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Zwischen Hoffen und Abwarten

Die Kurden und die Schiiten im Irak verfolgen und erleiden den Krieg gegen Saddam Hussein mit sehr gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite sind sie seit Jahren die Leidtragenden der innenpolitischen Unterdrückungspolitik Saddam Husseins, auf der anderen Seite haben sie erst vor zwölf Jahren erfahren, dass die Staatengemeinschaft, vor allem die USA, sie nach dem damaligen Golf-Krieg schnell wieder ihrem Schicksal überlassen hat. Die Schiiten sind der größere Teil des islamischen Bevölkerung des Irak, aber sie werden von den staatlichen Institutionen seit Amtsantritt Saddam Husseins ferngehalten. Die USA hofften, dass diese Geschichte der Unterdrückung nun dazu führt, dass die Schiiten den Einmarsch der Briten und US-Amerikaner begrüßen und unterstützen würden. Sie verhalten sich aber sehr passiv, wohl auch deshalb, weil sie nicht wissen, wie der Krieg ausgeht und ob danach Saddam Hussein sie weiter unterdrücken kann. Die Geschichte und die Lage der Schiiten im Irak analysiert Khalid Al-Maaly.

Khalid Al-Maaly, Björn Blaschke und Semiran Kaya |
    Als nach Ende des Golf-Krieges 1991 ein Aufstand im Süden des Irak ausbrach, fand die schweigende und unterdrückte Mehrheit der Schiiten endlich eine Gelegenheit, ihrem aufgestauten Unmut Luft zu machen. Damals kehrten Soldaten der irakischen Armee, die sich seinerzeit sehr stark auf die Schiiten abstützte, in den Südirak zurück. Jahrzehntelager Unmut über die Entwicklung machte sich in jenen Tagen Luft.

    Die irakischen Schiiten machen die Mehrheit der Bevölkerung im Zweistromland aus, obwohl oft von ihnen als Minderheit die Rede ist. Nach westlichen Quellen sind es zwischen 55 und 60 Prozent der Bevölkerung. Sie leben vor allem im Südirak, aber auch in Bagdad gibt es eine große schiitische Gruppe.

    Die Menschen werben für Chancengleichheit in allen Lebensbereichen. Darin unterscheiden sie sich nicht vom unterdrückten Rest der Bevölkerung. Allerdings schauen sie zurück auf eine jahrzehntelange Geschichte einer systematischen Diskriminierung. Zunächst unter osmanischer Herrschaft, später unter britischem Mandat, während der Herrschaft des Königs und nach Gründung der Republik - immer mussten sie erleben, dass sie aufgrund ihrer Konfession benachteiligt wurden. In der Staatsbürokratie, im Bildungswesen, in Militärakademien und sogar in der Baath-Partei-Elite sind sie deutlich unterproportional vertreten.

    Nichtsdestoweniger oder gerade deswegen engagierten sich die Schiiten aktiv in den wichtigsten irakischen Parteien, sei es etwa die kommunistische Partei, solche mit national-arabischer und säkularer Orientierung wie etwa die Baath-Partei und Parteien mit religiöser Ausrichtung, wie Hizb ad-Dawa. Vor allem in jenen Parteien, die die Interessen der sozial schwächeren vertreten, haben sie sich engagiert. Insofern traten sie im politischen Bereich nicht als homogene Gruppe auf, sondern wirkten in allen Lagern mit - aber eben immer in Minderheitenpositionen. Die Gründung eines islamischen Staates liegt ihnen fern. Allenfalls nach der Iranischen Revolution haben einige wenige für kurze Zeit einen solchen Traum gehabt. Sie spiegeln nicht die Meinung der Mehrheit der irakischen Schiiten wider. Denn trotz ihrer heftigen Kritik am Regime von Saddam Hussein und der Erfahrung der Unterdrückung spielten sie eine wichtige Rolle in der irakischen Armee im Krieg gegen den Iran. Das Gerede um die Gründung eines islamischen Staates im Süden war aber ein guter Vorwand für Saddam Hussein, die Diskriminierung der Schiiten fortzusetzen.

    Die soziale Lage der Schiiten war immer angespannt. Dass dies nicht beendet wurde, war Teil der Diskriminierung. Dazu gehörte auch, dass die Sümpfe im Süden, eine der Lebensadern der Schiiten, trocken gelegt wurden. Damit wurde die soziale Struktur dieser Menschen zerstört. Denn bei diesem Gebiet handelt es sich um eine historisch gewachsene Region. Mit der Trockenlegung hat das Regime von Saddam Hussein nicht nur ein Verbrechen gegen die arme Bevölkerung im Süden begangen, sondern auch gegen die Umwelt. Das Regime hat darüber hinaus Pläne vorangetrieben, die ein trockenes Flussbett im Gebiet von Samawa, Khidr und Nasiriya wieder aktivieren sollten. Das Ergebnis war die Versalzung der landwirtschaftlich nutzbaren Böden und die Verarmung der Bevölkerung. Sogar der Euphrat hat sich in diesem Gebiet in den letzten Jahren in einen kleinen Bach verwandelt.

    Es gibt keine Pläne von schiitischer Seite für die Zeit nach Saddam, die Macht zu übernehmen. Sogar "Die Erklärung der Schiiten", die vor einigen Monaten veröffentlicht wurde und viele Spekulationen hervorgerufen hat, brachte lediglich grundsätzliche Forderungen zum Ausdruck, so z.B. die Forderung nach einer demokratischen Regierung. Diese, so die Schiiten, soll nicht nach den traditionellen Regeln der osmanischen Herrschaft funktionieren, die automatisch von der britischen Mandatsmacht nach dem Ersten Weltkrieg weitergeführt wurde. Danach soll der Herrscher im Irak der sunnitischen arabischen Minderheit angehören.

    Diese Bestimmung macht die Träume und Visionen der Mehrheit der Iraker zunichte, die sich eine Zivilgesellschaft vorstellen, eine Verfassung und individuelle Freiheiten. Diese Grundsätze vermisste die irakische Gesellschaft über Jahrzehnte. Wenn sie existiert hätten, dann hätten auch die Schiiten ihre einfachen und natürlichen Rechte bekommen.

    Es verwundert nicht, dass die meisten arabischen Regierungen und Institutionen intensive Kontakte zur irakischen Opposition abgelehnt haben. Denn diese Regierungen entstammen einem sunnitischen Hintergrund, während die Mehrheit der irakischen Opposition schiitische oder kurdische Wurzeln aufzuweisen haben. Die Haltung der arabischen Regierungen hat demnach konfessionelle Gründe.

    Die irakische Gesellschaft kann man als säkular bezeichnen. Das gilt insbesondere für die Schiiten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass eine Figur der irakischen Opposition, Kanaan Makiyya, der einen schiitischen Hintergrund hat, als Bindeglied zwischen der Opposition und der amerikanischen Regierung fungiert. Eine ähnliche Rolle spielt Ahmad al-Chalabi, zentrale Gestalt im irakischen Nationalkongress.

    Die Schiiten hoffen, dass sich ihre Lebensumstände in einer Nach-Saddam-Ähra verbessern. Nach 1991 fühlten sie sich zu ihrem Aufstand von den damaligen Golf-Kriegs-Alliierten ermuntert. Später aber ließen diese sie im Stich. Damals wurden in der südlichen Flugverbotszone Hubschraubereinsätze der irakischen Streitkräfte zur Unterdrückung des Aufstandes erlaubt. Nun hoffen die Schiiten, dass die Zusage des britischen Premierministers Tony Blair eingehalten wird, dass die Koalition sie dieses Jahr nicht mehr im Stich lässt.

    Soweit Al-Maaly zur Lage der Schiiten im Irak. Die Kurden stellen nicht die Mehrheit der irakischen Bevölkerung, rund fünf Millionen Kurden leben im Nordirak. 19 Millionen Araber stehen ihnen im Irak gegenüber. Aber: Die Kurden haben mit Hilfe der USA eine gewisses Maß an Autonomie erringen können. Björn Blaschke zur Lage der Kurden im Nordirak.

    Die Telefongesellschaft heißt Kur-Tel, das Fernsehen Kur-TV. Es gibt eine eigene Volksvertretung mit gut 30 eigenen Parteien, eine eigen Armee, ein eigenes Straßennetz, dass durch eine eigene Verkehrspolizei überwacht und in den Städten jedenfalls von einer eigenen Müllabfuhr sauber gehalten wird. Kurz, der Nordirak, genauer gesagt, die drei kurdischen Provinzen der Region, sind autonom, halbwegs jedenfalls. Wurden die Kurden in den 80er Jahren von den Soldaten Saddam Husseins noch verfolgt, unter anderem mit Giftgas, entziehen sie sich seit dem Ende des Golfkrieges 1991 seiner Kontrolle, unter dem Schutz der USA und Großbritanniens. Die Regierungen dieser Länder haben über dem Irak, nördlich des 36. Breitengrades eine sogenannte Flugsicherheitszone eingerichtet. In diesem Gebiet, so wollen es die Alliierten, darf die irakische Luftwaffe keine Flugzeuge einsetzen. Die gut dreieinhalb Millionen irakischen Kurden haben auf diese Weise die Freiheit erlangt, für die sie bis 1991 Jahrzehnte lang gekämpft hatten. Und mittlerweile sprechen viele Kinder, die nach dem zweiten Golfkrieg geboren wurden, nicht einmal mehr richtig arabisch. Faik Nerweyi, offizieller Vertreter der KDP, der Kurdisch Demokratischen Partei in der Jordanischen Hauptstadt Amman.

    Sie haben eine Stunde Arabisch in der Woche, aber der ganze andere Unterricht sonst ist auf Kurdisch. Das ist nicht ganz neu, seit der Gründung des modernen Iraks hatte es Unterricht auf Kurdisch gegeben, aber mit der Machtübernahme Saddam Hussein Ende der 70er Jahre wurde das auf 40 Prozent reduziert.

    Wirtschaftlich ging es den Kurden wohl niemals so gut wie heute. Viele Kurden hoffen denn auch, dass sie nach einem Krieg gegen das Regime in Bagdad nicht schlechter dastehen, als zuvor, hoffen, dass die USA ihnen tatsächlich Gutes bringt. Noch einmal Faik Nerweyi:

    Das Kommen der Amerikaner ist Jenseits unserer Wahl. Wir haben sie weder eingeladen, noch können wir sie davon abhalten. Da gibt es andere Mächte, die viel stärker sind als wir, und in die ganze Krise verstrickt sind, so dass wir mehr oder weniger erst informiert werden, wenn die Beschlüsse schon gefasst sind.

    Eine äußerst diplomatische Antwort des KDP Mannes. Indes arbeiten de facto sowohl sein Chef, Massud Barsani als auch der Führer der zweiten wichtigen Partei im Nordirak Dschalal Talabani von der Patriotischen Union Kurdistans, kurz PUK, schon länger eng mit den USA zusammen und durch die Vermittlung der Regierung in Washington haben beide Parteien erst vor wenigen Monaten einen alten Streit beigelegt. 1994 bis 1997 war es zwischen ihnen zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen. Aus ideologischen Gründen, aber hauptsächlich, weil sich beide Parteischefs, Barsani und Dschalal die Herrschaft über den Nordirak nicht teilen wollten. Der Grund für die plötzliche, demonstrative Einmütigkeit, das Gemeinsame Ziel.

    Wir wünschen uns einen Regimewechsel im Irak und wir wollen, dass ein neues, demokratisches, föderales, parlamentarisches, multikulturelles System das alte ersetzt. Und die Kurden sollen ein föderaler Teil dieses Bundesstaates Irak werden, der dann vereinigt und stark ist.

    Die irakischen Kurden werden nicht müde zu betonen, dass sie keinerlei Abspaltungswünsche vom Irak hegen. Und das machen sie, weil sie wissen, das ihre Freiheit auf tönernen Füßen steht. Sie sind eingeschlossen, von Syrien, Iran und der Türkei, Staaten, in deren Grenzen auch viele Kurden leben, und die könnten, sollten die Irakischen Kurden einen eigenen Staat ausrufen, auf die gleiche Idee verfallen. Die Türkei warnt regelmäßig davor, dass sie bei der kleinsten, negativen Entwicklung im Nachbarland militärisch eingreifen werde. Daher auch ist schon allein der Begriff Unabhängigkeit im Nordirak tabu.

    Es gibt keine einzige Partei in Kurdistan, die einen unabhängigen kurdischen Staat in ihrem politischen Programm hat. Diese Art Diskussion findet nicht statt. Wir arbeiten für ein föderales Bundesland Kurdistan.

    An diesem Tabu rühren auch die anderen Minderheiten des Nordiraks nicht. Weder die Turkmenen noch die unterschiedlichen christlichen Denominationen, die ebenfalls alle in Parteien organisiert sind und qua Minderheitenquote Volksvertreter ins Parlament in Erbil entsenden. Keine Unabhängigkeit aber Freiheit, dass ist das Ziel fast aller Bewohner des Nordiraks, die sich ansonsten nicht unbedingt besonders grün sind. Wie der einst zwischen KDP und PUK im großen Stil, herrscht auch zwischen den vielen kleinen Gruppierungen Zwist und Streit. Aber, egal, was die Zukunft den Menschen im Nordirak bringen wird, KDP und PUK wollen die Freiheit bewahren, und gleichzeitig Auseinandersetzung wie die zwischen 1994 und 1997 verhindern.

    Wir bedauern diese Tage zutiefst, aber wir arbeiten hart für die Zeit, in der wir in der Lage sein werden uns bei Differenzen, und die wird es immer geben, an einen Tisch zu setzten um uns im Gespräch zu einigen, in Kompromissen, in Mittelwegen.

    Björn Blaschke zur Lage der Kurden im Nordirak. Die Kurdenfrage ist ein grenzübergreifendes Problem. Die Kurden in der Türkei schauen sehr genau darauf, wie es im Nordirak weitergeht, und die türkische Regierung weiß um den Sprengstoff, der in dieser Beobachtung liegt. Immer wieder wird die Befürchtung geäußert und von der türkischen Regierung auch genährt, dass Ankara eine zu großen Autonomie der Kurden im Nordirak unter Umständen auch militärisch entgegenwirken will. Semiran Kaya hat sich in der Osttürkei umgehört.

    Lagebesprechung zum Kriegsverlauf mit türkischen und englischen Nachrichten im Hintergrund, Bombardierungsgeräusche

    Lagebesprechung beim privaten TV-Sender Kanal D in Istanbul. Anhand einer elektronischen Irak-Karte werden die aktuellen Einmarschrouten und Bombardierungsziele analysiert. Seit Kriegsbeginn wird Tag und Nacht jede Veränderung ausgewertet. Denn jede Veränderung, speziell im Norden Iraks, könnte die Türkei zum Handeln zwingen. Der Grund ist die mögliche Gründung eines kurdischen Staates.

    Wie sehr die Türkei sich hiervor fürchtet, belegen die aktuell wiederholten Erklärungen, wonach sie im Nordirak - notfalls auch alleine - einmarschieren würde. Heftige internationale Proteste konnten dies bisher erfolgreich verhindern. Wie die Türkei sich letztlich entscheiden wird, ist ungewiss.

    Seit gut zwölf Jahren existiert im Nordirak de facto ein autonomer kurdischer Staat. Brigadegeneral a.D. Nejat Eslen begründet die Angst vor einem kurdischen Staat zudem mit Positionen auf den Internetseiten von Massoud Barzani. Barzani, Führer einer der zwei großen kurdischen Parteien im Irak, proklamiere auf seinen Seiten ausdrücklich das Ziel eines eigenen Staates. Diese Einschätzung teilt Hasan Kaya, Leiter des Istanbuler Kurdischen Instituts, nicht.

    Alles was von der Türkei unternommen wird, sei es durch ehemalige Botschafter oder Großgeneräle, ist darum bemüht, dass die Kurden keinerlei Rechte erhalten. Und wenn sie mal kleine Zugeständnisse machen, so mobilisieren sich gleich alle Kräfte. Dieses Verhalten ist schon zu einer Paranoia ausgeartet. Denn das, was die Kurden im Irak wollen, lässt sich doch gar nicht mit der Situation der Kurden in der Türkei vergleichen. Wir wollen keinen eigenständigen Staat. Aber die Türkei legt uns diese Worte in den Mund und sucht nach einem Vorwand, um die gerade aufgebrochenen Strukturen wieder zu verfestigen. Wenn im Nordirak tatsächlich ein Staat errichtet werden sollte, wird hier die Unterdrückung wahrscheinlich wieder zunehmen. Saddam, dieser Frankenstein, wurde doch vom Westen geschaffen, so wie der Westen damals beim Lausanner Vertrag die Unterschriften gegen ein Kurdistan setzte. Dennoch vertrauen die Kurden dem Westen.

    Die Kurden wissen: Auch dieses Mal können sie zwischen allen politischen Fronten zerrieben werden. Sie haben dies in der Geschichte schon mehrfach erlebt. Drei Beispiele von vielen:

    1920 scheiterte die Gründung eines eigenständigen kurdischen Staates, weil die Briten das Öl lieber vom neu entstandenen Irak verwaltet wissen wollten.

    1946 wurde der erste und einzige kurdische Staat in der Geschichte im damals zum Iran gehörenden Aserbaidschan von der damaligen UdSSR nur solange unterstützt, bis Moskau vom Iran Erdölkonzessionen erhielt und damit an einem eigenständigen kurdischen Staat kein Interesse mehr hatte.

    1975 scheiterte der kurdische Aufstand im Irak nicht zuletzt an mangelnder Unterstützung durch die USA. US-Außenminister Henry Kissinger bemerkte damals nur lakonisch: "Geheimdienstoperationen sind eben keine Missionsarbeit".

    Die Beibehaltung der föderalen Strukturen und der damit verbundene relative Wohlstand im Nordirak ist für den türkischen Ökonomen Abdullah Amac in der Tat eine Gefahr für die Türkei. Denn die Verhältnisse im Nordirak könnten für die türkischen Kurden eine bessere Alternative sein.

    Wenn es dort eine Föderation gibt, dann werden türkische Kurden mit diesem Staat natürlich Handel treiben. Zweitens wird es sicherlich Kurden geben, die sich dort ausbilden wollen, weil hier die gesamte Schulausbildung auf Kurdisch erfolgt. Und genau diese Gegebenheiten werden die Türkei beeinflussen. Dann wird die Türkei entweder im Nahen Osten bleiben und sich unterdrückenden Strukturen zuwenden müssen, oder aber sie wendet sich durch Reformen der Demokratie zu und integriert sich im Westen. Welche dieser Varianten sie bevorzugen wird, weiß ich nicht.

    Mehr als den Nachfolger von Saddam Hussein und die Amerikaner fürchten irakische Kurden die Türkei. Denn sie will als so genannte Schutzmacht der rund 45.000 Turkmenen im Nordirak auftreten. Die irakischen Turkmenen, die während des Golfkrieges 1991 in der Türkei Zuflucht fanden, freuen sich zwar über diese Argumentation, wollen jedoch die Einheit des Iraks nicht gefährden. Auch, wenn es ihnen in der Türkei gut geht und viele die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, würden sie gerne in den Irak zurückkehren. So auch Kemal Beyati, Direktor des Kultur- und Hilfszentrums für irakische Türken in Istanbul.

    Das, was wir nach dem Sturz von Saddam Hussein wollen, ist, innerhalb eines einheitlichen Iraks mit einem parlamentarischen System und gleichen Bürgerrechten zu leben. Ein ethnisch föderales System im Irak zu fordern, ist der falsche Ansatz. Es käme dem Gedanken gleich, sich den Irak als einen schönen Kuchen vorzustellen, bei dem man sich das größte Stück einfach abschneiden kann.

    Nicht nur für den ehemaligen kurdischen Abgeordneten Memet Ali Eren, der die kurdische Identität im türkischen Parlament 1987 als erster thematisierte, ist die Argumentation der Türken, als Schutzmacht aufzutreten, absurd. Viele türkische Intellektuelle geben zu bedenken, dass die Turkmenen im Nordirak historisch gesehen gerade ihre Blütezeit erreicht hätten. Ob es Schulen, Zeitungen oder die Meinungsfreiheit ist: Sie haben alles, was man sich wünscht. Deshalb kann dies nur ein vorgeschobener Grund für die Türkei sein, die sich nach Meinung des ehemaligen Abgeordneten Eren noch immer weigert, ihre Kurdenfrage zu lösen.

    Ich bin nicht gegen den Krieg. Meine Unterstützung gilt den Amerikanern. Die Kurdische Frage ist für die Türkei in jeder Hinsicht eine ernste Angelegenheit. Sie ist auch eine außenpolitische Frage. Denn egal, mit wem in der Welt und mit welchem Nachbarn die Türkei auch immer einen Konflikt austrägt: Die Kurdische Frage steht an erster Stelle. Also, die türkische Regierung muss ein für alle mal diese Frage lösen!

    Die Kurden in der Türkei stellen mit offiziell 12 Millionen und inoffiziell mit 20 Millionen Menschen die größte Volksgruppe. Und je nach Interessenlage werden sie mal als "humanitäre" Pokerkarte oder als bloßes "Kanonenfutter" eingesetzt. Auch wenn sie heute - seit etwa zwei Jahren - wesentlich mehr Rechte genießen, in der Öffentlichkeit kurdische Musik spielen dürfen und für Veranstaltungen keine Erlaubnis mehr brauchen, gelten sie als Bürger zweiter Klasse.