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Zwischen Konflikt und Versöhnung

34 Kriege und bewaffnete Konflikte zählte die Hamburger Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung im vergangenen Jahr. An der Universität Jena diskutierten junge Forscher anlässlich der Gründung des Zentrums für Versöhnungsforschung darüber, was Menschen auch nach brutalsten Auseinandersetzungen wieder zusammen bringt.

Von Jakob Epler | 25.07.2013
    Ein Leben in Frieden ist nicht einfach. Schon gar nicht, wenn eine Gesellschaft zuvor lange Zeit von Konflikten oder Kriegen geprägt war. Wie es trotzdem gelingen kann, friedlich miteinander zu leben, untersuchen Versöhnungsforscher wie der Jenaer Professor für Theologie und Ethik, Martin Leiner. Seine Disziplin soll eine praktische sein und nicht nur im universitären Elfenbeinturm stattfinden, sagt er.

    "Das ist eigentlich auch das, was Versöhnungsforschung meint, dass man versucht Versöhnung im Sinne der Wiederherstellung guter Beziehungen zwischen Menschen und Gruppen zu fördern und Ideen zu entwickeln, wie das geschehen kann."

    In Jena hat man die sogenannte Hölderlinperspektive formuliert. Sie folgt einem Zitat aus Friedrich Hölderlins Roman Hyperion: "Versöhnung ist mitten im Streit". Das hat für Martin Leiner eine doppelte Bedeutung. Erstens ist Versöhnung nach dem christlichen Dogma allgegenwärtig, auch im Konflikt. Denn die Menschen seien durch den Tod Jesus Christi am Kreuz mit Gott versöhnt worden. Zweitens gebe es auch in den schlimmsten Konflikten einzelne Menschen oder Gruppen, die nach Frieden streben. Oft hätten diese eine religiöse Motivation, die christlich sein könne, aber nicht sein müsse. Alle Religionen trügen den Willen zum Frieden in sich, sagt Martin Leiner.

    "Religionen sind ambivalente Größen. Es gibt Ressourcen in Religionen für Fanatismus, für Konflikte, für Bürgerkriege bis hin zum Terrorismus auf der einen Seite. Auf der anderen Seite gibt es in Religionen auch große Ressourcen für Versöhnung, für Frieden, für Freiheit, für Verständigung."

    In Myanmar zeigt sich derzeit, dass Religion in vielen Konflikten vor allem eine negative Rolle spielt. Die muslimische Minderheit im Land wird seit Langem verfolgt. Seite Mitte 2012 hat sich die Verfolgung intensiviert, es kam zu massiven Angriffen und Massakern durch die buddhistische Mehrheitsgesellschaft. Gemäß der Jenaer Hölderlinperspektive versucht Maung Maung Yin inmitten dieses Konflikts die beiden Parteien zu versöhnen. Er ist der Direktor des am Myanmar Institute of Theology in Rangun angesiedelten Peace Studies Center. Zusammen mit seinen Mitarbeitern organisiert er unter anderem Workshops zu Frauenrechten und gegen Menschenhandel. Und nun will er mit Workshops auch Buddhisten und Moslems helfen, erlittene Traumata zu verarbeiten.

    "Das ist die schwierigste Aufgabe, die wir je hatten. Wir suchen nach Möglichkeiten, diesen Workshop zu machen. Es ist schwierig, obwohl einige ihrer Anführer uns gebeten haben, zu helfen. Beispielsweise würden wir gerne Moslems und Buddhisten in einem Workshop zusammenbringen. Aber sie sagen, das gehe auf keinen Fall! So schwerwiegend ist der Vertrauensverlust."

    Fehlendes Vertrauen ist für Maung Maung Yin eines der Grundprobleme in Myanmar. Das südostasiatische Land war bis 1948 eine britische Kolonie. Seitdem sind bewaffnete Konflikte zwischen ethnischen Minderheiten und der Regierung an der Tagesordnung. 1962 putschte sich das Militär an die Macht.

    "Wir hatten Angst vor fast allem, was mit der Regierung zusammenhing. Ich sagte immer: Wir haben immer dann Angst, wenn wir Leute in Uniform sehen. Das waren die, die den einfachen Leuten nicht halfen, die die immer nur Probleme machten. Das ist das Denken, das wir hatten während der vergangenen 60 Jahre. Und die Konsequenz war der Vertrauensverlust. Nicht nur das Vertrauen in die Regierung haben wir verloren, wir vertrauen uns gegenseitig nicht mehr."

    Erst seit 2010 gibt es Anzeichen für eine Demokratisierung. Maung Maung Yin glaubt, dass das Vertrauen wieder hergestellt werden kann und erzählt von einem Ereignis, dass er für hilfreich hält: 2011 trafen sich die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi und Myanmars Präsident Thein Sein, der aus den Reihen des Militärs stammt. Aung San Suu Kyi war erst ein knappes Jahr vorher von der Militärregierung aus einem 15 Jahre dauernden Hausarrest entlassen worden. Sie und der Präsident traten nach ihrem Gespräch in Eintracht vor die Öffentlichkeit. Stellvertreter zweier bislang unversöhnlicher Parteien hätte hier nach jahrelanger Feindschaft miteinander gesprochen und gezeigt, dass sich etwas verändern kann, meint Maung Maung Yin. Symbole und symbolische Handlungen haben eine zentrale Bedeutung für die Versöhnung, stimmt Martin Leiner zu.

    "Sie sind immer wichtig. Sowohl symbolische Handlungen wie etwa der Kniefall von Willy Brandt im Warschauer Getto oder auch, dass es Personen gibt, die zu Symbolen werden, wie Desmond Tutu oder auch Nelson Mandela. Dann haben Symbole zu tun mit nationaler Identität und Vergangenheitspolitik und auch da ist es wichtig, dass hier Symbole entstehen, symbolische Orte, auf die man sich dann bezieht und die im Bewusstsein der Menschen dann auch abrufbar werden und die beginnen für ihre Identität etwas zu bedeuten."

    Auch in Südafrika spielten symbolische Handlungen ein immense Rolle. 1994 endete hier die Apartheid, die sogenannte Rassentrennung. In der Folge wurde die Wahrheits- und Versöhnungskommission geschaffen. Sie sollte Verbrechen aus der Zeit der Apartheid aufklären. Das Fernsehen strahlte ihre Sitzungen landesweit aus. So habe die Kommission zum Symbol eines Neuanfangs werden können, sagt der südafrikanische Theologe Christo Thesnaar.

    "Wir haben die bewusste Entscheidung getroffen, diesen Prozess auch mit dem Wort Versöhnung' zu verbinden. Es ging nicht einfach nur darum, die Wahrheit zu finden. Es war der Versuch, einen Schritt weiter zu gehen, indem wir die Wahrheit feststellen und gleichzeitig versuchen uns wieder zu vereinigen, indem wir eine Möglichkeit finden, wie Täter und Opfer sich treffen und sich gegenseitig zuhören können."

    Das sei wichtig, weil Einstellungen aus der konfliktreichen Vergangenheit eine friedliche Zukunft verhindern könnten. Die Menschen müssten ihr Denken wirklich verändern, fordert Christo Thesnaar. Für ihn ist Versöhnung der Weg, um das zu schaffen. Aber die Wahrheits- und Versöhnungskommission hatte einen Haken, der bis heute kritisiert wird. Täter, die ihre Verbrechen vor der Kommission einräumten und bei ihren Opfern um Vergebung baten, wurden mit Straffreiheit belohnt.

    "Manchmal sahen die Täter das als eine Möglichkeit, ihrer Strafe zu entgehen, indem sie sagten 'Es tut mir leid'. Und damit ist es dann die Pflicht des Opfers, dem Täter zu vergeben. Das ist es tatsächlich nicht. Aber wenn man ein begrenztes christliches Verständnis von Vergebung hat, dann will man, dass es genau so ist. Ich glaube, Vergebung sollte niemals zu einem günstigen Preis zu haben sein. Sie soll nicht billig sein. Sie soll ein wirklich schwieriger Prozess sein, ein Prozess, der Menschen zusammenbringt, ein Prozess, der unter anderem Entschädigung und Gerechtigkeit beinhaltet."