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Zwischen grüner Politik und Sparzwängen

Seit der letzten Landtagswahl in Baden-Württemberg regiert mit Winfried Kretschmann ein grüner Ministerpräsident im Ländle. Doch gerade wenn es um ökologische Zielsetzungen geht, sind sich die neue Regierung und Umweltschützer nicht immer grün.

Von Thomas Wagner | 09.01.2012
    Baden-Württemberg war über viele Jahrzehnte ein Hort der Beständigkeit - zumindest politisch gesehen: Die CDU stellte die Landesregierung, mal mit, mal ohne FDP.

    Ein großer Teil des Stroms kam aus Atomkraft, für umstrittene Großprojekte wie Stuttgart 21 gab es stabile und sichere Rahmenbedingungen. Seit der letzten Landtagswahl ist es vorbei mit der Beständigkeit, heute heißt der Ministerpräsident Winfried Kretschmann, er ist Mitglied der Grünen und regiert in Koalition mit der SPD. Erfüllen sich jetzt alle Blütenträume der Umweltschützer? Auf jeden Fall gab es neben den Fachforen ein übergreifendes Thema bei den Bodensee-Naturschutztagen, der größten Umwelt-Fortbildungsveranstaltung in Deutschland. Thomas Wagner hat sie für uns besucht.

    "Der berühmte Satz ist: Weniger Autos sind besser als mehr ... "

    Bei den 640 ehrenamtlichen Naturschützern in Radolfzell bekommt der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann für solche Äußerungen zwar freundlichen Beifall. Anderen Orts dagegen reagieren die Zuhörer mit Unverständnis, häufig auch mit Ablehnung.

    "Es zeigt auch, dass darin ein Interessenkonflikt zum Ausdruck kommt: Was macht ein grüner Ministerpräsident in einem Automobil-Land, in dem jeder sechste Arbeitsplatz von der Automobilindustrie abhängt? Das ist natürlich eine wichtige Frage, der ich mich stellen muss."

    Ein Beispiel dafür, dass der Job eines Regierungschefs der Grünen weitaus schwieriger ist als der eines grünen Oppositionspolitikers, wenn es um ökologische Zielsetzungen in der Politik geht. Ein anderes Beispiel ist die Stärkung der Windenergie, die gerade in Baden-Württemberg sehr stiefmütterlich behandelt worden ist.

    "Wir müssen 1000 Anlagen etwa im Drei-Megawatt-Bereich in die Landschaft stellen, um das erreichen zu können. Und es ist klar, dass solches ohne Konflikte nicht möglich ist."

    Die aber flackern überall dort im Lande auf, wo sich die Fachleute bereits Standorte für Windräder ausgeguckt haben – und gegen solche Anlagen werden durchaus auch ökologische Argumente ins Feld geführt: Von der drohenden ‘Verspargelung der Landschaft’ ist die Rede, aber durchaus auch von der Bedrohung seltener Vogelarten. Hier steht Öko gegen Öko – und dazwischen muss der grüne Ministerpräsident entscheiden:

    "Das heißt, dass ganz globale Argumente gegen die Windkraft, dass sie eben die Landschaft verschandeln, die können wir erst mal nicht so nehmen, dass wir sagen: Gut, das stimmt, also lassen wir das. Also es ist unvermeidlich, wenn wir das machen wollen, dass wir die Landschaft in diesem Sinne verschandeln müssen. Daran führt kein Weg vorbei."

    Und schließlich steht die Forderung der Naturschutzverbände im Raum, die Mittel für den Naturschutz in Baden-Württemberg von derzeit 30 Millionen Euro auf 60 Millionen Euro zu verdoppeln. Mehr Geld gibt’s zwar schon, sagt Winfried Kretschmann, schiebt aber ein dezentes ‘gemach, gemach’ hinterher:

    "Auch das gehört zur Nachhaltigkeit: Ich muss bis 2020 einen ausgeglichenen Haushalt nachweisen. Die Schuldenbremse steht im Grundgesetz. Das sind knapp zehn Prozent des Haushaltes. Das heißt: Wir müssen bis zum Jahr 2030 über 300 Millionen strukturell einsparen. In diesem Rahmen haben wir die Naturschutzmittel erhöht, die Stellen erhöht. Sie waren da nicht zufrieden, weil sie mehr erwartet haben."

    Stimmt! So sehr die beiden baden-württembergischen Naturschutzverbände BUND und NABU den Einstieg in die Öko-Wende gutheißen, so sehr machen sie auch klar: Wenn’s ums Geld geht, werden sie zukünftig die Landesregierung ganz genau an ihren Versprechungen vor der Wahl erinnern, nämlich

    "… den Naturschutzhaushalt bis zum Ende der Legislaturperiode mindestens zu verdoppeln. Das haben SPD und Grüne vor der Wahl zugesagt. Bislang haben wir 30 Millionen Euro für den Naturschutz, obwohl die Aufgaben für den Naturschutz und die Naturschutzverwaltung deutlich angestiegen sind."

    So André Baumann, Landesvorsitzender des Nabu-Baden-Württemberg. Ansonsten allerdings sei der Einstieg in die Öko-Wende geglückt: Ausdrücklich loben die Naturschutzverbände das Projekt ‘Nationalpark Nordschwarzwald’, die Einstellung von Nachhaltigkeits-Beauftragen für alle Ministerien, die verstärkte Förderung der ökologischen Landwirtschaft und die Ankündigung, bis 2012 ein eigenes Landesklimaschutzgesetz zu verabschieden. Aber es gebe eben auch Defizite, so Brigitte Dahlbender, baden-württembergische Landesvorsitzende des BUND:

    "Was ich vermisst habe, sind klare Aussagen zur Energieeffizienz und zur Energieeinsparung, vor allem Dingen im Bereich Verkehr. Da ist er mir zu blass geblieben. Wir werden unsere Klimaschutzziele nicht erreichen, wenn wir nicht den Energieverbrauch erheblich senken. Das heißt: Die neue Landesregierung hat noch Hausaufgaben zu machen, wie sie den CO-2-Ausstoß reduzieren und vor allem den Güterverkehr auf die Schiene bringen will."

    Kurzum: Trotz aller Vorschusslorbeeren bleiben die Naturschutzverbände im grün-rot regierten Baden-Württemberg wachsam. Sie werden ihrem "Wunsch-Ministerpräsidenten" bei Bedarf in die Pflicht nehmen.

    "Das heißt: In vier Jahren, am Ende der Legislaturperiode, werden wir ihn wieder zu diesen Naturschutztagen einladen. Und dann muss er unter Beweis gestellt haben, dass er seinen Ankündigungen und seinen Zielen konkrete Taten hat folgen lassen. Und daran werden wir ihn und seine Landesregierung messen."