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Zwischen Irrsinn und Wirklichkeit

Aus Liebe zu einem Theater können Texte, Dramen und schöne Abende entstehen. Am kleinen Bonner Schauspiel am Rhein hat sich eine Freundschaft zwischen dem amerikanischen Gegenwartsdramatiker Neil La Bute und dem Haus sowie der Schauspielerin Birte Schrein entwickelt. Seit der deutschen Erstaufführung des Stücks "Wie es so läuft" arbeitet man gern zusammen. Nun hat Neil LaBute gleich drei neue "Dramen" abgeliefert, die in Bonn zur Uraufführung kamen.

Von Dorothea Marcus |
    Neil LaBute ist ein Meister darin, die Abgründe der sozialen Kleinzelle mit boulevardhafter Leichtigkeit zu biblischer Wucht zu verdichten. Er scheint lässig "Well made plays" aus dem Ärmel zu schütteln, die aber immer wieder ins Bedrohliche brechen können. Auch in Bonn geht es wieder um den letzten Kriegsschauplatz des Wohlstandsbürgers: das Beziehungsende und die Verteilkämpfe und Abrechnungen, die daraus folgen.

    Meist führt den Zuschauer eine unerwartete Wendung aufs Glatteis. In "Die Furien" ist das Bühnenbild das gleiche wie vor knapp zwei Jahren, als Neil LaBute schon einmal eine Uraufführung nach Bonn schickte: eine nach hinten ansteigende Halfpipe aus Stoff, auf die zuerst die Worte "Stille, Dunkelheit" projiziert sind. Denn Neil LaButes Stücke beginnen und enden mit dieser theatralischen Ursituation, die jederzeit herzustellen ist. Es ist ein Glück, dass Jennifer Whigham sie respektiert. Sie inszeniert reduziert und konzentriert, ohne viel Bühnenbild und Requisiten. Die latente Bedrohlichkeit unter den Szenen erreichen die Schauspieler durch kleine Nuancenänderungen von Haltungen und Stimmlagen.

    Am Tisch sitzt Paula und wartet auf ihren Freund Jimmy. Oder Exfreund? Auf jeden Fall scheint sie ihn loswerden zu wollen. Er kommt mit seiner Schwester Jamie als seelische Unterstützung. Sie haben die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen und wirken wie szenige Unterschichtsgestalten oder ein symbiotisches und bedrohliches Komikerpaar, ein wenig aus der Welt gefallen. Ständig souffliert die massige Schwester ihrem Bruder lautlos den Kampftext ins Ohr, weil sie angeblich Stimmbandpolypen hat.

    Eiskalt verachtend kreuzen sich die Blickwechsel zwischen Schwester und Freundin, die doch eigentlich etwas ganz Intimes, von ihrer Todeskrankheit erzählen möchte. Oder ist das nur gelogen? Nie weiß man, ob Paula ihren nahenden Tod nur erfunden hat, um den unberechenbaren Freund "freizugeben". "Der große Krieg" ist das längste der drei Stücke, hat aber trotz seiner ambitioniert historischen Metaphorik einige Längen.

    Ein Paar entsorgt die Reste seiner Ehe und hat sich für den Kampf richtig feingemacht. Sie ziehen sich durch den Dreck und kreisen, manchmal fast ein wenig ermüdend und banal, den Totalbankrott ihrer neunjährigen Ehe ein. Er will es halbherzig noch mal versuchen, während sie ihn hemmungslos demütigt, selbstgefällig wie eine satte Katze. Die Chipsschale geht zu Bruch, auf einmal gerät die Beuteaufteilung ins Stocken: Niemand will die Kinder haben.
    "Ich will sie nicht haben. Ich gehe damit ernst um. "

    "Du ziehst das seit Monaten in die Länge. Du hast eine ganze Armee aufgefahren sie zu verteidigen."
    Fleißig werden für die Rabeneltern europäische Referenzen aufgefahren, neben Schützengräben, Stellungskriegen und dem Potsdamer Abkommen sogar die Wannsee-Konferenz von 1942 - kurz bevor sie im Brettspiel die Kinder aufteilen wollen. Doch da bricht Birte Schrein wie aus dem Nichts in Tränen aus und fällt grandios aus der Rolle. "Ich kann damit nicht umgehen als Schauspielerin", schluchzt sie, "ich schäme mich, in so einem Stück mitzuspielen." York Dippe will aber weiterspielen, "sind doch nur noch drei Seiten bis zum Schluss".

    Erst jetzt eskaliert es wirklich, die beiden prügeln aufeinander ein und entschuldigen sich ständig bei den Zuschauern. "Gehen Sie sofort zu Ihren Kindern" kreischt Birte Schrein uns schließlich bis zur Erschöpfung an und macht uns zu Zeugen und Schuldigen - während natürlich alle sitzenbleiben. Und so verwandelt sich die Ehe-Abwicklungs-Schlacht unversehens in eine Reflexion über die gefühlte (oder echte) Machtlosigkeit von Theater.

    Das letzte Stück "Was ernstes" ist dann ganz kurz, nur zweieinhalb Seiten: eine Frau wartet in einem an die Wand projizierten Rahmen auf ihren "Traummann", der nie kommen wird - und lebt vielleicht völlig in ihrer Fantasiewelt oder zumindest nur noch in Bildern, welche die Außenwelt für sie vorgesehen hat. Noch drei Minuten... dann ist er auch nicht da.

    Der Abend changiert zwischen Schein und Sein, Irrsinn und Wirklichkeit. Und auch wenn die Stücke die menschlichen Abgründe nicht ganz so apokalyptisch auf den Punkt bringen wie man es sonst vom Autor gewohnt ist, so ist daraus doch ein konzentriert und fein gearbeiteter Schauspielerabend geworden.