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Zwischen Kunst und Dienstleistung

Die Zahl der Künstler, die allein von ihrer Kunst leben können, sinkt kontinuierlich. Die Öffentliche Hand zieht sich als Mäzenatin immer mehr zurück. Für die Kunstschaffenden bedeutet das, sich Auftraggeber zu suchen, die Geld zu bezahlen bereit sind. "Künstler als Dienstleister?" hieß eine Tagung zu diesem Thema an der Evangelischen Akademie Loccum.

Von Rainer B. Schossig |
    Dass die Einkommen der Kreativen in letzter Zeit unaufhaltsam schrumpfen, dass also die Öffentliche Hand Künstler ins Bodenlose fallen lässt, das zeigt die aktuelle Bundes-Kulturstatistik drastisch. Wie sollen die Kreativen darauf reagieren? Gerade in gut deutscher Tradition werden scharfe Grenzen gezogen zwischen dem, was Kunst sei, was Künstler als Künstler tun, und dem schnöden Rest: Alles was mit Markt, Kommerz und Sich-Verkaufen zusammenhängt, darüber sprechen Künstler nur hinter vorgehaltener Hand. Doch diese Zeiten scheinen vorbei. Die Kreativen drängen heraus aus der autonomen Schmollecke, entwickeln sich rasant zu neuen Renaissancekünstlern, machen - zwischen den althergebrachten Sparten von Kunst, Literatur, Musik und Tanz - neue, teils stromlinienförmige, teils aber auch subversive Angebote. Dass man sich dabei auch mit Erfolg eine Narrenkappe aufsetzen kann, zeigt die Berliner Konzeptkünstlerin Antje Schiffers, die sich bei einer größeren Firma frech als "Werkskünstlerin" bewarb:

    "Ich war zweieinhalb Monate lang Werkskünstlerin bei der Contitec in Hannover, ich habe mich damals darum beworben, als ob es diesen Beruf Werkskünstlerin gäbe. Es war meine Idee, alle Aufträge zu erfüllen, die die Mitarbeiter der Contitec für die Aufgaben einer Werkskünstlerin hielten. Es war dann aber mein Interesse, die Geschichte zu erzählen, wie es war damals, als ich Werkskünstlerin bei der Contitec war. Das war die Strategie."

    Ergebnis solch künstlerischer Uncover-Tätigkeit: Ein guter Monatslohn und eine Reihe von konzeptuellen Wirtschaftsreportagen über komische Statushierarchien und gemischtes Betriebsklima. Bleibt dennoch die Frage: warum sollte ein Unternehmen ausgerechnet einen Künstler engagieren, um die Bilanz zu optimieren? Der Leipziger Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar sieht - philosophisch wunderbar leichtfüßig - einen praktisch freilich schwer gangbaren Weg:

    "Beim Spazierengehen erarbeiten wir unser eigenes Bild der Welt; der Spaziergänger erschafft sich die Welt für sich selbst. In dem Moment, wo wir gehen, entsteht hinterm Horizont die Welt neu; ich muss immer wieder gehen, damit die Welt neu entsteht. Frage: Wie kommen wir zu neuen Landschaften? Wie erweitern wir unser Repertoire? Wie kommt unsere Gesellschaft zu neuen Landschaften, die wir noch gar nicht sehen?"

    Nun ging es bei der Loccumer Tagung über "Künstler als Dienstleister und neue künstlerische Arbeitsfelder" zwar auch um ästhetische Horizonte und neue Weltbilder, vor allem aber um handfeste Zwänge: von der notorischen Kapitalknappheit künstlerischer Existenzgründer bis zur sprichwörtlichen Skepsis, mit der nicht nur öffentliche Arbeitgeber, sondern auch Banker und Wirtschaftsförderer ihnen gegenüber treten. Die typische Haltung der neuen Partner formuliert Arno Brand von der NordLB Hannover:

    "Ich meine, dass auch der kritisch-rebellische Künstler seine Rolle haben wird, um problematische Entwicklungen zu verhindern. Aber ich glaube, wer ökonomisch mitspielen will, wird Schwierigkeiten haben bei den Unternehmen, seine kritische Funktion so wahrzunehmen, wie er sich das in seiner Welt vorstellt."

    Zu deutsch: Wer herumkritteln will, muss sich dies eben was kosten lassen. Doch allzu oft wird die kritische Phantasie von Künstlern auch dazu missbraucht, urbane, soziale und gesellschaftliche Schäden zuzukleistern, die der grassierende Wolfskapitalismus verursacht, wie ein Streetworker aus einem Bremer Sanierungsgebiet drastisch zu berichten wusste. Umso erstaunlicher, dass die Öffentliche Hand selbst hier noch meint, mehr und mehr an Künstlerförderung einsparen zu können. Schluss-Applaus bekam der Leiter der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel, der die Absurdität des Kultur-Sparens auf den Punkt brachte: Wer bei der Kultur knausert, kann nur wenig sparen, aber viel verlieren.