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Zwischen Höhenrausch und viel Tiefgang

Der Schwarzwald war bislang eher für Mountainbiker geeignet, als für Radwanderer. Doch jetzt gibt es den Südschwarzwald-Radweg. Eine Rundtour mit etwa 250 Km Länge. Auch für den Wanderer gibt es Neues.

Von Eva Firzlaff |
    Der legendäre Westweg, auf dem man den ganzen Schwarzwald erwandern kann – von Pforzheim bis runter nach Basel – der hat Konkurrenz bekommen: den Schluchtensteig, ebenfalls im Süd-Schwarzwald. 120 Km lang, geht man in der Wutach-Schlucht bergauf, dann oben über die Berge und in der Wehra-Schlucht wieder abwärts.

    Eva Firzlaff war zu Fuß und mit dem Rad unterwegs im Süd-Schwarzwald – außen rum und mitten durch.


    Als Einstieg in den Südschwarzwald-Radweg bietet sich Freiburg an. Meist am Ufer der Dreisam geht es bis Kirchzarten. Die Regionalbahn bringt uns bergauf nach Hinterzarten. Von dort fahren wir etwa 50 Km oben auf der Höhe, mit leichtem Auf und Ab, zwischen 800 und 900 Meter Höhe. Bald erreichen wir Titisee. Der Ort mit dem berühmten See steht auf der Besuchsliste von Amerikanern und Japanern ganz oben, so wie Neuschwanstein. Wir drängeln uns durch die Ladenstraße. Roland Schöttle vom Naturpark Südschwarzwald nennt sie Millionenmeile.

    "Dort ist es so, dass einerseits ganz, ganz zahlreich fast Millionen von Menschen entlanggehen. Und andererseits sagt man aber auch, dass es so eine Goldgrube ist, dass diejenigen, die dort etwas zu verkaufen haben, auch Millionen verdienen. Deshalb heißt es eigentlich Millionenmeile."

    Tinnef, Kuckucksuhren ohne Ende, Schwarzwälder Schinken, Weihnachtsschmuck im Sommer ...
    Wir fahren weite Strecken auf dem Bähnle-Radweg. Eine frühere Bahntrasse durch den Wald wurde zum Radweg. Unsere Lokomotiven kommen schon mal ins Schnaufen.
    Doch bald rollen wir wieder fröhlich abwärts.
    Und rein nach Bonndorf, zur Narrenstube im Schloss. Die zeigt eine Unmenge handgeschnitzter Figuren mit Fastnachtskostüm und Maske. Hier feiert man nicht Karneval, sondern Fastnacht.

    "Vor dem Fasten wollte man sich einfach noch mal richtig austoben und satt essen, und da kommt die Fastnacht her. 'Carne vale' übersetzt heißt auch nichts anderes als fleischlos. Die Zeit ist dieselbe und der Ursprung auch. Doch bei uns wird einfach die handgeschnitzte Holzmaske getragen. Wir haben keine Prunksitzungen und keine großen Wagen, wie in Köln, Düsseldorf, Mainz. Wir haben einfach unsere Straßenfastnacht."

    In den Dörfern werden vererbt die handgeschnitzten Holzmasken– Unholde, Hexen, Waldgeister. Auch die Kostüme sind aufwendige Kunstwerke. Hinter vielen steckt eine Geschichte. Veronika Rendler zeigt den Bonndorfer Pflaumenschlucker.

    "Da sagt man: Vor vielen hundert Jahren kam die Pflaume aus Asien, so wie die Kartoffel aus Amerika kam. Die Bonndorfer wussten nicht, wie man die Pflaume isst, und so schluckten sie die Pflaume mitsamt dem Stein runter. Daher der Name Pflumeschlucker. Und so hat jetzt jede handgeschnitzte Holzmaske die blaue Pflaume zwischen den Zähnen."

    Aus einer Truhe holt sie einen großen Ledergurt mit riesigen Schellen.

    "Der Pflumeschlucker trägt zwei solcher Lederriemen. Und da sind 22 gegossene Bronzerollen dran. Ein Riemen mit 11 Rollen wiegt 10 Kg, 2 Riemen 20 Kg. Die werden so diagonal am Körper getragen. Und dann macht unser Pflumeschlucker einen speziellen Narrenschritt."

    Damit es schön scheppert.
    Ab Bonndorf geht es dann lange bergab. Dann am Ostrand des Schwarzwaldes im breiten Wutach-Tal bis an den Rhein und weiter am Rhein. Doch wer in Waldshut unten am Fluss bleibt, der verpasst was. Also schieben wir am steilen Hang hoch in die mittelalterliche Altstadt. Klaus Nieke:

    "Waldshut hatte Gott sei Dank sehr wenig Stadtbrände. Das heißt, es gibt noch sehr viele alte Häuser, die 400, 500 Jahre alt sind, und ein sehr homogenes Stadtbild. Hier sticht ganz besonders die Kaiserstraße hervor mit noch zwei richtig alten Stadttortürmen, wo es auf der einen Seite rein und auf der anderen Seite raus geht. Früher gab es keine Hausnummern, deswegen haben die Bürgerhäuser alle Bilder, Schwan, Pfau usw."

    Auf dem anderen Rhein-Ufer ist die Schweiz. Die Grenzorte auf deutschem Ufer haben ein besonderes Flair: Waldshut, Laufenburg, Bad Säckingen mit seinem berühmten Trompeter.
    Anselm etwa, König im Kostüm von 1600, spaziert mit Gästen durch die historische Altstadt und erzählt seine Geschichte. Wie er sich vor dem Fridolinsmünster unsterblich verliebt. Der Dichter der Romantik Josef Viktor von Scheffel, selbst des Öfteren unglücklich verliebt, hat wohl alle seine Gefühle in den Trompeter gedichtet und vor 150 Jahren mit dem Buch die Volksseele getroffen. Wir kommen zur Holzbrücke. Sie führt über den Rhein, rüber aufs Schweizer Ufer und ist die längste gedeckte Holzbrücke Europas, ein bisschen länger als die von Luzern. Und der Trompeter erinnert sich ...

    "Da war ein Fischernachen, den habe ich mir ausgeliehen, und bin mit dem Fischernachen in der Vollmondnacht über die silbrigen Wellen des Rheines geglitten, unter der alten Holzbrücke hindurch. Bis ich schließlich an irgend so einer Insel kopfüber im Gebüsch landete, verliebt und verwirrt, wie ich nun mal war. Und dort habe ich meine schönsten Liebeslieder gespielt, in der Hoffnung, dass die Blondgelockte mit dem weißen Schleier ja vielleicht auch nicht schlafen könne und mich erhöre."

    Das Fräulein erhört ihn wohl, doch ihr Vater, der Graf, wünscht einen standesgemäßen Schwiegersohn. Gebrochenen Herzens spielt der Trompeter sein berühmtes Abschiedslied "behüt dich Gott" und geht von dannen.
    Später greift der Papst ein, adelt den Trompeter, und der kriegt seine Liebste.

    Wir überqueren bald den Rhein und nähern uns Basel. Die Orte vor Basel sind mit Gewerbe- und Wohngebieten zu einem großen Ganzen zusammengewachsen, haben sich dazwischen aber ihre historischen Dörfer mit den alten Bauern-Höfen erhalten. Und es gibt Augst. Hier grenzen moderne Eigenheime ans alte Römer-Theater.

    "Die Sitzreihen gingen ursprünglich weiter hoch bis fast zu den heutigen Baumwipfeln. Was man jetzt sieht, ist nur ein kleiner Teil. Diese Aufführungen waren auch gratis, man hat keinen Eintritt bezahlt. Die Spiele wurden gesponsert von Stadträten und reichen Einwohnern. Und deshalb war das Theater auch immer voll. Hier hatten schätzungsweise 10.000 Personen Platz."

    So viele Einwohner hatte die Stadt Augusta Raurica zu ihrer Blüte im 2. und 3. Jahrhundert. Im Nachbau einer Römer-Villa zeigt Rudolf Suter ein großes Tafelservice, schwere, zum Teil aufwendig gearbeitete Silberplatten.

    "Dieser Schatz wurde erst im Winter 1961/62 gefunden. Und zwar hat ein Bagger bei Bauarbeiten den ganzen Schatz mit der Schaufel gehoben, hat aber nicht gesehen, was er da auf der Schaufel hatte, hat den Schatz wieder abgeladen und ist darüber gefahren. Also diese Zerstörungen stammen vom Bagger. Diese Platte wiegt fast sieben Kilo, das ist die schwerste Silberplatte, die man aus römischer Zeit kennt."

    Der Südschwarzwald-Radweg ist sehr gut ausgeschildert. Selbst durch die Großstadt radeln wir ohne Probleme, machen einen kleinen Schlenker nach Frankreich und kommen bei Weil am Rhein wieder nach Deutschland. Nun gibt es den Rhein doppelt, den Kanal mit etlichen Staustufen für die Schiffe und daneben das natürliche Flussbett. Der Radweg verläuft etliche Kilometer auf dem Deich mit Blick auf den plätschernden Fluss.

    Wir verlassen den Rhein und radeln durchs Markgräfler Land. Zwischen Rhein und Schwarzwald wächst hier alles, was es nur gibt. Getreide, Spargel, Erdbeeren, Wein … Jedes Stück Acker oder Weinberg wird genutzt, die Dörfer pflegen ihre Tradition. Nach etwa 250 Km landen wir wieder in Freiburg. Das war außen rum – der Südschwarzwald-Radweg. Nun geht es mitten durch. Allerdings zu Fuß. Auf dem Schluchtensteig. 120 Km lang, soll er jüngere Wanderer in den Schwarzwald locken und schafft es auch.

    "Weil der Schluchtensteig eine anspruchsvolle Tour ist. Wir bewegen uns hier zwischen 1200 und 300 Höhenmetern. Das heißt, es geht immer wieder auf und ab. Teilweise sind die Wege eng. Sie gehen auch mal an den Felsen entlang. Man kann auch mal einen Tiefblick riskieren. Trotzdem eignet sich der Weg eigentlich für jedermann, wenn er die entsprechende Wanderausrüstung hat. Das geht los bei guten Schuhen und es rentiert sich auch, wenn man Stöcke dabei hat."

    Denn es wird auch mal glitschig. Schwarzwald ist nicht gleich Schwarzwald. Er hat eine Nord-Süd-Länge von 300 Km, da verwundert es nicht, dass es Unterschiede gibt.

    "Der Naturpark Südschwarzwald zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er sehr viele offene Landschaften hat, Weidelandschaften mit Wiesen, Weiden, Kühen. Und auf des Berges Spitze sozusagen steht der Wald. Im Nordschwarzwald ist es anders. Der ist sehr geprägt durch geschlossene Waldungen. Teilweise 90 Prozent sind bewaldet. Im Norden mehr der Wald im Süden mehr die offene Landschaft. Auch die Fernblicke."

    Und dazu kommen die Schluchten, die dem Wanderweg den Namen geben.

    "Vor 10.000 Jahren war dieses Feldberg-Gebiet von einem etwa 500 Meter hohen Gletscher überzogen. Und wir haben heute noch mit die aktivsten Schluchten-Flüsse hier bei uns. Zum Beispiel die Wutach, die sich ganz tief eingefressen hat, die Donau angezapft hat und heute das Wasser zum Rhein ableitet."

    Start ist am Ostrand des Schwarzwaldes, in Stühlingen an der Wutach. Doch wir steigen anstelle des ersten Wandertages in die Sauschwänzlebahn und fahren bis Blumberg. Diese Bahn wurde gebaut fürs kaiserliche Militär um 1890.

    "Damit wollte man die beiden Bundesfestungen Ulm an der Donau und Belfort im besetzten südlichen Elsaß verbinden. 'Dummerweise' war der Schweizer Kanton Schaffhausen im Weg, den musste man umgehen, daher auch der Name strategische Umgehungsbahn. Und dummerweise war zwischen Blumberg-Zollhaus und Weizen Bahnhof ein Höhenunterschied von 231 Höhenmetern zu überwinden auf einer Luftdistanz von nur neun Km."

    Den Anstieg hätten die Lokomotiven wohl noch geschafft. Das Problem war die Talfahrt. Es gab noch keine gebremsten Waggons, und man hatte Angst, dass die schweren Militärzüge nicht zu halten wären. Um das Gefälle zu verringern, wurde die Strecke mit Schleifen verlängert. Wurden Tunnel gebaut, in denen der Zug im Kreis fährt und ein paar Meter unter oder über der Einfahrt raus kommt. Schnell schließt Dietrich Reimer vor einem Tunnel das Abteil-Fenster.
    Die Bahn wurde nie ernsthaft militärisch gebraucht und ist jetzt Museumsbahn.

    "Wir sind seit vielen Jahren auch ein technisches Kulturdenkmal der Bundesrepublik Deutschland, gleichgestellt dem Reichstag in Berlin oder dem Kölner Dom."

    Etwas Besonderes sind auch die Brücken, über die wir fahren, die man auch vom Wanderweg aus sieht.

    "Die Brücken wurden nur aus Stahl gebaut. Das deutsche Militär, das ja Auftraggeber dieser Strecke war, hat gesehen, dass in Frankreich die Weltausstellung war und in Paris der Eiffelturm errichtet wurde. Dieser Eiffelturm wurde gebaut aus sogenanntem Schweißeisen im Niet-Verfahren."

    Und genauso wurden auch die Brücken genietet.
    Von Blumberg wandern wir 30 Km in der Wutachschlucht aufwärts. Ein schmaler Weg oft direkt am Wasser. Über Stock und Stein, auch mal weit hoch am Felsen mit Blick runter in die Schlucht. So wie beim Räuberschlössle.

    "Wir sind so 80 Meter über der Wutach. Da geht es senkrecht runter. Senkrecht deshalb, weil wir auf einem Porphyr-Stutzen stehen. Das heißt, wir stehen in einem alten Vulkankrater. Und dieses Vulkangestein ist ja sehr hart. Deshalb fließt die Wutach direkt an diesem Kegel vorbei, hat ihn aber nicht wegerodieren können."

    Hier war mal eine Burg, in der auch Räuber hausten. Deshalb Räuberschlössle.
    Unten am Wasser zeigt Wutach-Ranger Martin Schwenninger auf einen schwarzen Vogel: sieht aus wie eine Amsel, aber mit weißem Kehlfleck, die Wasseramsel.

    "Vor uns sehen wir Granitsteine aus dem Wasser ragen, die sind auch ein bisschen bekotet. Also da sitzt die normalerweise drauf und dann springt sie von diesem Stein in das flache Wasser der Wutach, taucht da und dreht im Tauchen kleine Steine um. Und unter diesen Steinen sind Insektenlarven. Von denen ernährt sie sich dann."

    Von der Wutach-Schlucht geht es in die Haslachklamm, an deren Ende liegt Lenzkirch. Ob wir dann oben sind?

    "Noch lange nicht. In Lenzkirch beginnt die Kletterei. Dann geht es noch einen Berg hoch und dann leicht runter in Richtung Schluchsee, Oberfischbach. Wir machen da noch ein paar Höhenmeter. Da werden wir noch anständig ins Schwitzen kommen."

    Die Wutach-Schlucht ist die längste und spektakulärste auf dem Schluchtensteig. Aber auch sonst vergeht kein Tag ohne Schlucht.
    Moosbepelzte dicke Steine, Felsbrocken, um die das Wasser tanzt, gurgelt, schäumt. Umgestürzte Bäume liegen quer. Lange Moos-Bärte hängen an alten Bäumen.

    Jeder, der nach St. Blasien kommt, wundert sich: Warum wurde hier im Wald so eine riesige Kirche gebaut? Die viertgrößte Kirchenkuppel Europas. Gebaut 1770, da war das Kloster eine Macht. Domführer Thomas Mutter:

    "Der Fürstabt hatte in Rom das Pantheon besucht. Pantheon aus dem Altgriechischen übersetzt heißt: allen Götter gewidmet. Und er war der Meinung, diese Idee müsste sich auf das Christliche übertragen lassen. Und so hat er hier das christliche Pantheon gebaut, einen Tempel für alle Heiligen der christlichen Kirche."

    Gebaut im Barock, doch innen fehlt das Gold. Alles ist schlicht und weiß.

    "Als der Fürstabt mit dem Bau dieser Kirche beginnt, gibt er seinem Architekten einen seltsamen Auftrag. Er sagt zu ihm: Ich möchte eine Kirche, in der nichts den Besucher (wahrscheinlich hat er damals gesagt: den Beter) ablenkt, stört."

    Verwirklicht wurde es erst 200 Jahre später. Vorher gab es doch Barock-Prunk. Denn dieses Schlichte wäre im 18. Jahrhundert wohl nicht akzeptiert worden.
    Der Schluchtensteig führt durch ganz unterschiedliche Landschaften: Schluchten, Berge, Wälder, weiter Blick über Felder. Von Wehr bringen uns Bus und Bahn zurück an den Ausgangspunkt. Mit Gästekarte sogar kostenlos und in zwei Stunden – gelaufen sind wir fünf Tage.

    www.naturpark-suedschwarzwald.de