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Zwischen Kurzarbeit und Konjunkturpaket

Krise allerorten. Oder doch nicht? Der Mittelstand kämpft, unter den gegebenen Umständen geht es vielen deutschen Unternehmen aber erstaunlich gut. Wir blicken hinter die Firmenkulissen.

Von Wolfram Stahl | 03.09.2009
    Der Patron schaut von der Wand herab. August Borsig wirkt in diesen Zeiten der Krise wie ein Schutzheiliger. Der Mann mit dem buschigen Backenbart und den dichten Augenbrauen hat vor 172 Jahren das Unternehmen gegründet. Tradition hilft auch in kritischen Situationen, sagt Borsig-Geschäftsführer Konrad Nassauer.

    "Das liegt zum einen natürlich an einem langen, gewachsenen Technologieverständnis und Know-how, das liegt auch daran, dass man Weltmarkanteile über die Jahrzehnte ausgebaut hat, wo der Wettbewerbsdruck relativ gering ist, wo es wenige Wettbewerber gibt, in Nischensegmenten und natürlich der guten Reputation des Namens Borsig und der Produkte von Borsig."

    In den riesigen Produktionshallen in Berlin-Tegel riecht es nach Schmiere. Staub ist in der Luft, Funken fliegen, es wird geschliffen und geschweißt. Vorarbeiter Andreas Hirt ist zufrieden.

    "Im Grunde genommen sind wir eigentlich sehr sorgenfrei hier, weil, wir haben sehr viel zu tun, und wir machen Überstunden hier, also bis jetzt muss ich sagen, sind wir eigentlich zufrieden. Wir kriegen von dieser Krise eigentlich nicht so viel mit."

    Der Schweißer Ivan Kokanowicz ist schon ein wenig nachdenklicher, allein schon wegen seines Alters. Als 56-jähriger seien die Aussichten einfach nicht mehr ganz so optimal.

    "Im Hinterkopf sind nun mal Gedanke, obwohl es uns gut geht und wir ein Jahr im Voraus abgesichert sind. Aber Hintergedanken sind da."

    Kokanowicz gehört zu den hoch qualifizierten Schweißern bei Borsig. Gigantische Druckkessel werden hier gefertigt. Old economy. Obwohl die Apparatebauprodukte nahezu ausschließlich exportiert werden, ist man bisher einigermaßen glimpflich durch die Weltwirtschaftskrise gekommen.

    "Es liegt sicherlich auch daran, ob sie im Grunde verlängerte Werkbank eine Ingenieurgesellschaft sind, wo sie Zeichnungen und Konstruktionsunterlagen bekommen, nach denen sie dann bestimmte Apparate fertigen, oder ob sie Produkte mit eigenem Know-how haben, möglicherweise auch diese Technologien durch Patente abgesichert sind. Da haben sie natürlich eine stärkere Marktstellung und damit sichern sie sich natürlich insgesamt, selbst wenn der Kuchen kleiner wird, immer noch ein größeres Stück."

    Die Apparate von Borsig werden in chemischen und petrochemischen Großanlagen eingebaut. Mit ihnen lassen sich Gas, Ethylen und andere Stoffe herstellen, die aus Erdöl gewonnen werden können.

    "Wir haben einen leichten Einbruch im Auftragseingang, der liegt bei roundabout 15-20 Prozent. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass wir den zum Ende des Jahres auch wieder ausgleichen können."

    Konrad Nassauers Gelassenheit erstaunt. Sie lässt sich nur damit erklären, dass er mit dem Unternehmen schon einmal durch eine Insolvenz gegangen ist. Er kennt das Verfahren und weiß, wann es ernst wird. Die jetzige Krise sei mit den damaligen Problemen nicht zu verglichen, sagt er. Außerdem beruhigend:

    "Aufgrund des Auftragsbestandes, den wir derzeit haben, wo die Auslastung bis weit bis Ende nächsten Jahres hinein reicht, können wir das kompensieren. Wenn die Aufträge bis zum Ende des Jahres kommen, denke ich, haben wir kein Problem."

    Etwas anders sieht das bei der Dachdeckerei Zack aus: Hier sind keine Rückgänge beim Auftragseingang zu spüren. Das mittelständische Unternehmen hat Arbeit en masse. Von Frühjahr bis Herbst ist sowieso die Hochzeit. Von der Krise sei ganz und gar nichts zu merken, sagt Junior-Chef Marcel Zack.

    "Also, wir mussten in letzter Zeit drei Mitarbeiter neu einstellen, weil sonst hätten wir's gar nicht bewältigen können, aufgrund unserer größeren Baustellen, die wir noch hatten, und dann müssen wir halt schauen, wie wird im Endeffekt der Winter, bleibt er mild oder wird er wieder stark wie im letzten Jahr. Das kann man aber auch dann erst sehen, wenn es soweit ist."

    Auf den 16 Baustellen sind gegenwärtig 26 Mitarbeiter im Einsatz. Subunternehmer werden bei Termindruck für kurzfristige Einsätze hinzugezogen. Marcel Zack blickt auch deshalb ganz zuversichtlich ins nächste Jahr, weil der Handwerksbetrieb inzwischen auch vom Gebäudesanierungsprogramm der Bundesregierung profitiert.

    "Wir haben momentan zwei Kindergärten bekommen, die aus dem Konjunkturpaket sind. Einer geht in den nächsten Wochen los und der nächste geht im nächsten Jahr, Februar, März dann los."

    Der Betrieb läuft gut, weil hinter dem Juniorchef auch ein eingespieltes Team steht. Neulich fiel Marcel Zack wegen eines Arbeitsunfalls gleich vier Wochen am Stück aus. Der Vater und sein Bauleiter vertraten ihn als Chef.

    "Alleine wäre es natürlich unmöglich gewesen, die Firma vier Wochen alleine zu lassen, weil man doch relativ schnell viele Kunden verliert, denn man muss in der heutigen Zeit sehr schnell agieren, um den Kunden im Endeffekt zufriedenzustellen."

    Circa 2,5 Millionen Euro beträgt der Jahresumsatz der Dachdeckerei. Obwohl es dem Betrieb gut gehe, sei das Baugeschäft in Berlin schwierig, sagt Marcel Zack. Und weil die Zukunft nun einmal vage ist, er aber auch ein findiger Unternehmer, will der 32-Jährige demnächst Neues ausprobieren. Da nur der Versuch klug macht, ihn aber auch unternehmerisch weit bringen könnte, soll zum ersten Mal ein Trupp seiner Firma in Hamburg Dächer decken. Die Eroberung eines neuen Marktes versteht er auch als eine Maßnahme gegen die Krise – falls sie je den Dachdeckerbetrieb treffen sollte.