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Zwischen Gewissensfrage und Parteilinie

In der Koalition muckt der ein oder andere Parlamentarier wegen der Europapolitik auf: Schnelles Verfahren, wenig Spielraum für Abwägungen und dennoch müssen Entscheidungen her, damit der Euro stabil bleibt.

Von André Bochow | 18.08.2011
    Die Menschen müssen sich zu einem guten Teil darauf verlassen können, dass die von ihnen gewählten Politikerinnen und Politiker mit der gebotenen Sachkenntnis und mit der Ernsthaftigkeit, die man erwarten kann, in dem Abwägungsprozess das möglichst Richtige tun."

    Manchmal ist es ja vielleicht ganz gut, wenn die führende Politikerin des Landes den Euroskeptikern mal ein kurzes ... .

    "Europa ist ohne Euro nicht mehr denkbar."

    um die Ohren knallt. Irgendwie hört man bei Angela Merkel ein unausgesprochenes Basta mit. Noch kürzer kann es Ex-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle. Soll ein einiges Europa gemeinsam finanziell für kriselnde Länder einstehen und - da sträuben sich einem Brüderle die Nackenhaare - zu einem Einheitszinssatz Eurobonds auflegen? Mit Abscheu bricht es aus dem Liberalen heraus:

    "Für mich ist das so, wie eine Art Zinssozialismus."

    Jedenfalls setzt die Aufrechterhaltung des Absatzmarktes für deutsche Exportprodukte, gemeint ist wieder die EU, die Stabilität der Finanzbeziehungen voraus, und deshalb werden gerade die europäischen Parlamente angetrieben, bis Ende September Steuermittel in Höhe von 440 Milliarden Euro zu bewilligen, damit, so der zuständige EU-Kommissar Rehn, die Märkte beruhigt werden, die er gleichzeitig übrigens für hysterisch hält. Nun aber hat der Bundestagspräsident wissen lassen, er fühle sich von der Exekutive in Sachen teure Hysteriebekämpfung gedrängt und das missfalle ihm. Linksparteichefin Gesine Lötzsch unterstützt Lammert bereitwillig und mit Freuden. Und zwar ausdrücklich, wie sie sagt.

    "Es kann nicht sein, dass der Bundestag von der Bundesregierung quasi wieder überrumpelt wird und durch ein Verfahren getrieben wird. Ich erinnere: 480 Milliarden-Rettungsschirm, das ist ja deutlich mehr als der Bundeshaushalt."

    Nur damit niemand durcheinander kommt. Der-480 Milliarden-Rettungsschirm ist der alte nationale Schirm für die Banken. Für den Euro-Rettungsschirm werden nun 440 Milliarden Euro gebraucht.

    Frank Schäffler, der Querdenker aus der FDP-Bundestagsfraktion, sieht angesichts solcher Summen und angesichts der bedrohlichen Dimension des Finanzproblems. dass sich die Legislative von der Exekutive unterbuttern lässt.

    "Das Parlament muss aufpassen, dass es in dieser wichtigen, historischen Frage nicht den Anschluss verliert und dass es nicht rein administratives Handeln ist, sondern dass es hier auch um die Grundfesten unserer Demokratie geht. Da ist aber das Parlament selbst gefragt. Denn das Parlament hat es in der Hand, wie lang ein Gesetzgebungsverfahren dauert, wie es eingebunden sein will."

    Das setzt zwei Dinge voraus. Erstens, dass die Regierung anständig informiert und dass zweitens die Abgeordneten dazu in der Lage sind, die zu entscheidenden Probleme zu verstehen. Während Frank Schäffler meint, so kompliziert sind die Finanzangelegenheiten nun auch wieder nicht, äußert sich Joachim Poß, SPD-Fraktionsvize und seit 1980 im deutschen Parlament, etwas vorsichtiger. Seine nur mäßig beruhigende Botschaft lautet:

    "Die Menschen müssen sich zu einem guten Teil darauf verlassen können, dass die von ihnen gewählten Politikerinnen und Politiker mit der gebotenen Sachkenntnis und mit der Ernsthaftigkeit, die man erwarten kann, in dem Abwägungsprozess das möglichst Richtige tun."

    Im Zweifelsfall müsste das bedeuten: Wenn die Bundestagsabgeordneten mehrheitlich zu dem Schluss kommen, dass zum Beispiel ein weiteres Rettungspaket falsch ist, dann sollte sich das auch bei der Abstimmung bemerkbar machen. Der FDP-Parlamentarier Frank Schäffler glaubt an die Möglichkeit, dass CDU, CSU und FDP diesmal im Bundestag keine eigene Mehrheit schaffen. Aber: Es war Schäffler, der bei der Griechenlandrettung erleben musste, wie wenig ein einzelner Abweichler ausrichten kann. Als guter Demokrat kämpft er um die Rechte des Parlaments. Als guter Liberaler glaubt er übrigens weiter an die Heilkraft der Märkte. Allerdings gibt er zu, dass die Finanzwirtschaft derzeit die Politik vor sich hertreibt.

    "Ja, das ist zurzeit so. Aber von dieser Logik, das ist ja mein Grundanliegen, muss man sich lösen. Man darf sich nicht erpressbar machen. Mit dem Argument, die Finanzwelt würde zusammenbrechen, wenn man nicht mehr hilft. Denn wenn man sich dieser Logik unterordnet, dann macht man sich erpressbar und dann muss man immer helfen. "

    Gegenwärtig ist es aber so:

    "Banken können sich aktuell für anderthalb Prozent bei der EZB Geld leihen und können es in griechische Staatsanleihen anlegen für eine Rendite von 18, 20 Prozent und das ohne Risiko, weil die Staatengemeinschaft garantiert hat, dass Griechenland nicht zum Insolvenzfall werden soll."

    Anders ausgedrückt: vielleicht hat der Bundestag der Rettung Griechenlands zugestimmt. Ganz sicher aber hat er Ja zur Mästung einiger Banken gesagt. Doch das EU-Problem liegt ganz offensichtlich noch viel tiefer. Der Joachim Poß, SPD, drückt es so aus:

    "Wir haben die Spannungsmomente, die sich aus der unterschiedlichen Wirtschaftskraft ergeben, nicht ausreichend mitberücksichtigt."

    Für den Bundestag gilt das ganz sicher. Die deutsche Wirtschaft hat von den Ungleichgewichten stets profitiert. Daran hat sich nichts geändert.