Monaten zu gucken: War das jetzt das Richtige oder müssen wir das etwas abwandeln von der Zielfindung her. Und da war es eben schwierig, da Termine zu finden – aufgrund von Überlastungssituationen in den Jugendämtern. Die müssten genauso in die Lage versetzt werden, Qualitätsentwicklung auf hohem Niveau zu fahren, sonst macht das bei den Trägern keinen Sinn, also das muss gleich geschaltet sein.

    Mehr Qualität in der sozialen Arbeit fordert der Gesetzgeber. Diese Forderung bezieht sich jedoch nur auf die freien Träger. Die Jugendämter sind hingegen nicht in dem Maße verpflichtet, Qualität zu sichern wie die freien Träger der Jugendhilfe. Hinzu kommt: Die Jugendämter unterliegen faktisch keiner Kontrolle. Ein Missverhältnis, wenn man bedenkt, dass die "Effektivität" einer Maßnahme ganz entscheidend davon abhängt, welche der vielen möglichen Hilfe-Formen für einen Jugendlichen gewählt wird. Trifft das Jugendamt eine falsche Entscheidung, so können die "Dienstleister" noch so gute Arbeit leisten, ihre Erfolge werden immer bescheiden bleiben. Nach den Erkenntnissen der Jugendhilfe-Effekte Studie ist Jugendhilfe nicht in allen Fällen wirksam: So nehmen bei einem Drittel der Kinder die Auffälligkeiten im Verhalten nach einer durchgeführten "Hilfe zur Erziehung" weiter zu. Und bei ebenfalls einem Drittel der Familien wachsen die "psychosozialen Belastungen" trotz der Hilfen an. Bei Susanne Leitz und Martin Schweitzer hat die Hilfe etwas genutzt, nicht zuletzt deshalb, weil die Maßnahme "Betreutes Wohnen" von beiden mitgetragen wurde. Wenn die Betroffenen von einer bestimmten Hilfe überzeugt sind, so wie Martin Schweitzer, dann ist Jugendhilfe am wirksamsten:

    Hier steht ein festes Regelwerk, man will hier wohnen, man will ja irgendwas erreichen, was neu machen, irgendwie neu anfangen und so. Und ich denke, dadurch akzeptiert man das leichter als wenn man sich irgendwie die ganze Zeit mit seinen Eltern stresst über du darfst das nicht und du darfst das nicht, aber ich will das jetzt machen und so....Und dadurch denk ich mal, ist es einfacher.