"In der Türkei grassiert das Kolumnistenunwesen. Es ist eine eigene Kaste in diesem Land, die beherrscht die Zeitungen, die regiert die Zeitungen – das sind die Aristokraten des Journalismus. Was heißt: diese Zeitungen verkaufen Meinungen, nicht Fakten. Sie müssen sich das wirklich mal anschauen, 'Hürriet' oder so, in jeder Zeitung ein Dutzend, zwei Dutzend Kolumnisten. Die Stars, die werden auch gehandelt so mit Ablösesummen, manchmal wie Fußballer, so von einer Zeitung zur anderen. Aber die sitzen in Istanbul, die sitzen ja nicht mal in Ankara. Für die ist Djarbakir und der Südosten und das Hinterland der Türkei eine fremde Welt. Die kennen Paris und London besser als ihr eigenes Land."
Kai Strittmatter hat vor seiner Station in Istanbul acht Jahre lang aus Peking für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Und am Anfang war er begeistert von der 16-Millionen-Metropole:
"Erstens von der Schönheit dieser Stadt, aber auch von dem politischen Treiben. Auch von den Zeitungen. Unglaublich, so bunt. In Peking waren die Zeitungen auch bunt, aber wenn man genauer hinschaute, merkte man, dass in jeder Zeitung haargenau das Gleiche stand. Hier schrieben die Zeitungen mit einem Mal total verschiedene Sachen. Wenn jetzt der Berliner Parlamentarier auf seine Kollegen in Ankara schaut und er sieht über dem Parlament Rauchwolken aufsteigen, weil die sich so prügeln oder so, dann schaut er da eher besorgt drauf. Wenn ich da drauf seh, ja Wahnsinn, die prügeln sich, super! Da tut sich was. Ich hatte wirklich das Gefühl, ganz im Ernst, dass ich hier teilhaben kann am Fortschreiten der Zivilisation. Weil dieses Land sich bewegt in Richtung Demokratisierung."
Die erste Euphorie hat sich inzwischen gelegt, denn während seiner vier Jahre als Türkei-Korrespondet, hatte Strittmatter reichlich Gelegenheit, hinter die Kulissen zu blicken. Und da gab's auch Befremdliches zu sehen. Zum Beispiel, dass die meisten Medien großen Wirtschaftskonglomeraten gehören, die ihre Zeitungen und Fernsehsender regelmäßig benutzen, um Einfluss auf die Politik zu nehmen.
Bekanntestes Beispiel derzeit: der Dogan Konzern mit seinem Flagschiff, der größten türkischen Boulevardzeitung "Hürriyet". Die Pressepolitik des auch im Immobilien- und Energiesektor tätigen Konzerns war seit 30 Jahren pro CHP, die Partei der korrupten, kemalistischen Elite. Die islamistische Regierung Receb Tayib Erdogans stellt der Dogan Holding seit vergangenem Jahr nun mit Rekordsteuerstrafen nach. Ein Versuch, Dogan wirtschaftlich zu vernichten.
Patriarch Aydin Dogan versucht im Gegenzug, seine Firmen aus der Schusslinie zu bringen, indem er abdankt und seine Tochter Arzuhan Dogan Yalcindag an die Spitze von Dogan-Medien bugsiert. Gleichzeitig entlässt er auch seinen Chefkolumnisten und langjährigen Chefredakteur der Hürriyet, Ertugrul Özkök. Özkök ist als Scharfmacher und Nationalist bekannt, nicht zuletzt durch seinen Slogan "Die Türkei den Türken".
Aber es gibt auch Zeitungen, die sich nicht in den Dienst der großen Machtblöcke Kemalisten und Islamisten stellen. Aus der Dogan-Gruppe ist das die kleine Tageszeitung "Radikal", deren Zukunft nach dem Rücktritt Aydin Dogans allerdings unsicher ist. Der große Hoffnungsträger eines demokratischen Aufbruchs in der Presse aber heißt "Taraf".
Kai Strittmatter: "Gegründet von europafreundlichen, ex-linken Intellektuellen, die sitzt hier in Istanbul über einem Buchladen. Sie gehört auch den Eigentümern dieses Buchhandels, ist also eigentlich als einzige Zeitung der Türkei eine wirklich unabhängige Zeitung, also zumindest von andren Geschäftsinteressen. Und die haben unglaubliche Arbeit geleistet. Taraf hat auch nur eine Auflage, die schwankt zwischen 40.000 und 70.000. Aber die haben eine so große Wirkung, eine so große Strahlkraft, weil sie das Land mit mehreren explosiven, investigativen Geschichten, vor allem was die Rolle der Armee angeht, so aufgemischt haben, dass man sagen kann, in den nur eineinhalb Jahren seiner Existenz hat diese Zeitung schon die Presselandschaft verändert und sie hat eigentlich auch schon das Land mit verändert. Das ist unglaublich!"
Kai Strittmatter hat vor seiner Station in Istanbul acht Jahre lang aus Peking für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Und am Anfang war er begeistert von der 16-Millionen-Metropole:
"Erstens von der Schönheit dieser Stadt, aber auch von dem politischen Treiben. Auch von den Zeitungen. Unglaublich, so bunt. In Peking waren die Zeitungen auch bunt, aber wenn man genauer hinschaute, merkte man, dass in jeder Zeitung haargenau das Gleiche stand. Hier schrieben die Zeitungen mit einem Mal total verschiedene Sachen. Wenn jetzt der Berliner Parlamentarier auf seine Kollegen in Ankara schaut und er sieht über dem Parlament Rauchwolken aufsteigen, weil die sich so prügeln oder so, dann schaut er da eher besorgt drauf. Wenn ich da drauf seh, ja Wahnsinn, die prügeln sich, super! Da tut sich was. Ich hatte wirklich das Gefühl, ganz im Ernst, dass ich hier teilhaben kann am Fortschreiten der Zivilisation. Weil dieses Land sich bewegt in Richtung Demokratisierung."
Die erste Euphorie hat sich inzwischen gelegt, denn während seiner vier Jahre als Türkei-Korrespondet, hatte Strittmatter reichlich Gelegenheit, hinter die Kulissen zu blicken. Und da gab's auch Befremdliches zu sehen. Zum Beispiel, dass die meisten Medien großen Wirtschaftskonglomeraten gehören, die ihre Zeitungen und Fernsehsender regelmäßig benutzen, um Einfluss auf die Politik zu nehmen.
Bekanntestes Beispiel derzeit: der Dogan Konzern mit seinem Flagschiff, der größten türkischen Boulevardzeitung "Hürriyet". Die Pressepolitik des auch im Immobilien- und Energiesektor tätigen Konzerns war seit 30 Jahren pro CHP, die Partei der korrupten, kemalistischen Elite. Die islamistische Regierung Receb Tayib Erdogans stellt der Dogan Holding seit vergangenem Jahr nun mit Rekordsteuerstrafen nach. Ein Versuch, Dogan wirtschaftlich zu vernichten.
Patriarch Aydin Dogan versucht im Gegenzug, seine Firmen aus der Schusslinie zu bringen, indem er abdankt und seine Tochter Arzuhan Dogan Yalcindag an die Spitze von Dogan-Medien bugsiert. Gleichzeitig entlässt er auch seinen Chefkolumnisten und langjährigen Chefredakteur der Hürriyet, Ertugrul Özkök. Özkök ist als Scharfmacher und Nationalist bekannt, nicht zuletzt durch seinen Slogan "Die Türkei den Türken".
Aber es gibt auch Zeitungen, die sich nicht in den Dienst der großen Machtblöcke Kemalisten und Islamisten stellen. Aus der Dogan-Gruppe ist das die kleine Tageszeitung "Radikal", deren Zukunft nach dem Rücktritt Aydin Dogans allerdings unsicher ist. Der große Hoffnungsträger eines demokratischen Aufbruchs in der Presse aber heißt "Taraf".
Kai Strittmatter: "Gegründet von europafreundlichen, ex-linken Intellektuellen, die sitzt hier in Istanbul über einem Buchladen. Sie gehört auch den Eigentümern dieses Buchhandels, ist also eigentlich als einzige Zeitung der Türkei eine wirklich unabhängige Zeitung, also zumindest von andren Geschäftsinteressen. Und die haben unglaubliche Arbeit geleistet. Taraf hat auch nur eine Auflage, die schwankt zwischen 40.000 und 70.000. Aber die haben eine so große Wirkung, eine so große Strahlkraft, weil sie das Land mit mehreren explosiven, investigativen Geschichten, vor allem was die Rolle der Armee angeht, so aufgemischt haben, dass man sagen kann, in den nur eineinhalb Jahren seiner Existenz hat diese Zeitung schon die Presselandschaft verändert und sie hat eigentlich auch schon das Land mit verändert. Das ist unglaublich!"