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Zwischen liberalem Selbsthass und grandiosen Slapstick-Einlagen

Die französische Schauspielerin und Autorin Yasmina Reza war von Anfang an mit ihren Theaterstücken erfolgreich, mit dem Stück "Kunst" stieg sie in kurzer Zeit in die Weltliga auf. Roman Polanski hat ihr Erfolgsstück "Der Gott des Gemetzels" verfilmt.

Von Josef Schnelle | 19.11.2011
    Ganz von Ferne sieht man am Anfang dieses Films vor der Kulisse von New York ein paar Jungs herumalbern. Sie geraten in Streit und prügeln sich. Roman Polanski hat diese Szene offensichtlich von einem Second-Unit-Regisseur drehen lassen. Der 77-jährige polnische Meisterregisseur darf ja, weil mit Haftbefehl gesucht, amerikanischen Boden nicht betreten. Mit dieser Szene dreht er den amerikanischen Behörden eine lange Nase. Ein Filmemacher kann alles, auch so tun als habe er in Amerika gedreht. Von da an ist der Film ein reines Kammerspiel in Studiobauten in Paris gedreht. Und das ist auch angemessen für Jasmina Rezas Theaterstück, das auch auf deutschen Bühnen ein großer Erfolg war. Zwei Elternpaare treffen aufeinander, um den Konflikt ihrer Söhne zu besprechen. Zivilisiert soll es zugehen. Nach den gebräuchlichen Regeln der Mediation. Doch schon die Frage nach dem Täter entzweit die Runde.

    "Er redet nicht viel." – "Aber ihm ist klar, dass er seinen Klassenkameraden entstellt hat." – "Nein, nein, dass er seinen Klassenkameraden entstellt hat, das ist ihm nicht klar." – "Muss du das denn sagen, dass ist Zakorie natürlich klar" – "Ihm ist klar, dass dieses gewalttätige Verhalten inakzeptabel ist, nicht dass er seinen Klassenkameraden entstellt hat." – "Sie stören sich an dem Wort, aber ich fürchte: das bringt es auf den Punkt." – "Mein Sohn hat ihren Sohn nicht entstellt!" – "Ihr Sohn hat meinen Sohn entstellt!"

    Das Staraufgebot Jodie Foster, John C. Reilly, Christoph Waltz und Kate Winslet verkörpert das gutbürgerliche Quartett. Sehr bald entgleisen die Figuren mit allen möglichen Übertreibungen ins komische Fach. Zwischen liberalem Selbsthass und grandiosen Slapstick-Einlagen enthüllen die Protagonisten, wie dünn das Eis des politisch korrekten Verhaltens ist, auf dem sie sich bewegen. Man spendet für die Hungernden in Afrika und achtet auf guten Manieren in der feinen Innenausstattung. Oscar-Preisträger Christoph Waltz lässt sein Handy jedoch keine Minute aus den Augen und telefoniert genervt herum. Jodie Foster verteidigt tapfer ihr Gutmenschentum, während ihr Ehemann, gespielt von John C. Reilly, von einem Fettnäpfchen ins andere tritt. Und Kate Winslet hat einen großen Auftritt als buchstäblich kotzende Investmentbankerin, die kostbare Kunstbildbände unbrauchbar macht.

    "Ich glaub das nicht: Die dumme Nuss kotzt mir auf meine Bücher. Ich meine, wenn du merkst, dass es dir hochkommt, gehst du doch rechtzeitig raus. Ohhh der Fudschita. Das ist so eklig." – "Bei den Klospülungen war ich kurz davor zu platzen." – "Du warst unglaublich." – "Ich hab gut reagiert." – "Unglaublich." – "Jamaica Queens. Also das war genial." – "Das blöde Arschloch. Wie nennt er sie noch mal?" – "Dudel" – "Ja stimmt Dudel." - "Ja ich nenne sie Dudel."

    Mit seinem kleinen, handwerklich perfekten Film zeigt Roman Polanski, dass nach all dem Skandalgetöse mit Fußfessel im Schweizer Chalet wieder mit ihm zu rechnen ist. Die Verfilmung von Robert Harris' Bestseller "Pompei" hat er schon angekündigt. "Der Gott des Gemetzels" dürfte also in Polanskis Werk eine Fingerübung in Zeiten des Übergangs zu einem großen Comeback sein. Der Film berührt dennoch das wichtigste Thema, das Polanski immer interessiert hat: einmal mehr zeigt er, wie sich immer wieder eine atavistische Gefühlswelt gegenüber der Zivilisation durchsetzt. Buchstäblich meldet sich der "Gott des Gemetzels" zu Wort und enthüllt Beziehungs- und Lebenslügen. Man merkt, dass die Schauspieler es sehr genießen, einmal richtig aus der Haut zu fahren. Die entscheidenden Worte der These dieser Komödie mit ernstem Hintergrund legt Polanski Christoph Waltz in den Mund.

    "Ich glaube an den Gott des Gemetzels, den Gott der vom Anbeginn der Zeit unverändert regiert. Sie interessieren sich für Afrika? Stimmt’s? Sehen Sie, ich war vor Kurzem im Kongo. Dort lernen die kleinen Kinder das Handwerk des Tötens schon mit acht. Im Laufe ihrer Kindheit hunderte Menschen. Sie töten mit der Machete, mit der Shotgun, mit der Kalasch, mit dem Zumper. Da werden Sie ja verstehen, dass ich, wenn mein Kind einem Kameraden den Zahn ausschlägt. Ja, ich weiß: zwei Zähne. Mit einem Bambusstöckchen beim Sandkasten, dass ich dann nicht so geschockt und empört bin wie Sie." – "Sollten Sie aber!"