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Zwischen Gesinnungswandel und Parteikarriere

Kaum hatte sich im Mai die Partei Alternative für Deutschland gegründet, war sie auch schon im Parlament: Jochen Paulus, 2009 für die FPD in den Hessischen Landtag eingezogen, lief zu den Euro-Skeptikern über. Nun geht das Gerangel um Listenplätze für Landtags- und Bundestagswahl los.

Von Anke Petermann | 06.06.2013
    "Ich muss nicht Politik machen, um davon zu leben, aber ich möchte es eben inhaltlich tun, und das kann ich mit der AfD sehr gut."

    Der euroskeptischen "Alternative für Deutschland". Nicht etwa wegen besserer Karrierechancen als bei der FDP, versichert der übergelaufene hessische Landtagsabgeordnete Jochen Paulus. Aber vorn mit dabei sein will der Mittvierziger in der neuen Partei schon. Deshalb will er auch an Platz zwei der Landesliste kandidieren. Die wird Ende kommender Woche aufgestellt. Bislang war es für Paulus bestens gelaufen. Anfang Mai wurde er in der AfD so richtig gefeiert. Anders als zuvor bei der FDP - da hatte der Nachrücker auf der Hinterbank Platz nehmen müssen. Der Applaus von den neuen Parteikollegen auf deren Frankfurter Gründungsparteitag: Er muss ihm gut getan haben.

    "Frau Merkel und ihre Unterstützer tragen diesen wahnsinnigen Euro-Unterstützungskurs zulasten unserer Kinder bedingungslos mit!"

    Jochen Paulus - ein Abtrünniger. Die Führungsriege der hessischen Liberalen schweigt dazu in Kameras und Mikrofone. Hinter den Kulissen aber brodelt es: Ehemalige Parteifreunde ziehen über Paulus als liberales Auslaufmodell her. Nichts geleistet, schäumen sie, deshalb von der Partei kaltgestellt. Den Landtag schwänzen, aber dann zum Schaulaufen bei der AfD antreten. Dabei hatte Jochen Paulus doch nur eine Auszeit wegen Bandscheibenvorfalls genommen. Aus dieser Besinnungsphase war er dann als bekennender Euro-Skeptiker zurückgekehrt, erzählt er.

    Zwei freie Plätze trennen ihn nun von seinen früheren Fraktionskollegen.

    "Damit kann ich leben."

    sagte Paulus noch vor wenigen Tagen ganz gelassen. Denn in Nordhessen, wo er zu Hause ist, lief es für die AfD da noch richtig gut: Im früheren Zonenrandgebiet traten Liberale und Christdemokraten scharenweise zu den Euro-Skeptikern über, und in seinem Kreisverband Hersfeld-Rotenburg musste sich Paulus gar nicht auf so viele neue Gesichter einstellen:

    "Dem gehört als Mitglieder und auch als neuer Vorstand nahezu der halbe FDP-Kreisvorstand Hersfeld-Rotenburg und nahezu der komplette Ortsverband Alheim an, wo ich bis zuletzt tätig war."

    Der massive Aderlass bei den etablierten Parteien zugunsten der AfD - im Hinterzimmer eines Versicherungsbüros in der verschlafenen Kleinstadt Bebra, wo sich Paulus mit seinen Kollegen vom AfD-Kreisvorstand trifft, sind immer noch alle ganz euphorisch. In der einst letzten Bahn-Station vor der innerdeutschen Grenze will man die Nachricht von der Rebellion der südhessischen Parteifreunde gar nicht hören. Rund um Wiesbaden und Frankfurt gehen elf Kreisvorstände gegen den eigenen Landesvorstand auf die Barrikaden. Sie wollen ihn auf einem Sonderparteitag abwählen. 70 Prozent aller hessischen AfDler haben sie angeblich hinter sich. Jochen Paulus schaut verständnislos. Zoff in der AfD? Das ist ihm anscheinend neu.

    "Ich weiß nicht, woher dieser Konflikt rührt."

    Tatsächlich ist der Zwist der Südhessen mit dem Landesvorstand um den früheren Christdemokraten und Frankfurter Kämmerer Albrecht Glaser eher atmosphärisch und deshalb schwer fassbar. Tiefes Misstrauen schlägt insbesondere den übergelaufenen Politprofis aus anderen Parteien entgegen. Die Basis argwöhnt, dass die nur nach Posten gieren, erzählen die beiden südhessischen Kreischefs Jochen Prinz und Hans-Jörg Tangermann:

    "Das betrifft jetzt nicht nur unseren Landesverband, sondern auch andere Landesverbände."

    ""Es gibt also zwei Kritikpunkte: Das ist die Top-Dow-Kommunikation. Da prallen in der Tat dann die Arbeitswelten ein bisschen aufeinander, die Beteiligung auch der Basis."

    In Nordosthessen, wo Jochen Paulus zuhause ist, kann man sich solch einen Aufruhr an der Basis nicht vorstellen. Da sei man versöhnlicher, heißt es. Doch was, wenn der Funke aus dem rebellischen Südhessen überspringt und Paulus’ Coup zum Rohkrepierer wird? Von der FDP zur AfD rübermachen, den Liberalen das Landtagsmandat entreißen, dann weit vorn auf der AfD-Liste für die hessische Landtagswahl zu kandidieren – zieht da die AfD-Basis womöglich doch nicht mit? Was, wenn sie ihn nicht wie geplant brav auf Platz zwei der Landesliste hievt? Der Jurist gibt sich auch hier ganz gelassen. Prominenter Berufspolitiker war er ja nie.

    "Ich bin von Anfang an immer Rechtsanwalt gewesen und habe auch neben meinem Mandat immer als Anwalt weitergearbeitet."

    Im Bebraer Versicherungsbüro zuckt Paulus’ Vorstandskollege Alexander Sauer die Schultern. Der frühere stellvertretende Kreischef der CDU Hersfeld-Rotenburg kann die Aufregung der südhessischen Parteibasis nicht begreifen. Kompromiss statt Krawall sei doch die Devise der AfD. Und die Sache mit Paulus? Die ist für Ex-Christdemokrat Sauer ganz einfach.

    "Wenn er sagt, er möchte Platz zwei – wenn das die Mitglieder so sehen, dann ist er’s. Und wenn sie’s anders sehen, dann ist er’s eben nicht."