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Zwischen Hoffnung und Ernüchterung

Rumänien ist jetzt Mitglied der Europäischen Union und das mittelalterliche Hermannstadt in Siebenbürgen teilt sich den Titel der europäischen Kulturhauptstadt 2007 mit Luxemburg. Doch der seit 15 Jahren anhaltende Transformationsalltag hat weniger Europa-Euphorie im Lande aufkommen lassen, als noch 2004 in Ungarn oder Polen. Vor allem die Intellektuellen schwanken zwischen Resignation und Hoffnung.

Von Anat Kalman | 02.01.2007
    Seit dem 1. Januar ist nun auch Rumänien Mitglied im EU-Europa. Ein Beitritt, der nach 15 Jahren Transformationsalltag jedoch weniger Euphorie auslöst, als noch in Ungarn und Polen im Mai 2004. "Europa" steht zwar für das Heraustreten aus einer peripheren Existenz am Rande des Kontinents. Doch die Rumänen hatten genug Zeit, um zu sehen, was die EU-Integration in Ländern wie Ungarn und Polen nicht nur positiv bewirkt, sondern regelrecht (..) angerichtet hat: Indem sie die mittelosteuropäischen Beitrittsländer in Billglohnländer verwandelte, deren ehemals reformkommunistische Funktionäre zu allererst durch Selbstbereicherung auf sich aufmerksam machen. Die "Modernisierung der Nomenklatura - der ehemals reformkommunistischen Führungselite" nennt dies die Schriftstellerin und leitende Redakteurin der Zeitschrift "22"- Gabriela Adamesteanu.

    " Es sind bei uns leider immer noch die gleichen, die alles in ihren Händen halten. Sie nennen sich nur anders. Das ist dann halt nicht mehr die Partei, sondern der Firmenchef. Nicht mehr der Geheimdienstchef der Securitate, sondern der Medienmogul, nicht mehr der Parteisekretär, sondern der Rektor einer Universität, der darüber entscheidet, wer welche Stipendien und vor allem wer Auslandsstipendien bekommt. Die ehemals Mächtigen setzen ihre Leute in führende Positionen und den Institutionen im Westen ist das völlig gleichgültig. Er übernimmt dann auf seine Weise kritiklos, was ihm da aus dem Osten geschickt wird. Und sie betreiben dann auch im Westen "ihre" Politik."

    Nach den bunten und samtenen Revolutionen wurde in Mittel- und Osteuropa die reformkommunistische Führungselite nicht ausgetauscht. Das war Teil eines unausgesprochenen gesellschaftlichen Abkommens. Doch nun wird sichtbar, dass diese Elite eine wirkliche Pluralisierung der Gesellschaft eher verhindert. Sehr schnell bezog sie in den neuen wirtschaftlichen und politischen Stellungen Position und zeichnet sich seither durch ihre Homogenität und Geschlossenheit aus. Sie fördert nicht in Hinblick auf Vielfalt, Schulausbildung oder Studium, sondern nach den ihr angepassten intellektuellen Fähigkeiten und kulturellen Gewohnheiten. Was die EU-Vertreter und Institutionen nicht weiter stört, solange sie keine offizielle "Korruption" - also dunkle Geschäftstransaktionen - nachweisen können. Rechtsangleichung, Mehrparteiensystem und freie Marktwirtschaft - so heißt es in Brüssel - sind die grundlegenden Strukturen für eine demokratisch-pluralistische Gesellschaft. Würde die EU mehr kontrollieren - etwa dass viele Interessensgemeinschaften und Bürgerverbände tatsächlich an Einfluss gewinnen - , käme dies einer Einmischung in innere Staatsangelegenheiten gleich, meint Susan Milford vom Wiener Institut für den Donauraum und Mitteleuropa

    " Also meiner Meinung nach ist das problematisch. Ich würde das eher nicht befürworten. Man hat ja auch bei den Sanktionen im Zusammenhang mit Österreich gesehen, dass das eigentlich eher den Bummerangeffekt hat. Also es ist nicht von Erfolg gekrönt gewesen... ich halte es derzeit nicht für einen gangbaren Weg. Ich bin aber auch jetzt ehrlich gestanden, überfragt, ob es da irgendwelche Kriterien gäbe. Ob man da welche ausarbeiten könnte, die vielleicht hier anwendbar wären in so einer Situation...kann ich jetzt wirklich schwer beantworten. Ich denke, das ist einfach auch ein Lernprozess also, Demokratie muss halt auch gelernt werden. "

    Doch die rumänischen Intellektuellen mahnen zu mehr Wachsamkeit. Sie fürchten, dass diese neuen halb- oder "dreiviertel-demokratischen osteuropäischen Strukturen auch westliche Demokratien "beeinflussen" könnten. Dabei verweisen sie auf einzelne Vorfälle, die sie ganz besonders hellhörig machen. Etwa die fehlenden politischen Konzepte hinter den vom Westen übernommenen Parteikürzeln. Oder die Infiltration nicht kompetenter Personen in westliche Strukturen. Wie etwa im Fall von Sorin Antohi, dem ehemaligen Rektor der Budapester Central European University. Im Oktober letzten Jahres stellte sich nämlich heraus, dass dieser seit 1976 ein Mitglied des gefürchteten rumänischen Geheimdienstes - der Securitate - war und darüber- hinaus noch nicht einmal promoviert hatte. In ihrer offiziellen Stellungnahme drückte die amerikanische Universität zwar ihr Bedauern über diesen Vorfall aus, erklärte jedoch mit keinem Wort, wie es überhaupt zu seiner Nominierung kommen konnte. Und Ana Blandiana, die 1942 geborene Dichterin und Präsidentin des rumänischen P.E.N.-Clubs verweist auf andere bedenkliche Ereignisse

    " Niemand fragt: wer hinter den Fernsehprogrammen steht. Warum dieser Film und nicht ein anderer, warum immer die gleichen Gesprächspartner in den Talk-Shows ... der Kreis derjenigen, die scheinbar etwas zu sagen haben, wird immer enger... da sollte man aufpassen. Das kann zur intellektuellen und politischen Manipulation ausarten. Und wenn ich dann sehe, dass Yahoo in China die Zensur akzeptiert hat, weil sie dort weiter im Geschäft bleiben wollen, dann frage ich mich, wann dies auch unsere Mächtige wieder einfordern können."

    Darum - so warnen viele rumänische Intellektuelle - heißt es aufpassen: dass in den nächsten Jahren Europas Demokratien nicht zu sehr ausgehöhlt werden - von den im Zuge der EU-Erweiterung neu entstehenden Wirtschafts- und Politik-Oligarchien.