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Zwischen Kultur und Kommerz

Ein Teil des kulturellen Erbes der Menschheit findet sich, abgelegen, an der Lausitzer Neiße, im Landkreis Görlitz, im Nordosten des Freistaates Sachsen, unmittelbar an den Grenzen zu Brandenburg und Polen: in Bad Muskau.

Von Jürgen König | 02.06.2012
    4000 Einwohner hat das Städtchen, 330.000 Touristen kommen jedes Jahr hierher. Ihr einziges Ziel: der Fürst-Pückler-Park, der Park Mużakowski; die deutsch-polnische Grenze geht durch ihn hindurch, beide Hälften sind etwa gleich groß. Dass der Park zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört, ist einem alteingesessenen Muskauer, der hier spazieren geht, einerseits wichtig...

    "Ja, selbstverständlich, warum nicht? Pückler war doch bekannt; wir wohnen ja schon lange hier, aber, heute wollten wir, gerade weil schön Wetter ist unter der Woche, wollten wir hierher fahren mal ..."

    ... andererseits: so wichtig aber auch wieder nicht ...

    "Das spielt keene Rolle, ob das... man will alles hoch...schnieselieren, wa? Das ist es. Ne, wir waren schon oft hier. Bei DDR-Zeiten, ich meine, auch jetzt hier ... hat sich ja viel geändert. Wie Tag und Nacht!"

    "Es hat sich sehr entwickelt, also das muss man schon sagen. Wenn ich dran denke, wie das noch abgebrannt war, also die Ruine haben wir noch gesehen, nicht? Hätte man nie geglaubt, dass das wieder aufgebaut wird, so ... so schön!"

    2004 erklärte die UNESCO den Fürst-Pückler-Park zum Welterbe. Erdacht von Hermann Fürst von Pückler-Muskau, der von 1785 bis 1871 lebte und ebenso Politiker wie Schriftsteller, Gartenkünstler wie Abenteurer war, ist der Park 830 Hektar groß: zwischen weit geschwungenen Wiesen und Wegen majestätische Bäume, verschwiegene Seen, elegante Brücken. Ein Schloss gibt es und ein Kavalierhaus, das Eigentliche des Parks aber ist die Natur – zumal in Zeiten, in denen immer mehr Kulturlandschaften durch bis zu 200 Meter hohe Windkraftanlagen beschädigt werden. Von einem Meilenstein in der Entwicklungsgeschichte der Gartenkunst spricht Cord Panning, der Parkdirektor und Geschäftsführer der Stiftung Fürst Pückler Park.

    "Die Vegetation läuft hier zur Höchstform auf und die ganzen Räumlichkeiten, das ganze Inhaltliche, die ganze philosophische Metaebene konstituiert sich aus dem Grün, ohne dass Sie noch Architektur brauchen. Und das sehen Sie natürlich im Park, dass das eine philosophische Weite – man kann das dann so umdeuten, dass das ein Gebet an die Schönheit der Natur ist, Sie brauchen keine architektonischen Szenerien, um das aufzuhübschen, es ist total authentisch aus sich selbst heraus gewachsen, aus diesem Landschaftsraum im Muskauer Neißetal – und das spürt man. Sie fühlen sich hier mit Ihren Sinnen, mit Ihrer Wahrnehmung wunderbar aufgehoben, das ist ein toller Sinnesraum, um sich als Mensch wohlzufühlen."

    Bei einem kleinen Wasserfall steht Mario Nickus neben seiner Kutsche, eben hat er vier Damen durch den Park kutschiert. Ob viele Gäste vom Welterbe-Titel angelockt werden?

    "Das kann man ganz schwer einschätzen. Ich sag mal, Pückler ist ja letztendlich die schillernde Person, die viele auch hierher zieht, da gibt's ja Branitz in Cottbus und dann hier in Bad Muskau den Park – ob das nun unbedingt damit zu tun hat, das ist für mich relativ schwer nachzuvollziehen."

    Den meisten Parkbesuchern scheint der Welterbe-Titel nicht wirklich wichtig zu sein.

    "Na ja, also von Weitem ist es ja nur ein Etikett. Was so dahintersteckt dann tatsächlich an Fördermöglichkeiten oder auch internationaler Beachtung, das kann man so als Laie immer ganz schlecht einschätzen. Insofern ist es mir auf den ersten Blick egal ... Auf den zweiten weiß ich es nicht genau ..."

    Der Bürgermeister von Bad Muskau indes, Andreas Bänder, gerät über den Titel geradezu ins Schwärmen.

    "Ich meine, wir haben ja auch die Bezeichnung als 'Bad', wir haben auch drei Heilmittel vor Ort, aber die wiegen natürlich in keinster Weise, auch wenn sie insgesamt als Summe diese drei auch ein Alleinstellungsmerkmal sind, aber ich denke mal, dieser Titel 'Weltkulturerbe' ist eigentlich nicht zu toppen, das ist für uns eigentlich wirklich das wichtigste Marketinginstrument."

    37.000 Übernachtungen zählt Bad Muskau jedes Jahr, das sind drei Mal so viele wie vor der Ernennung des Pückler-Parks zum Weltkulturerbe. Die Stadt profitiert vom Titel – auch finanziell:

    "Also vom Grundsatz her nur in diese Richtung, dass wir sozusagen in dieses Nationale Förderprogramm des Bundes für nationale Welterbestätten sozusagen dort berechtigt sind gegenüber anderen Kommunen, die also diesen Titel nicht haben, Fördermittel zu akquirieren. Ansonsten müssen wir uns bei allen anderen Förderprogrammen genauso wie jede andere Kommune auch anstellen bzw. müssen eben auch genauso nachweisen, dass wir die dementsprechenden erforderlichen Eigenanteile aufbringen können, also da unterscheidet uns eigentlich nichts von anderen Kommunen; der Vorteil der Welterbeeintragung liegt natürlich darin, dass eben diese erhöhten Besucherzahlen hier sind, das heißt also, dass dort die gastronomischen Handelseinrichtungen, Übernachtungsgelegenheiten, die da sind, dass die eben dann Gewerbesteuer sozusagen bezahlen, bzw. auch Kurtaxe bezahlt wird."

    Parkdirektor Cord Panning weist auf einen ganz naheliegenden Vorteil des Titels hin.

    "Wenn Sie die Tourismusführer von heute vergleichen mit den Tourismusführern Anfang, Mitte der 90er-Jahre, dann werden Sie kaum irgendwo Bad Muskau entdecken. Der normale Tourist kannte den Muskauer Park als solchen, als touristische Destination, nicht. Und das ist natürlich gelungen mit dem Welterbetitel, dass jetzt kein Reiseführer da mehr dran vorbei kann. Und das unterscheidet uns hier natürlich von Weimar, von Potsdam oder eben damals auch von Dresden: ob da nun noch der Welterbetitel raufgepfropft wird oder nicht, das ist für die touristische Resonanz relativ einerlei. In Bad Muskau spielt es aber eine ganz, ganz entscheidende Rolle: Nach der Anerkennung als Welterbetitel hat das so eine Kraft, so eine Wertigkeit, dass da keiner dran vorbeikommt."

    Einmal im Jahr tagt das Welterbe-Komitee der UNESCO und entscheidet, was Welterbe ist und was nicht. Ende des Monats treffen sich die Experten in Sankt Petersburg zu ihrer nächsten Sitzung – deutsche Anwärter für den Titel sind derzeit die Kurpfälzische Sommerresidenz Schwetzingen und das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth. Vor 40 Jahren wurde die entsprechende Konvention verabschiedet – seitdem hat die UNESCO rund um den Globus mehr als 900 herausragende Bau- oder Naturdenkmäler zum Welterbe erklärt. Vergeben wird der Titel Weltkulturerbe oder Weltnaturerbe "an Stätten, die sich aufgrund ihrer Einzigartigkeit und ihrer Authentizität dafür qualifizieren und die von den Staaten für diesen Titel vorgeschlagen werden", wie es offiziell heißt. Der Ansturm auf den Welterbe-Titel werde allerdings immer stärker, klagt Pückler-Parkdirektor Cord Panning, immer schwieriger werde es, die "universale Einmaligkeit", die im Zentrum des Welterbe-Gedankens stehe, noch zu wahren.

    "Die ganze UNESCO-Welterbeliste ist viel zu eurozentrisch ausgerichtet, das ist ja kein Wunder, das ist aus Europa gekommen, sodass man versucht, das jetzt ausgeglichener zu gestalten, dass die asiatischen Länder, die afrikanischen verstärkt Einzug halten auf der Welterbeliste und das man auch der Kritik, so hab ich´s im Ohr, der afrikanischen Länder folgt und sagt: Nun lasst uns doch in Ruhe mit eurem Dom XY und eurer Altstadt Z und was weiß ich nicht alles und noch ein Schloss, das haben wir doch alles x-mal drauf. Ich hab mir das mal durchgesehen, es sind, glaube ich, 60, 70 europäische Altstädte irgendwie auf der Welterbeliste, wenn man jetzt Görlitz wieder raufsetzt, dann wird das natürlich schwierig, da den universellen Wert herauszuarbeiten, und das wird in Deutschland nicht so richtig gesehen."

    Der Titel dürfe nicht "inflationär" vergeben werden, sagt Cord Panning und spricht von einer "Fehleinschätzung" in den Bundesländern:

    "Jedes Bundesland will proportional berücksichtigt werden, das heißt, wenn jetzt die Tentativlisten aufgestellt werden, dann will Bremen und das Saarland genauso wieder ihren nächsten Welterbetitel haben wie Bayern und Nordrhein-Westfalen – das ist ein bisschen bedenklich und zum anderen wird schnell dieser Vergleich herbeigeführt, dass man sagt: Naja, wenn die Welterbe sind, dann sind wir doch schon längst Welterbe. Und dabei wird dieser internationale Blickwinkel außer Acht gelassen."

    Allein – es nützt alles nichts. Zum Welterbe zu gehören, stellt einen kultur- oder naturhistorischen "Ritterschlag" dar, signalisiert den Zuwendungsgebern Bund und Land, dass es lohnt, Geld zu geben und verschafft einer Landschaft, einer Stadt, mehr Aufmerksamkeit und mehr Gäste. Der Titel ist begehrt, der Weg dahin aber lang. Jede Bewerbung wird von Experten der zuständigen Landesministerien auf Einzigartigkeit und "Welthaltigkeit" hin geprüft, die Kultusministerkonferenz entscheidet und setzt je Bundesland zwei Vorschläge auf die sogenannte "Tentativliste", die auch "Vorschlagsliste" heißen könnte. Fast alle Einrichtungen der deutschen Tentativliste von 1998 wurden inzwischen zum Welterbe ernannt – 36 Welterbestätten gibt es mittlerweile in Deutschland. Die Vorschlagsliste ist also nahezu abgearbeitet - in zwei bis drei Jahren hätte Deutschland keine Kandidaten mehr: So ist es Zeit für eine aktualisierte Liste. Ab August will die Kultusministerkonferenz sie zusammenstellen, die Zahl der Aspiranten ist schier endlos, und natürlich führen alle Bewerber gute Gründe ins Feld, warum gerade sie Teil des Welterbes werden sollten. In Hessen zum Beispiel will die Darmstädter Künstlerkolonie "Mathildenhöhe" den Titel erhalten; der grüne Oberbürgermeister und Kulturdezernent Darmstadts, Jochen Partsch, begründet das so:

    "Das ist der Genius loci, um den es da geht. Es geht darum, dass 1899 und dann in den darauffolgenden Jahren mit der Künstlerkolonie etwas entstanden ist, was in der Tat einzigartig ist. Und was weit über die Region und Deutschland hinaus wirkt."

    Das "Einzigartige" wird von allen Bewerbern für sich reklamiert - und das sicher zu recht. Über die universelle Bedeutung indes - etwa des "historischen Technik- und Kulturensembles Augsburger Wasserwirtschaft", das Bayern als Welterbe anerkannt sehen möchte, lässt sich vielleicht schon streiten. Bayern schickt überdies auch die "alpinen und voralpinen Wiesen- und Moorlandschaften im Werdenfelser Land, im Ammergau, im Staffelseegebiet und im Murnauer Moos" ins Rennen, ebenso die Schlösser König Ludwigs II. von Bayern: als "Königliche Inszenierungen", als "gebaute Träume des Historismus". In Niedersachsen soll - unter anderem - die über 300 Jahre alte Arp-Schnitger-Orgel in Dedesdorf sowie das Obstanbaugebiet "Altes Land" auf die Tentativliste kommen; in Nordrhein-Westfalen sollen gleich neun Bau- und Naturdenkmäler Weltkulturerbe der UNESCO werden. Die Müngstener Brücke zum Beispiel: Mit 107m Höhe führt sie als höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands über das Tal der Wupper. Andrea Brandt, Sprecherin der Deutschen Bahn in Nordrhein-Westfalen, lobpreist die Brücke wegen ihrer einzigartigen, filigranen Schönheit - die auch universellen Wert hat?

    "Die Experten sagen uns, dass sie für Deutschland, für Europa und auch für die übrige Welt einen Höhepunkt der Gattung der Bogenfachwerkbrücken darstellt. Wer sie anschaut, dem fällt auch sofort die filigrane Form auf. In den Expertisen heißt es, die Brücke sei ein äußerst wohlgestaltetes Ingenieur-Bauwerk; insgesamt kann man sagen, dass die Brücke die älteste erhaltene Flussstahlbrücke Deutschlands ist; Flussstahl: das war damals so ein neues Arbeitsmaterial für Brücken. Überhaupt ist die Müngstener Brücke eine der ganz wenigen noch weitgehend im Original erhaltenen Großbrücken aus der Phase der zweiten industriellen Revolution."

    Die nordrhein-westfälischen Bewerbungen um die Aufnahme in die UNESCO-Welterbe-Liste gehen zunächst an Thomas Otten, Referatsleiter Denkmalschutz und Denkmalpflege im Bau- und Verkehrsministerium des Landes.

    "In Nordrhein-Westfalen haben wir ein sogenanntes Interessenbekundungsverfahren gestartet, das heißt, das Ministerium als oberste Denkmalbehörde des Landes hat einen Aufruf gestartet bei den Denkmalbehörden auf kommunaler Seite und bei den Landschaftsverbänden, die die Denkmalfachämter betreiben, zur Anmeldung möglicher künftiger Welterbestätten. Daraufhin sind insgesamt neun Vorschläge beim Land eingegangen, aus denen dann mit einer unabhängigen Jury, die auch NRW-extern besetzt ist, in einem richtig regelrechten Jury-Verfahren ausgewählt wird."

    Bei der Auswahl gehe es nicht um "Schönheit", die in der Denkmalpflege ohnehin ein schwieriges Kriterium sei, sondern um die Strategie der UNESCO beim Umgang mit den Welterbelisten. Bisher unterrepräsentierte Welterbestätten wie etwa Kulturlandschaften sollen in Zukunft stärker berücksichtigt werden, im Gegensatz zu den überrepräsentierten historischen Bauten wie Burgen oder Schlössern. So kommt es, dass die Essener Zeche Zollverein zwar schon zum Weltkulturerbe zählt, die Industriedenkmal-Stiftung Nordrhein-Westfalen aber zusätzlich den "Zollverein und die industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet" zum Weltkulturerbe machen möchte.

    "Also gerade bei einer industriellen Kulturlandschaft wird man sich auch mit Siedlungsbau, mit Wohnungen, mit Arbeitersiedlungen beschäftigen, mit Halden, mit Verkehrswegen, man wird also eine gesamte Landschaft und die kulturellen Relikte, die mit dieser Industriekultur verbunden sind, mit in den Blick nehmen. Das ist ein wesentlich ganzheitlicherer Ansatz, als es dass in der klassischen Denkmalpflege, wenn man sich mit einem Einzeldenkmal beschäftigt, ist."

    Konkurrenz unter den Bewerbern gebe es schon, sagt Denkmalpfleger Thomas Otten. Sie werde aber eher liebevoll ausgetragen. Beeindruckend sei es, mit welcher Intensität sich einzelne Bürger, in Fördervereinen organisiert, um den Erhalt ihrer unmittelbaren Umgebung kümmern.

    "Da kommt ein richtiger regionaler Wille zum Ausdruck, dass man für seinen Bereich auch was schafft, und im Prinzip sich, was das kulturelle Erbe anbelangt, dann auch über das Verfahren nobilitiert. Das finde ich eigentlich einen sehr schönen Effekt, und insbesondere ist es da, wo jetzt gerade so diese bürgerschaftlichen Bemühungen schon lange Jahre und Jahrzehnte sich um ein bestimmtes Ensemble kümmern, finde ich, ist es auch eine Honorierung dieser Anstrengungen, ganz egal, wie die Sache dann letzten Endes ausgeht."

    Manchmal geht die Sache zuerst gut aus und am Ende dann ganz schlecht. Zwei Mal schon hat die UNESCO den Welterbe-Titel wieder entzogen: 2007 wurde ein Wildschutzgebiet in Oman von der Liste gestrichen, weil dort nun nach Öl gebohrt wird. Und 2009 verlor auch Dresden die begehrte Auszeichnung. Wegen der "Waldschlösschenbrücke" - um die jahrelang gekämpft wurde, für deren Bau sich zuletzt 60 Prozent der Dresdner aussprachen und die nach Meinung der UNESCO den Blick auf das Dresdner Elbtal verschandelt. Die Stadt ist dennoch voll von Touristen. Sie lassen sich kutschieren, sie gehen auf Trabi-Safari oder sie nehmen die Fahrradrikscha.

    "Ja, vom Prinzip her ist es schon schlimm. Aber das ist nicht nur die Altstadt, was Welterbe ist, das ist ja quasi das Elbtal. Ja, meines Erachtens ist das schlimm."

    ... sagt Rikschafahrer Mirko Tenje. Er bedauert, dass Dresden den Welterbetitel verloren hat:

    "Also es könnte schon sein, dass dadurch weniger kommen. Weil gerade viele Japaner und Amerikaner bauen halt ihre Städtetouren nach Welterbestätten auf. Ja, ist wirklich so!"

    Dem widerspricht Matthias Gilbrich, Leiter des Dresdner Touristikmarketing. Die Bedeutung des Titels, sagt er, für die Stadtvermarktung - sei gering.

    "Er hat im Prinzip nie wirklich eine große Rolle gespielt. Wir haben immer deutlich gesagt: Die Welterbeauszeichnung ist kein Tourismusprädikat, sondern es ist eine Auszeichnung für eine nachhaltige Stadtentwicklung und Stadtplanung, aber uns war schon immer klar, dass solche Siegel, solche Label in der Reiseentscheidung eine sehr, sehr untergeordnete Rolle spielen. Und wenn wir uns jetzt tatsächlich Zahlen angucken, sind unsere Tourismuszahlen seit der Aberkennung eher gestiegen. Das interpretieren wir aber nicht jetzt kausal, sondern wir sagen: Es besteht eigentlich kein Zusammenhang."

    Eine Dame, die in der Frauenkirche die Gebetslichter ausgibt, sieht es so:

    "Ich bin nun schon ein alter Dresdner, muss ich jetzt sagen, ich war natürlich damals sehr traurig, dass das aberkannt wurde; ich war zwar für eine Brücke, aber nicht für diese Brücke. Weil sie rein von der Architektur nicht so reinpasst. Und ... klar, mittlerweile steht sie nun. Wir müssen es akzeptieren, aber wenn man unten am Elbufer langgeht: Ich finde es einfach sehr störend, und ich finde eigentlich auch schade, dass das aberkannt wird. Für den Tourismus würde ich sagen, hat das nicht so eine Bedeutung, ich glaube, die Touristen kommen trotzdem, wir haben so viele schöne andere Sachen: So ist meine Meinung dazu."

    Und die Dame scheint recht zu haben: Wen man unter den Touristen auch fragt, ob der Welterbe-Titel für ihre Entscheidung, nach Dresden zu kommen, wichtig war: die Antwort klingt in etwa immer so:

    "Nein, das war eigentlich nicht von Bedeutung, ob Dresden jetzt Weltkulturerbe ist oder nicht; ich hab das in der Presse verfolgt, dass es breit diskutiert wurde, aber eine Entscheidung, um nach Dresden zu fahren, war das also beim besten Willen nicht."

    Auch Matthias Gilbrich, Leiter des Dresdner Touristikmarketing, nimmt es gelassen.

    "Ach, eigentlich ist das Thema ein bisschen durch, wenn man es mal so deutlich sagen kann."

    Natürlich, die Aberkennung des Titels habe schon am Selbstbewusstsein gekratzt – aber man müsse ja doch nach vorne schauen: zum Beispiel nach Dresden-Hellerau. Deutschlands erste Gartenstadt, 1908 vom Möbeltischler Karl Schmidt als sozialreformerisches Projekt entwickelt: die Gartenstadt Hellerau soll Dresden den Welterbetitel zurückbringen.

    "Durch die Bewerbung von Hellerau kocht es wieder hoch, und es gab auch das klare Bekenntnis, damals bei der Aberkennung, von der Oberbürgermeisterin, zu sagen, man wird sich zukünftig wieder bemühen um den Titel – mit Hellerau wird ein erster Schritt gemacht, aber die vergangene Geschichte will man jetzt erstmal nicht wieder aufrollen, sondern man guckt nach vorne. Im gewissen Sinne ist der Welterbetitel ja auch eine Selbstverpflichtung zu nachhaltiger Stadtentwicklung, und das kann man auch umsetzen ohne den Titel."

    Das stimmt natürlich, aber es ist doch nur ein Teil der Wahrheit. Denn wie sonst wäre die Leidenschaft so vieler Menschen zu erklären, mit einem Stück ihrer Lebenswelt auch ganz offiziell ein Teil des kulturellen Erbes der Menschheit zu sein?