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Zwischen Integration und Abschottung

Jüngste sozialwissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass weniger ethnische als soziale Ursachen für Integrationsdefizite verantwortlich sind. Die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit der jungen Türken in der Hauptstadt, ihre Frustration und die Jugendkriminalität, die oft genug daraus entsteht - all das lässt sich nicht allein mit der Herkunft der Jugendlichen erklären.

Von Dorothea Jung | 21.02.2008
    Berlin Kreuzberg, Wrangelstraße. Türkenkiez. Im Männercafé "Bosporus" trifft man sich zu Tee, Kartenspiel und Billard. Umgangssprache ist türkisch.

    "Wir leben in Kreuzberg, und wir sagen auf türkische Art: Kleine Istanbul ist das hier. Und wenn wir überall hingehen, sehen wir überall türkische Geschäfte.

    Auf der Bank, auf der AOK zum Beispiel, oder in die Krankenkassen, gibt es sie überall, die Türken, deshalb brauchen wir dann kein Deutsch zu lernen.

    Es gibt auch viele Ältere, die schon jahrelang hier sind und sich nur mit Arbeit befasst haben und nichts Anderes überlegt haben, zu lernen oder so, weil die einfach hierhin gekommen sind, zum Geld zu verdienen. Und dadurch haben sie, glaube ich, denk ich, dass sie nicht soviel Zeit hatten, zum Deutsch zu lernen.

    Deutsch auch sprechen, aber hier ist alle die türkisch, wie Türkei, musst türkisch sprechen, so ist das!"
    Gegenüber vom Männercafé liegt ein Telefon-Shop. Vor dem Eingang: eine Gruppe jugendlicher Türken in Blousonjacken und Hip-Hop-Hosen. Sie rauchen, feixen leise über Passanten und rangeln ein bisschen miteinander.

    "Hier stehen mehrere Jugendliche am Tag, weil wir nichts zu tun haben.

    Die Arbeitslosigkeit ist schon groß. Und da sag ich mir: Okay, was sollen die Jugendlichen machen, die gammeln dort rum, kein Wunder, dass irgendwann was dort passiert.

    Die Jugend ist sowieso voller Wut; keine Arbeit, kein gar nichts! Ist normal find ich.

    Diese Hartz-IV-Geschichte - Ich bin nicht zufrieden mit der Regierung, ich bin mit gar nichts hier zufrieden!

    Zum Beispiel, durch kleine Pöbeleien wird dann wieder was Großes - und dann ist die Polizei sofort hier, sofort hier.

    Man sollte einiges verändern hier im Kiez, damit die Jugendlichen was zu tun haben!"
    Ein paar Ecken weiter im Kreuzberger Kiez, in den Nebenstraßen hinter dem Cottbusser Tor, wohnen Dilan, Berfin und Sara. Drei Töchter aus türkischen Einwandererfamilien, 19 und 20 Jahre alt, die in Deutschland zur Schule gegangen sind. Sie haben ebenfalls keine Arbeit, aber sie suchen auch gar nicht danach - sie warten auf die Ehe. Dilan, Berfin und Sara sind jetzt schon sicher, dass ihr Zukünftiger ein Türke sein wird - und sie haben keinen Zweifel daran, dass sie ihm als Jungfrau ins Brautbett folgen werden. Dabei haben die jungen Frauen bisher noch nicht einmal die Hand eines Mannes gehalten. Selbst in ihrer Wohnung daheim zeigen sich die Mädchen nur den Frauen und den engsten männlichen Familienmitgliedern.

    "Wenn eine Frau mit ihrem Mann da ist, dann können wir schon sitzen alle zusammen. Aber, wenn zum Beispiel fünf Männer da sind und eine Frau da ist - das kann ich mir nicht vorstellen, dass man da neben den Männern so sitzt.

    Wenn eine Frau mit Kopftuch ist, kann man doch nicht so mit den Männern zusammensitzen und sich bequem machen. Ist wirklich nicht bequem!

    Aber zum Beispiel mein Opa oder mein Onkel, da kann ich mich richtig wohlfühlen, ohne Kopftuch kann ich auch da herumlaufen, mit T-Shirt, ist nicht Sünde für uns.

    Wenn wir diejenigen sehr gut kennen, dann sitzen wir alle zusammen, aber, wenn wir nicht so gut kennen, dann getrennt."
    Begegnungen im Berliner Türkenkiez von Kreuzberg. Begegnungen, die Integrationsdefizite zeigen: Zum Beispiel bei Migranten der ersten Generation in der Beherrschung der deutschen Sprache, zum Beispiel bei den Frauen und Mädchen in der Gleichberechtigung - wobei auch der Islam eine Rolle spielt. Vor allem aber zeigen sich Integrationsdefizite bei türkischen Jugendlichen und jungen Männern. "In dieser Gruppe gibt es zahlreiche Probleme", bekennt Günter Piening, der in Berlin Integrationsbeauftragter ist.

    "Was Jugenddelinquenz betrifft, was aber vor allen Dingen eben auch eigenständiges Einkommen betrifft, haben wir hier in den Westberliner Innenstadtbezirken eben in dieser Generation große Probleme. Eine Alarmzahl ist, dass die Zahl der Ausbildungsbeteiligungen auf fünf Prozent abgesunken ist, das zeigt, wie dramatisch die Situation ist."
    Die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit der jungen Türken in der Hauptstadt, ihre Frustration und die Jugendkriminalität, die oft genug daraus entsteht, - all das will der Berliner Integrationsbeauftragte aber nicht allein mit der Herkunft der Jugendlichen erklären. Die Integrationsdefizite dieser Gruppe - Günter Piening spricht von "Segregationsprozessen" - haben seiner Meinung nach vorwiegend soziale Ursachen.

    "Hier bilden sich vor allen Dingen soziale Segregationsprozesse ab, die dann ethnisch durch Herkunft unterschichtet werden. Es sind generelle Prozesse auch des Verfalls von Nachbarschaften in städtischen Zusammenhängen, das ist in allen Städten so, und wenn beides zusammenkommt und sich dann mit einer Herkunft unterschichtet, dann gibt es so eine Zusammenballung von Problemen."

    Auch jüngste sozialwissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass weniger ethnische als soziale Ursachen für Integrationsdefizite verantwortlich sind. Der Psychologieprofessor Haci Halil Uslucan von der Universität Potsdam zum Beispiel erforscht Jugendgewalt in Deutschland.
    Forschungsschwerpunkt des Wissenschaftlers: Die Sozialisation von deutschen und migrantischen Jugendlichen. Vergleicht man nur die Nationalität, beziehungsweise die Ethnie, dann belegen die Zahlen des Forschers, dass türkische Jugendliche mehr kriminelle Delikte ausüben als deutsche. Doch ein solcher Vergleich ist nach Auffassung von Haci Halil Uslucan nicht korrekt.

    "Weil man hier nicht angemessen gleiche Gruppen vergleicht. Man muss im Hinterkopf haben, dass sehr viele Türken der ersten, zweiten Generation aus Unterschichten kommen; über 80, 85 Prozent schätzt die Forschung, und das stückweit sozusagen, ja, nicht vorhandene Bildungskapital auch in die weitere Generation weitergegeben wird. Viel relevanter wäre, deutsche Unterschicht mit türkischen Migranten zu vergleichen, nicht die gesamtdeutsche Gesellschaft, weil die deutlich breit gefächert ist. Die Migranten sind, zumindest, was Sozialschichtsmerkmale betrifft, dort homogener - homogener in der Unterschicht - vertreten."
    Der Psychologe hat deswegen in seiner Untersuchung zur Jugendgewalt Bildungs- und Schichtmerkmale berücksichtigt. Er hat türkische Jugendliche aus der Unterschicht mit deutschen Jugendlichen aus der Unterschicht verglichen. Das Resultat:

    "Bei der aktiven Gewaltbeteiligung gehen die Unterschiede deutlich zurück, wenn man den Hintergrund kontrolliert. Und diese Differenzierung machen leider Medien nicht oder viel zu wenig, so dass sie einfach nur von der ethnischen Ausprägung her, ja, schaut, soundso viel Türken in der Statistik und soundso viel Deutsche, also ist es evident, dass Türken viel stärker belastet sind. Und der Alltagsmensch mag sich also vielleicht auch diese Frage der Vergleichbarkeit nicht stellen. Aber das sollten ja aufgeklärte Medienvertreter, die ein stückweit auch Verantwortung für sozusagen Folgen ihrer Berichterstattung haben, mit reflektieren."
    Es mag für einen Türken bislang keine Rolle gespielt haben, ob ihm von anderen negative Eigenschaften zugewiesen werden oder nicht, ist er aber fortwährend mit negativen Medienurteilen konfrontiert, wird er laut Uslucan im besten Fall nachdenklich, häufiger wahrscheinlich unsicher - im schlimmsten Fall jedoch wütend. So läuft zum Beispiel im Lokal eines türkischen Sportvereins in Kreuzberg einem 25-jährigen Türken die Galle über, wenn er an die jüngsten Diskussionen über kriminelle Ausländer und Integration denkt.

    "Es wird alles getan, um die Türken schlecht darzustellen. Deutschland also bewegt sich auf einem sehr, sehr dünnen Eis. Ich meine, damals vor, vor einem Jahr oder so, wo im ganzen Paris es zwölf Tage lang gebrannt hat da mit diesen Jugendlichen und so, wenn das einmal in Berlin losgeht, und die Politiker bewegen sich genau in diese Richtung, nach dem Motto, wir müssen mit den Ausländern das machen und dies machen. Wenn das hier einmal losgeht, dann brennt nicht Berlin zwölf Tage lang, dann brennt es zwölf Jahre lang. Und die ganzen Jugendlichen und so, die warten nur darauf. Bis einer sagt: "Jetzt ziehen wir los!""
    Die Politik-Studentin Aylin Selcuk akzeptiert das Aggressionspotential, das aus derartigen Äußerungen spricht, nicht. Aber die Tochter türkischer Migranten hält es für erklärbar. Gemeinsam mit Gleichgesinnten hat die 20-Jährige im letzten Jahr einen Verein gegründet, der sich "Deukische Generation" nennt. - Deukisch ist ein Kunstwort; es zeigt an, dass die Vereinsmitglieder sich gleichzeitig als deutsch und türkisch wahrnehmen. Es sind junge, gebildete Einwanderer der zweiten und dritten Generation, die das Image der Deutsch-Türken verbessern wollen. "Ihr negatives Bild in den Medien ist ein Integrationshemmnis", urteilt Aylin Selcuk.

    "Denn dadurch herrscht auf beiden Seiten praktisch Misstrauen, sowohl auf der deutschen, weil man denkt, na ja, Türken sind gefährlich, oder aber auch auf der türkischen, weil man denkt, na ja, die Deutschen wollen uns eh nicht, sie denken sowieso nur schlecht über uns, und vor allem Hauptschüler, die keine Perspektive haben und ihren Platz in der Gesellschaft gar nicht finden, benehmen sich denn einfach den Vorurteilen entsprechend, weil sie denn nicht lange selber nach dem Weg suchen müssen, wer sie eigentlich sind, und fühlen sich einfach in den Vorurteilen wohl und wollen einfach sich so benehmen, wie man es praktisch erwartet."
    Jurastudent Onur Özata vom Verein "Deukische Generation" engagiert sich in sozialen Integrationsprojekten. Der 24-Jährige ist überzeugt, dass er für viele entmutigte türkische Jugendliche ein Vorbild sein kann. "Vielleicht kapieren das ja auch die Medien irgendwann", hofft Onur Özata.

    "Viele Medienleute versuchen auch uns, gerade als Gruppe, isoliert anzusehen. Die sagen, wir sind Ausnahmen. Die gucken auf unseren Background. Die sagen: Okay, dein Vater war Dolmetscher, dein Vater ist Künstler, deine Mutter arbeitet bei der Bank, ihr zählt ja gar nicht. Ihr seid nicht solche, wir reden über die anderen. Die Leute denken, dass das ein türkisches Problem ist, aber es ist ein soziales Problem. Und wir sind auch ein Beweis dafür, dass es auch andere Türken gibt."
    Zweifellos fragt die aktuelle Integrationsdebatte zu wenig nach Unterschieden in der türkischen Community. Das hat auch Haci Halil Uslucan von der Universität Potsdam beobachtet. Schon der Begriff "Integration" wird nach Meinung des Psychologie-Professors zu wenig differenziert verwendet.

    "Integration ist kein Sekt-oder-Selters-Diskurs, man ist integriert oder nicht integriert, sondern man kann in bestimmten Bereichen des Lebens gut integriert sein, in anderen weniger. Beispielsweise denken Sie an den Imbissbuden-Besitzer, der kann wirtschaftlich gut integriert sein, ist selbstständig, beschäftigt Leute, ist ökonomisch unabhängig, aber er kann sprachlich nicht gut integriert sein, sozial kann er nicht gut integriert sein, vielleicht hat er nur türkische Freunde, vielleicht spricht er schlechtes Deutsch, ja. Auf der anderen Seite sehen wir türkische Jugendliche, die sprachlich gut integriert sind, die gut Deutsch sprechen, aber nur türkische Freunde haben, das heißt, sprachliche Integration ist gelungen, die soziale ist weniger gelungen."
    Je zahlreicher die Bereiche sind, in denen sich Integrationsprozesse vollziehen, desto umfassender sei ein Zuwanderer integriert. Als ein wichtiges Kriterium für eine umfassende Integration bezeichnet es Haci Halil Uslucan, wenn Menschen sich subjektiv mit dem Einwanderungsland identifizieren. Diese Identifikation mit Deutschland werde so befriedigender gelingen, je weniger die Migranten diskriminiert und ausgegrenzt werden. Das heißt, wenn ein Türke auf dem Arbeits-, Wohnungs- und Bildungsmarkt vergleichbare Chancen hat wie ein Deutscher - und wenn es für ihn Möglichkeiten der politischen Beteiligung gibt. Hier liege der Ball bei der deutschen Politik. Das findet auch der Türke aus dem Kreuzberger Vereinslokal.
    "Was war denn damals mit meinen Eltern gewesen, die seit 40 Jahren hier gearbeitet haben, da war keine Integration. Warum? Weil damals die Ausländer Ja und Amen gesagt haben - die sollten nur die ganzen Drecksarbeiten machen. Aber die neue Generation, die denkt weiter, die denken, die kennen ihre Rechte, ich zahle meine Steuern, also mit Integration und mit so einem Scheiß brauchen sie überhaupt gar nicht zu kommen. Was hat denn die deutsche Regierung gemacht? Die hat uns doch in diese ganze Scheiß-Ghettos hineingesetzt."

    Ein weitgehend verdrängter Aspekt in der aktuellen Integrationsdebatte, meint Professor Uslucan. Allerdings gebe es keine Integration ohne Anstrengung seitens der Migranten.

    "Migranten ihrerseits müssten erkennen, dass sie bestimmte kognitive Veränderungen, verhaltensmäßige Veränderungen durchführen müssen, bestimmte Denkformen, aber auch Kenntnisse erwerben müssen, um Teil dieser Gesellschaft zu werden. Wenn das gelingt, ist hier auch der Boden bereitet für soziale Integration, das heißt, Nachbarschaften, Freundschaften, Ehen, Partnerschaften; wenn diese Prozesse auf diesen Ebenen gelingen, dann kann man berechtigterweise auch erwarten, dass diese Menschen auch identifikatorisch sich als Teil Deutschlands fühlen und sagen, das ist unser Land."

    Migranten, denen es nicht gelingt, die von Haci Halil Uslucan skizzierten Verhaltensänderungen zu vollziehen, finden sich besonders häufig in Familien, die sich patriarchalischen Sozialstrukturen verpflichtet fühlen und diese mit dem Islam begründen. Das hat Hakan Arslan registriert, der in einem Kreuzberger Jugendzentrum arbeitet. Seiner Beobachtung nach bilden diese Familien allerdings nicht die Mehrheit in der türkischen Community. Aber, so der Kreuzberger Sozialarbeiter, es gebe in der Tat zunehmend Kinder und Jugendliche, die sich bemühen, zu den Deutschen Abstand zu halten. Und zwar aus religiösen Gründen.
    "Leider gibt es eben irgendwelche selbsternannten Rechtsgelehrten, die ihnen vorschreiben: So musst du handeln und: Das ist die richtige Lebensweise dieser Religion. Keines der Kinder oder auch keiner der Jugendlichen kann mir sagen: "die haben jetzt konkret gesagt, Deutsche sind unrein, Deutsche sind schlecht", aber in Untertönen kommt schon heraus, einfach aus Schlussfolgerungen, dass unsere Religion ist gut, unsere Religion ist richtig, da kann das Kind, der Jugendliche eben allein die Schlussfolgerung ziehen, na, die andere Religion ist dann offensichtlich schlecht. "

    Ob ein offener Umgang mit anderen Werten als dem orthodoxen Islamverständnis gelingt, hängt nach Meinung des Kreuzberger Sozialarbeiters entscheidend davon ab, wie die sexuellen Schwierigkeiten in der Pubertät gemeistert werden können.

    "Sie dürfen nicht offiziell eine Freundin haben, weil vorehelicher Geschlechtsverkehr ist ein Tabu. Viele haben eine deutsche Freundin, weil vor der Ehe mit einer muslimischen Mädchen eventuell sogar eine sexuelle Beziehung einzugehen, das, das geht in den meisten Fällen nicht. Das heißt, die kommen dann in ganz schwierige Situationen, die sie alleine nicht lösen können. Das Richtige ist ja: Man darf vor der Ehe keinen Geschlechtsverkehr haben. Und, was dann passiert, ist eine Abwertung dieses deutschen Mädchens. Dieses Mädchen ist, wenn ich auch meine persönlichen Bedürfnisse mit ihr befriedige, ist sie trotzdem ein schlechtes Mädchen."
    Hakan Arslan beschreibt ein familiäres und ideologisches Milieu, das seinen Kindern keine Chancen ermöglicht, ungestraft auch eigene Wege zu gehen. "Dieses Milieu neigt zur Abschottung", meint der Sozialarbeiter aus Kreuzberg. Und von den Abschottungstendenzen besonders betroffen seien Mädchen und jungen Frauen. Für sie gälten noch strengere Regeln. So ist das Äußerste, was sich Dilan, Berfin und Sara, die drei jungen erwachsenen Frauen aus Kreuzberg, erlauben würden, ist ein heimlicher Kinobesuch. Berührungen mit Gleichaltrigen? Unmöglich. Ein leidenschaftlicher Kuss? Ausgeschlossen.

    "Meine Mutter, sie würde sofort zu mir kommen und vielleicht eine Schelle geben. Ich bin jetzt ehrlich. Sie würde so was nie erlauben.

    Guck mal, wenn ein Mädchen und ein Junge zusammenkommen, die machen wirklich was: Hände halten, Kuss zum Beispiel.

    Man muss zuerst mit demjenigen heiraten. In unserer Religion ist verboten, deswegen würde ich so was nicht machen."
    In einem solchen Milieu kommt es vor, dass Ehen arrangiert werden, dass junge Mädchen zur Zwangsheirat mit einem Cousin in die Türkei verfrachtet werden - und kein Nachbar erfährt davon, weil derartige Kontakte nicht gepflegt werden. Diese Missstände gibt es, bestätigt Berlins Integrationsbeauftragter, Günter Piening. Er will aber muslimische Organisationen nicht dafür verantwortlich machen.

    "Wir haben festgestellt, dass es eine wachsende Kooperation zwischen städtischen Institutionen und den Moscheegemeinden gibt. In den Moscheen finden inzwischen Sprachkurse statt, die Moscheen machen Jugendarbeit, das ist eine Entwicklung, die vom Senat auch gefördert wird, weil wir eben halt auch sehen, dass bestimmte Gruppen der eingewanderten Bevölkerung hier besonders gut angesprochen werden könne, und weil dieses auch ein Stück dessen ist, was ich als Einbürgerung des Islam verstehe."

    Dass muslimische Gruppen auch eine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, ist für Günther Piening ein ganz normaler Integrationsvorgang. Doch der Islamismusexpertin Claudia Dantschke reicht das nicht. Muslimische Verbände sind ihrer Meinung nach nicht deswegen integrativ, weil sie sich für Sprachkurse, Bildung und Soziales engagieren. Denn es gebe auch gebildete, sozial engagierte und gut deutsch sprechende Islamisten, so Claudia Dantschke.

    "Das heißt, ich muss doch schauen, welche Inhalte vertreten werden. Werden Inhalte vertreten, dass ich sage, ich möchte eine Gesellschaft, wo Muslime nach ihren Regeln und Gesetzen leben, Nicht-Muslime nach dem Grundgesetz, und wir beide leben dann in einer Gesellschaft auf der Basis von gegenseitigen Verträgen in der Art von friedlicher Koexistenz. Gruppen, die das propagieren, sind gegen Gewalt, sind gegen Zwangsheirat, würden hier auch nie einen Terroranschlag machen, Trotzdem sind sie islamistisch und nicht demokratisch!"
    Dass Migranten-Organisationen zunehmend Verantwortung übernehmen, Projekte gestalten, sich sozial engagieren und sich ehrenamtlich für die Integration der türkischen Community einsetzen, ist jedoch überall in Deutschland zu beobachten. Am Berliner Albert-Schweitzer-Gymnasium im Bezirk Neukölln hat zum Beispiel ein alteingesessener Migrantenverein aus dem Bezirk die Ärmel hochgekrempelt, als es darum ging, der Schule beim Übergang zur Ganztagsschule zu helfen. Vereinsmitglieder assistieren in der Mittagspause bei der Essensausgabe, bei der Beaufsichtigung von Schulaufgaben und bei Computerkursen. Früher hieß der Verein "Türkische Minderheit e.V." Seit zwei Jahren heißt er "Türkisch-deutsches Zentrum". Mit Absicht, sagt Vereinsmitglied Daria Demir, die für die Koordination der Helfer zuständig ist.

    "Weil wir ja eigentlich keine Minderheit mehr sind in Deutschland und auch beide Kulturen, beziehungsweise beide Bevölkerungen darstellen wollen. Und dadurch eine Brückenfunktion zwischen beiden Kulturen, um diese Kommunikation zu intensivieren und zu verbessern und Menschen in Neukölln dadurch zu fördern."
    Mehrere Landesregierungen haben inzwischen ihre Projekt-Förderrichtlinien geändert, damit Migrantenvereine in Zukunft ihre Brückenfunktion zwischen den Kulturen effizienter wahrnehmen können. Auch das ein kleiner Schritt, um Integration in Deutschland zu verbessern.