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Zwischen Himmel und Erde

Im mittelalterlichen Esslingen arbeiteten Stadt und Klöster eng zusammen. Den Klöstern ging es dabei vor Allem um ihren Wein-Nachschub aus dem Neckartal, aber auch um die Repräsentation ihres Ordens. Wie die Zusammenarbeit und der gegenseitige Nutzen von Stadt und Klöstern im Mittelalter aussahen, darüber sprachen Historiker auf einer Tagung in Esslingen.

Von Cajo Kutzbach |
    Bedeutende Klostergründungen fanden schon im achten Jahrhundert statt. Diese alten Klöster waren häufig Selbstversorger und nicht auf Städte angewiesen. Auf ihren Ländereien erzeugten sie Getreide, Fleisch, Früchte und Holz. Schenkungen und Erbschaften mehrten den Reichtum der Klöster im Laufe der Jahrhunderte.

    Ihr Reichtum und ihre Macht stießen Leute wie Franz von Assisi ab, der darauf hin im 13. Jahrhundert einen der damals neuen Bettelorden gründete. Bettelorden waren nicht mehr autark und brauchten die Stadt, erklärt Ellen Widder, Professorin für Mittelalterliche Geschichte der Universität Tübingen:

    "Das sind Ordensformen, die sehr eng auf die Stadt hin ausgerichtet sind, die von ihrem Anspruch her sich der Seelsorge dieser Stadtgemeinden, der Menschen, die sich in diesen Städten einfinden, die von außen dort hinziehen, der Seelsorge dieser Städte widmen."

    Die Bettelordensklöster erhielten häufig Land am Rand von neuen Stadtgebieten zugewiesen, sozusagen als Pioniersiedler und zugleich religiöse Infrastruktur. Damit trugen die Bettelorden ganz wesentlich zu den vielen im Mittelalter entstandenen Städten bei.

    So wie in Bern, Burgdorf oder Freiburg im Breisgau, siedelten sich auch in Esslingen am Neckar Klöster an - ein sicheres Zeichen für eine erblühende Stadt. Dr. Joachim Halbekann, Leiter des Esslinger Stadtarchivs:

    "Es sind Bettelordensklöster, also Klöster ohne feste Einnahmen, die sich tatsächlich darüber finanziert haben, dass sie Zuwendungen von den Gläubigen bekommen haben. Und die haben schon sehr genau darauf geachtet, dass sie an Orte gehen, wo es eine ökonomische Substanz gibt, weil sonst ein solches Kloster einfach nicht überleben kann."

    Klöster und Städte brauchten einander. Außer den Klöstern selbst entstanden auch Pfleghöfe. Das waren Klosterniederlassungen, die dem Einsammeln von Abgaben, aber auch dem Handel mit Klosterprodukten dienten. Da Esslingen im Krieg nicht zerbombt wurde, stehen die mächtigen Gebäude der ehemaligen Pfleghöfe von Konstanz und Speyer heute noch nahe dem Markt. Insgesamt elf solche Pfleghöfe prägten das Bild Esslingens. Dort hatten es die Klöster vor Allem auf Weinbau und Handel abgesehen, die den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt verursachten.
    Dass die Stadtpfarrei die neue Konkurrenz nicht gerne sah, liegt nahe, aber die Bürger wollten die Bettelorden:

    "Weil sie sich von ihnen eine ganze Reihe von Vorteilen versprachen und auch bereit waren, diese neuen Orden zu fördern. Und sei es über die Bereitstellung von Grundstücken, sei es über die Kooperation und sei es über ein hohes Stiftungsaufkommen an die Klöster, was diese Bettelorden selber - wie der Name ja auch schon sagte, sie wollten eigentlich von ihrer Hände Arbeit leben, vom Bettel, von der praktischen Tätigkeit am Nächsten - in sagen wir mal systemische Problem brachte, indem sie auf einmal mit Stiftungen überhäuft wurden, was der Mentalität der Zeit entsprach. Also man wollte für sein Seelenheil auch materiell ein Gegengewicht bieten: also von daher Probleme, aber auch ein Zeichen, wie stark akzeptiert diese neuen Formen waren."

    Dabei profitierten die im Mittelalter entstehenden Städte auch von den Klöstern. Dr. Iris Holzwart-Schäfer, die an der Universität Stuttgart Mittelalterliche Geschichte lehrt, hat Esslingens Beziehungen zu den Klöstern erforscht:

    "Abgesehen jetzt vom Seelsorgerlichen, gab es auch kommunale Funktionen, die sich vor allem für die Dominikaner und Franziskaner nachweisen lassen. Also zum Beispiel, dass das Kloster in der früheren Zeit, als es noch keine kommunalen Bauten gab, Sitz von Ratssitzungen und sonstigen Versammlungen, Gerichtsversammlungen war, dass diese Klöster immer wieder bedeutende Gäste bis hin zu Königen beherbergt haben."

    Das Gebot der Armut wurde in den Frauenklöstern wesentlich weniger eng ausgelegt, wie in den Männerklöstern. Im Gegenteil: Urkunden belegen den Besitz oder Käufe einzelner Nonnen, die ihrerseits auch dem Kloster Geld liehen, solange dafür an ihrem Jahrestag entsprechend für sie gebetet würde. Es gab "Pfründe", die für den persönlichen Unterhalt von Nonnen aufgewendet werden mussten. Sie konnten sogar ihren Besitz vererben.

    Das hatte allerdings auch Nachteile: Reichere Nonnen brachten Neid und Missgunst in die Klostermauern. Das Konzil von Konstanz beendete im Spätmittelalter diese großzügige Reglung. Den Frauenklöster blieb - entweder den persönlichen Reichtum abschaffen - oder zum Stift werden, für das die Regeln weniger streng waren.

    Nicht nur bei solchen Geschäften hatten Bürger und Bettelorden viel miteinander zu tun:

    "Man sieht ja, dass die Beziehungen wirklich sehr eng waren; familiäre Beziehungen, die da bestehen durch Mitglieder, dann eben auch durch Leute, die immer wieder sich an ein Kloster wenden, um da Almosen zu geben, zu stiften, da auch dann zum Teil bestattet zu werden."

    Die Zusammenarbeit von Städten und Klöstern war meist für beide wirtschaftlich vorteilhaft und förderte zunächst das Wachstum der Städte im Mittelalter.

    In St. Gallen allerdings führte die Geschäftstüchtigkeit der Kaufleute zum Niedergang des Klosters, wie Privatdozent Dr. Stefan Sonderegger, der Stadtarchivar von St. Gallen an Hand der Buchhaltungen nachweisen konnte:

    "Die konnten schreiben, die konnten rechnen, die wussten das im Alltag. Die waren auch gewohnt, etwas zu kontrollieren, auch zu regieren. Und das drückt sich auch aus in diesem schriftlichen Nachlass, den wir im Stadtarchiv haben. Und verglichen mit dem, was ich bis jetzt weiß, ist das Klosterarchiv, was dieses Verwaltungsschriftgut angeht, nicht auf dem gleichen hohen Stand. Also die hatten offenbar nicht das gleiche Know-how, wie die Städter."

    Obwohl das Kloster das Umland beherrschte, schlossen die Städter Lieferverträge mit den Bauern ringsum, erzeugten dadurch eine wirtschaftliche Abhängigkeit und unterliefen so die Macht des Klosters. Anderswo führten die Reformation, Pest oder Krieg zu einem Ende der mittelalterlichen Blüte von Klöstern und Städten.

    Die Ergebnisse der Forschung zu "Klöstern und Pfleghöfen in Esslingen" werden im Herbst in einer Ausstellung samt Katalog vorgestellt. Ellen Widder:

    "Wir hoffen natürlich, dass die Ergebnisse der Ausstellung auch so geartet sind, dass sie, sagen wir mal, in gewisser Weise verallgemeinerbar sind, oder dass Ergebnisse zu Tage treten, die man vielleicht auch auf andere Städte anwenden kann. Esslingen ist im Grund genommen ein wunderbares Beispiel, weil es eine sehr bedeutende Stadt im Mittelalter war, wo sich sehr viele Phänomene zeigen in diesem symbiotischen Verhältnis zwischen Stadt, Wirtschaft und Bettelorden - und eine Stadt, die eine sehr gute Archivüberlieferung hat. Von daher sich hier Möglichkeiten bieten, die vielleicht woanders gar nicht vorhanden sind."